Dienstag, April 23, 2024
StartPolitikAlexander Neu (Die Linke) über Außenpolitik 2017: „Stillstand und Militarisierung“

Alexander Neu (Die Linke) über Außenpolitik 2017: „Stillstand und Militarisierung“

Die deutsche Außenpolitik war 2017 geprägt von den USA, Russland, EU und der Türkei. Der Verteidigungsexperte und Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Alexander Neu lässt das Jahr im Interview Revue passieren.

Dabei sieht er bei der Bundesregierung vor allem Stillstand und eine Militarisierung Europas. Auch für 2018 ist seine Prognose düster.

Herr Dr. Neu: War 2017 außenpolitisch ein Jahr, wie jedes andere?

Ja und nein. Das Jahr 2017 war angesichts der Bundestagswahl mit Blick auf die deutsche Außenpolitik ein sehr stagnierendes Jahr. Alle Augen waren auf die Wahl im September gerichtet und die Außenpolitik hat gewissermaßen nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Blicken wir zuerst auf die USA: Wir haben seit knapp einem Jahr einen US-Präsidenten Donald Trump. Wie beurteilen Sie seine Arbeit 2017?

Er ist als Tiger gestartet: Er wollte die Beziehungen zwischen den USA und Russland reparieren. Das stieß jedoch auf Widerstand bei den europäischen Vasallen – seltsamerweise, denn eigentlich sollte Europa sehr glücklich sein, wenn Washington und Moskau eine Entspannungspolitik betreiben. Das war aber nicht der Fall. Europa machte sich stattdessen Sorgen. Im Laufe des ersten Halbjahres wurde Donald Trump dann auch in den USA sehr stark an die Leine genommen. Das hat in Europa wiederum zu einer gewissen Zufriedenheit geführt, da die bisher bekannte imperialistische US-Außenpolitik weiterbetrieben wurde.

Schauen wir auf die US-Politik in Bezug auf Israel und die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt. In vielen Medien heißt es, durch Washington sei die Welt 2017 ein Stück weit unsicherer geworden.

Die Welt ist durch die Politik Washingtons seit geraumer Zeit unsicherer geworden. Aber auch durch die Politik der europäischen Vasallen, die den USA alles durchgehen lassen und Washington sogar unterstützen, eine sehr gewaltbasierte Dominanz auszuspielen.

Blicken wir auf ein weiteres Land, das in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt hat: Die Türkei. Staatspräsident Erdogan erklärte vor wenigen Tagen, das Verhältnis zwischen Ankara und Berlin sei gut…

Ich sehe das noch nicht so. Erdogan hat jetzt natürlich einige diplomatische Gesten gemacht, politische Gefangene mit deutschem Pass wurden freigelassen. Aber es gibt natürlich noch weit mehr Probleme. Auf der anderen Seite hat Ankara natürlich das getan, was jeder Staat mit einer auf nationalem Interesse basierenden Politik macht. Das war jedoch nicht immer mit den Vorstellungen der USA und der EU konform. Das deutsch-türkische Verhältnis ist erst einmal geschädigt und es wird einige Zeit dauern, bis wieder normale Arbeitsbeziehungen aufgebaut sind.

Sie selbst hatten in diesem Jahr Ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der türkischen Regierung. Dabei ging es um Ihr Einreiseverbot auf dem Luftwaffenstützpunkt in Konya. Wie bewerten Sie dies rückblickend?

Ich fand es sehr interessant, dass man sich für dieses Einreiseverbot ausgerechnet einen Linken-Politiker ausgesucht hat. Natürlich haben wir auch einen besonderen Blick auf die Türkei, vor allem auf die Minderheiten in der Türkei. Das ist überhaupt keine Frage. Aber Die Linke war jetzt nicht unbedingt die Partei, die sich am meisten gegen die türkische Innenpolitik positioniert hat. Ich weiß nicht, warum gerade wir der Buhmann Nummer Eins waren. Aber das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass die linken Kräfte in der Türkei sehr eng mit der deutschen Linken zusammenarbeiten.

Nun war die Stationierung deutscher Truppen in der Türkei auch Thema im Deutschen Bundestag. Im Juni wurde der Abzug der Bundeswehr aus dem türkischen Incirlik beschlossen. Für Sie ein Etappensieg?

Ja und nein. Es war kein Abzug, es war ein Umzug von Incirlik nach Jordanien. Das heißt, die Kampfflugzeuge sind lediglich umgezogen und nicht abgezogen. Es war aber deshalb ein Etappensieg, weil man Erdogan gezeigt hat, dass man auch ohne die Türkei Politik machen kann. Allerdings läuft der völkerrechtswidrige und in Deutschland auch verfassungswidrige Kampf der so genannten Anti-IS-Koalition in Syrien weiter, der von Seiten der Türkei ganz andere Ziele verfolgt als nur den IS zu bekämpfen.

