Donnerstag, April 25, 2024
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Ärztin aus Darfur: Verfolgt, weil sie „falschen“ Menschen half


Fatima Adam musste ihre Heimat verlassen, weil sie Patienten behandelt hat, die der sudanesischen Regierung nicht genehm waren

Es sind nicht die Hirschgeweihe an den Wänden, die Fatima Adam lauthals zum Lachen bringen. An die österreichischen Gepflogenheiten hat sie sich mittlerweile

gewöhnt. Vielmehr amüsiert sie die Frage, ob sie wirklich im Gefängnis gelandet wäre, wenn sie ihre Heimat nicht verlassen hätte. "Hundertprozentig", antwortet die Sudanesin mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Überhaupt nimmt sie ihr Schicksal mit reichlich Humor – auch wenn es eigentlich alles andere als erheiternd ist, Land, Ehemann und

Familie verlassen zu müssen, nur weil sie ihrer Pflicht als Ärztin nachkam.

Immer wieder blitzen ihre weißen Zähne auf, wenn die 33-jährige Adam in einem steirischen Wirtshaus sitzt, Topfentorte und Kaffee zu sich nimmt und gestenreich von ihrem Leben in Darfur erzählt. Dort, wo seit zwölf Jahren ein blutiger Konflikt zwischen sudanesischen Truppen und Rebellen tobt, die sich von der Zentralregierung in Khartum unterdrückt fühlen. UN-Angaben zufolge kamen bei den Kämpfen bislang rund 300.000 Menschen ums Leben, zwei Millionen Einwohner mussten flüchten. Dazu gehört auch Adam. Vielleicht macht sie jetzt einfach nur gute Miene zum bösen Spiel.

Um den Aufstand niederzuschlagen, setzt die Regierung arabische Milizen ein, die Dschandschawid. Sie stehen in diesem Konflikt besonders in der Kritik, weil sie ganze Dörfer zerstört, Massaker durchgeführt und Frauen vergewaltigt haben sollen. Dies hatte auch direkte Auswirkungen auf Präsident Omar al-Bashir, gegen den vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag seit Jahren ein Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen im Darfur-Konflikt vorliegt. Ihm wird unter anderem die Absicht vorgeworfen, die Ethnien der Fur, der Zaghawa und der Masalit zu vernichten.

Kühe für den Uni-Abschluss

Fatima Adam gehört den Fur an. Trotzdem blieb sie lange Zeit Unbeteiligte im Konflikt. Geboren als jüngstes von fünf Kindern in der Stadt Kabkabya, gab es dort nur einen Arzt, und der war dann auch nur in unregelmäßigen Abständen anwesend. Dadurch kam in ihr der Wunsch auf, Medizin zu studieren, um den vielen Kranken helfen zu können. Der Vater früh gestorben, die Mutter eine Bäuerin, geriet das Medizinstudium zu einem Familienprojekt. Jeder steuerte etwas bei, um Fatima Adam bis zum Abschluss an der Universität in al-Fashir – der größten Stadt in Darfur – über die Runden zu bringen. "Meine Mutter hat jedes Jahr eine Kuh verkauft, damit es sich ausgeht", erzählt sie.

Als die Mutter krank wurde, zog die ganze Familie in das etwa 150 Kilometer entfernte al-Fashir. 2007 folgte Adams Abschluss, danach absolvierte sie erfolgreich die Ausbildung als Allgemeinmedizinerin. Schließlich arbeitete sie gleichzeitig in einem Krankenhaus und in einem Diabetes-Zentrum: "Um acht Uhr früh ging es los, und um neun Uhr abends war ich fertig. Teilweise musste ich 80 Patienten in wenigen Stunden behandeln. Und an einem normalen Tag hat man sechs bis zehn normale Entbindungen und zehn Kaiserschnitte." Auch in al-Fashir sind Ärzte Mangelware, der Darfur-Konflikt lässt die Region in vielerlei Hinsicht darben. Hinzu kommt, dass sich viele Menschen die Behandlung gar nicht leisten können. "Wir Ärzte haben oft mit der Krankenhausverwaltung gestritten. Wir sollten viele Patienten wegschicken, weil sie kein Geld hatten. Aber ein Notfall ist ein Notfall, da kann man nicht wegschauen", erzählt Adam in flüssigem Deutsch, auch wenn man ihr einen Akzent deutlich anmerkt.

Besuch vom Gesundheitsministerium

Zwischen die Fronten geriet Adam zum ersten Mal, als sie Patienten aus einem Flüchtlingslager mit Atemnot bzw. Magen-Darm-Entzündungen behandelte und dabei Vergiftungen diagnostizierte. Wie ihr die Menschen berichteten, würden im Lager regelmäßig Insektizide versprüht, und dann nähmen die Beschwerden zu. "Das wäre eigentlich kein großes Problem, wenn die Rebellen der Regierung nicht vorgeworfen hätten, die Menschen in den Flüchtlingslagern vergiften zu wollen", sagt Adam. Kurz danach bekam sie Besuch von einem Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, dem gegenüber sie ihre Diagnosen rechtfertigen musste.

Dies wiederholte sich, als in al-Fashir eine regierungskritische Demonstration gewaltsam von Sicherheitskräften beendet wurde. Die Verletzten gingen ins Krankenhaus, Adam behandelte sie und zog dadurch den erneuten Besuch des Gesundheitsministeriums nach sich, wie Adam erklärt: "Wieso ich diese Menschen behandelt habe, wurde ich gefragt. Noch dazu, wo es sowieso einen Medikamentenmangel gibt."