Wie bewerten Sie generell die Entwicklung der türkischen Politik in diesem nun zu Ende gehenden Jahr?

Sie ist sehr widersprüchlich. Die Türkei ist natürlich Nato-Mitglied. Sie hat meiner Meinung nach verständlicherweise ihre Ambitionen auf eine EU-Mitgliedschaft aufgegeben. Sie fährt eine sehr nationalorientierte Außenpolitik, nähert sich der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit an, arbeitet mittlerweile mit Blick auf Syrien sehr eng mit Russland und dem Iran zusammen. Das heißt, Ankara betreibt eine Art Schaukelpolitik, um die türkischen Interessen möglichst gut verwirklichen zu können.

Auch die EU war 2017 nicht untätig: Die Bundesverteidigungsministerin bastelt fleißig an einer EU-Armee. Frau von der Leyen treibt die europäische Vernetzung der Bundeswehr voran. Was passiert da hinter den Kulissen?

Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass die Europäische Union in eine massive Krise geraten ist. Eine Krise, die vielfältige Ebenen hat: Einmal die Finanzkrise, dann eine Demokratiekrise unter den einzelnen Mitgliedsstaaten. Wir haben eine Vertrauenskrise in die EU und vieles mehr. Jetzt wird der Versuch unternommen, dass, wenn die EU schon auf vielen politischen Feldern stagniert, dann muss man ein anderes Modell finden, das man vorantreiben kann. Das sind die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wobei der Begriff „Verteidigungspolitik“ verkehrt ist, es geht nämlich eigentlich um Militärpolitik. Die Verteidigungsunion der EU mit dem Fernziel einer EU-Armee dient ja nicht dazu, die territoriale Sicherheit der EU-Staaten zu verteidigen. Sondern es geht darum, mit dieser EU-Armee weltweit mitmischen zu können und damit neben einer ökonomischen Stärke auch sicherheits- und militärpolitisch mitspielen zu können. Das ist anachronistische und rückwärtsgewandte Machtpolitik.

Insgesamt 25 EU-Staaten wollen die so genannte europäische Verteidigungsunion mit dem Namen „Pesco“. Ist das eine Alternative zur Nato, eine Ergänzung oder nur heiße Luft?

Es ist eine Art von Ergänzung. Man möchte im Rahmen der Europäischen Union eine gewisse strategische Autonomie gegenüber der Nato haben. Und damit auch gegenüber der USA, die die Führungsmacht der Nato ist. Wenn also die USA bei einem Konfliktfall nicht intervenieren sollten, dann möchte sich die EU vorbehalten können, selbst mit militärischer Potenz einzugreifen. Es heißt zwar weiterhin: Möglichst mit der Nato und mit den USA, aber wenn nötig auch ohne. Das ist die Philosophie, die dahinter steht.

Schauen wir noch auf das Verhältnis Berlin-Moskau: Viele Beobachter glauben, dass sich die Wogen in diesem Jahr etwas geglättet haben. Oder macht das nur den Anschein? 

Das dürfte eher der Anschein sein. Die Sanktionen der EU gegen Russland sollen wieder verlängert werden. Wir sehen jetzt auch gerade wieder eine Einmischung des Westens in die russischen Wahlen im kommenden Jahr – Stichwort Nawalny. All das, was man Moskau mit Blick auf eine angebliche Wahlmanipulation in den USA vorwirft, sehen wir jetzt umgekehrt als ganz absichtliche und massive Einmischung im Vorfeld der russischen Wahlen. Und das zeigt wieder einmal, dass man im Westen mit Doppelstandards arbeitet: Dass was wir machen, das dürft ihr nicht. Wenn wir uns einmischen, dann ist das immer moralisch unterlegt. Und wenn die Russen sich einmischen, dann gilt das im Grunde immer nur als Egomanie und machtpolitisch motiviert. Dieser Ansatz ist natürlich aberwitzig.

2017 war also kein einfaches Jahr. Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf 2018 und was versprechen Sie sich außenpolitisch?

Das wird in der Tat schwierig, weil wir gar nicht wissen, wann eine neue Bundesregierung entstehen wird. Es kann sich um wenige Wochen handeln, das kann aber auch Monate bis Mitte des kommenden Jahres dauern. Insofern sehen wir aktuell eine geschäftsführende Bundesregierung, die außenpolitisch wenig handlungsfähig ist und auch keine großen Sprünge machen kann. Denn eine geschäftsführende Regierung sollte sich bei signifikanten Entscheidungen sehr zurückhalten. Ich sehe das Jahr 2018 ähnlich wie 2017: Ein Jahr des außen- und sicherheitspolitischen Stillstands, außer mit Blick auf die Militarisierung der Europäischen Union.

Interview: Marcel Joppa   Quelle!

Das Gespräch mit MdB Dr. Alexander Neu

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