Kollege von Soldaten verprügelt

Dass es in Darfur auch für – grundsätzlich hoch angesehene – Ärzte äußerst gefährlich ist, sich mit dem Staat anzulegen, hat Adam im Bekanntenkreis miterlebt: "Ein Kollege hat einen verletzten Soldaten warten lassen, weil es dringendere Notfälle gab. Daraufhin wurde er verprügelt und verbrachte vier Tage auf der Intensivstation." Warum Adam trotzdem ihrer Linie treu blieb? "Weil es einfach die Wahrheit ist."

Auch bei einer vergewaltigten Frau stellte sie die wahrheitsgetreue Diagnose. "Den Dschandschawid werden Vergewaltigungen vorgeworfen, al-Bashir wird vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht: Das Letzte, was die Regierung dann will, sind Diagnosen über Vergewaltigungen", sagt Adam. Schließlich reichte es den Behörden, die Polizei kam ins Krankenhaus und fragte nach ihr.

Glücklicherweise befand sich Adam gerade nicht im Dienst. Kollegen warnten sie, rasch packte sie daheim die wichtigsten Sachen und versteckte sich in einem anderen Haus, während die Polizei vergeblich nach ihr suchte. Schnell war ihr und ihrer Familie klar, dass nur die Flucht ins Ausland blieb, um dem Gefängnis oder noch Schlimmerem zu entkommen. Ihr Bruder wollte arabische Länder meiden, weil Frauen dort auch schlecht behandelt werden. Als Ziel wurde schließlich Europa auserkoren.

10.000 Dollar für die Flucht

Ihre Geschwister trieben das notwendige Geld auf, 8000 Dollar für die Schlepper, 2000 Dollar als Startgeld in der neuen Heimat, und dann ging es mit dem Lkw durch die Wüste nach Libyen. Im Sommer 2011 herrschte beim nördlichen Nachbarn des Sudan gerade Bürgerkrieg, deshalb hieß es an der Grenze umsteigen in einen unauffälligen Pkw und meist nachts fahren, um sicher das Meer zu erreichen. Dort angekommen, wurden ihr auch die 2000 Dollar abgenommen: "Ein Schlepper sagte, wir brauchen mehr Geld für das Schiff. Wenn ich es nicht hergebe, muss ich hier bleiben."

Im Container eines Frachtschiffs wurde sie über das Mittelmeer gebracht. Dann – Adam vermutet, dass es Italien war – wurde die Reise mit einem Gemüse-Lkw fortgesetzt. Sie wollte eigentlich nach Großbritannien, "aber so wirklich habe ich mich in Europa nicht ausgekannt". Schließlich, nach insgesamt dreiwöchiger Flucht, landete sie gemeinsam mit zwei anderen Migranten auf einer Autobahnraststätte nahe Traiskirchen: "Es war zwar Juni, aber trotzdem sehr kalt für mich. Ich habe mir alles angezogen, was ich dabeihatte."

Ohne Papiere – die hatte ihr Bruder sicherheitshalber verwahrt – beantragte Adam Asyl. Über Traiskirchen ging es in ein Asylheim nach Vöcklabruck. Rasch lernte sie die Sprache, rasch absolvierte sie die zahlreichen Prüfungen, um auch in Österreich als Ärztin arbeiten zu dürfen, während ihr erster Asylantrag nach eineinhalb Jahren negativ beschieden wurde. Sie berief, nahm sich einen Anwalt, um schließlich im vergangenen Jahr Asyl gewährt zu bekommen.

foto: kim son hoang
Irgendwann will Fatima Adam wieder in ihre Heimat zurückkehren. Noch ist es aber zu gefährlich.

Nun sitzt sie da, in einem Gasthaus in der steirischen 944-Seelen-Gemeinde Gasen. Hier, beim hiesigen praktischen Arzt, absolviert sie im Rahmen der Turnusausbildung ihre Lehrpraxis. Die wurde ihr nämlich nicht angerechnet. Doch das macht nichts, Adam freut sich stattdessen über ihr erstes Gehalt in Österreich. Zuvor durfte sie nur als Gastärztin tätig sein. "Nun kann ich etwas meiner Familie schicken, die mich die ganze Zeit so unterstützt hat."

Ihr Mann hat mittlerweile auch die Flucht gewagt und es nach Großbritannien geschafft. Im vergangenen Jahr, kurz vor Weihnachten, kam er nach Wien, sodass sich die beiden zum ersten Mal seit dreieinhalb Jahren wiedersahen. Wie und wo es weitergeht, ist noch nicht klar: Ihr Mann scheut die deutsche Sprache, während Fatima Adam nicht ein weiteres Mal von vorne beginnen will.

Eine Rückkehr nach Darfur ist vorerst nicht geplant. Adams Familie sagt ihr immer wieder, sie solle bleiben, wo sie ist, da sei sie sicher. Irgendwann will sie aber wieder in die Heimat zurück – helfen, wo so viel Hilfe benötigt wird: "Man verliert nie die Hoffnung. Aber es ist chronisch da unten, es wird immer schlimmer." Fatima Adam lächelt nicht, als sie das sagt.

(Kim Son Hoang, derStandard.at, 26.3.2015)

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