Samstag, April 20, 2024
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Alle gegen Merkel – so wurde die Kanzlerin von Flüchtlingen in die Ecke getrieben

Das Programm zur Verteilung der Zuwanderer zwischen verschiedenen EU-Ländern hat im Laufe von knapp drei Jahren nicht nur die europäische Einheit mächtig zerstört, sondern auch das politische System in Deutschland ins Schwanken gebracht.

Wie die informelle EU-Führerin Angela Merkel zwischen Hammer und Amboss geraten ist, erzählt dieser Beitrag.

Bayern greift an
Die vierte Amtszeit der Bundeskanzlerin begann enorm schwierig für sie. Ihre CDU bekam bei der Bundestagswahl im September 2017 nicht genug Stimmen, um im Alleingang die Regierung zu bilden. Ihre früheren Koalitionspartner aus der SPD weigerten sich, die Kooperation fortzusetzen und die Frage von der neuen Bundesregierung blieb mehr als ein halbes Jahr ungelöst. Aber den schlimmsten Schlag gegen die christlichen Demokraten versetzten ihre Partner aus der bayerischen „Schwesterpartei“ CSU.

Vor knapp zwei Wochen hat der Bundesinnenminister Horst Seehofer, der zugleich CSU-Chef ist, ein Ultimatum an Merkel gestellt: Entweder wird das gesamteuropäische Programm zur Bekämpfung der illegalen Migration verabschiedet, oder er würde als Innenminister Migranten die Einreise in die Bundesrepublik untersagen. Die bayerischen Behörden haben inzwischen ihren eigenen „Plan zur Asyl-Gewährung“ vereinbart, der die Einrichtung von insgesamt sieben Flüchtlingsaufnahmezentren, eine intensive Behandlung von Asylanträgen und sogar die Verfrachtung von Flugzeugen vorsieht, mit denen die Zuwanderer abtransportiert werden sollten, deren Anträge abgelehnt werden.

Falls Seehofer seinen Plan umsetzt, müsste Merkel ihn entweder unterstützen oder entlassen. Im ersten Fall würde Deutschland wider den konsolidierten Willen der Europäischen Union auftreten und die Interessen aller EU-Partner verletzen. Im zweiten Fall würden sich die CDU und die CSU endgültig zerstreiten. Übrigens hätten laut der Zeitung „Die Zeit“ mehr als 70 Prozent der Bayern nichts gegen die Spaltung des langjährigen Blocks.

Die beiden Szenarien sind aber für Merkel grundsätzlich inakzeptabel. Sie hat vorerst eine Auszeit genommen und ihre einzige Hoffnung ist mit dem für 28. und 29. Juni angesetzten EU-Gipfeltreffen verbunden.

Die Kanzlerin hofft auf eine Vereinbarung zur Rückkehr der Flüchtlinge in die Länder, wo sie als Asylbewerber registriert wurden, und zur Einrichtung von Flüchtlingslagern außerhalb der Europäischen Union.

Eine Einigung äußerst unwahrscheinlich
Zwecks Vorbereitung einer Basis für solche Vereinbarungen fand Ende der vorigen Woche in Brüssel ein vorläufiger „Mini-Gipfel“ statt. Aber noch bevor sie die Einladungen dazu bekommen hatten, erklärten die Spitzenpolitiker der Mitgliedsländer der so genannten „Visegrad-Gruppe“ (Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien), sie würden sich daran nicht beteiligen, und organisierten ein eigenes Treffen in Budapest. Ihnen schloss sich auch der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz an. In Wien (genauso wie in Rom) hat man ein äußerst negatives Verhältnis bezüglich der Initiativen Berlins zur Umverteilung der Flüchtlinge. Dennoch reisten die Österreicher und Italiener zum „Mini-Gipfel“ nach Brüssel, der auch als „Gipfel der Merkel-Freunde“ bezeichnet wurde.

Im Allgemeinen wurde dabei vereinbart, dass die Lösung der Migrationsprobleme nur unter Beteiligung aller EU-Länder möglich wäre. Und falls Seehofer tatsächlich die deutschen Grenzen für illegale Zuwanderer schließen sollte, würde er dadurch einerseits Brüssels Proteste hervorrufen und andererseits die anderen EU-Mitglieder zu ähnlichen Schritten provozieren. Und das gefährdet wiederum das Bestehen der Schengener Gruppe in ihrer aktuellen Form.

Davor warnte unter anderem Italien, das die meisten Migranten aus Nordafrika empfangen muss. Inzwischen weigern sich die italienischen Behörden, Schiffe mit im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen  zu empfangen und untersagen ihrer Küstenwache, auf Notsignale einzelner Boote zu reagieren.

„Die 16 Staats- und Regierungsoberhäupter konnten keine einheitlichen Lösungen finden. Neben Horst Seehofer stehen auch die Mitglieder der ‚Visegrad-Gruppe‘, die Baltikum-Länder und auch einige andere EU-Länder auf einer harten Position“, sagte der Leiter des Zentrums für Deutschland-Studien beim russischen Europa-Institut, Valeri Below. „Jetzt plädiert Merkel für Aktivitäten im bilateralen Format und genießt dabei die Unterstützung des französischen Staatschefs Emmanuel Macron. Möglicherweise wird das eben das Leitmotiv des Gipfels sein.“

Wenn das so ist, dann müsste die Kanzlerin mit jedem einzelnen EU-Partner quasi „unter vier Augen“ verhandeln, anstatt die Maßnahmen zur Umverteilung der Flüchtlinge durch Brüssel voranzutreiben. Doch das löst nicht die Probleme der Südeuropäer, und es bleibt unklar, was mit den Zuwanderern zu tun ist, die sich schon in der Alten Welt befinden.

Manövrierfreiheit
Eigentlich war Angela Merkel gar nicht immer Anhängerin des Multikulturalismus. 2010 sprach sie beispielsweise von der Verbindung der Deutschen mit den christlichen Werten, und wer damit nicht einverstanden wäre, hätte dort nichts zu suchen.  Aber fünf Jahre später trat sie mit der Initiative zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Nordafrika auf. Und deshalb steht die EU inzwischen am Rande eines Zerfalls, während die Bundesrepublik eine scharfe politische Krise erlebt. Und für Merkel persönlich könnte ihre politische Karriere zu Ende gehen.

Das sei ein epochaler Fehler gewesen, der die Solidarität Europas zerstört habe, findet der wissenschaftliche Direktor des Deutsch-russischen Forums, Alexander Rahr. Und dieser Fehler könnte am Ende des Tages Berlin seine Führung auf dem europäischen Kontinent kosten.

Dem Experten zufolge könnte Merkel in der aktuellen Situation, wenn sowohl deutsche als auch europäische Politiker gegen sie auftreten, verzweifelte Schritte unternehmen. Unter anderem könnte sie beispielsweise im Bundestag eine Abstimmung über das Vertrauen zu ihrem Kabinett initiieren. Das wäre zwar sehr riskant, aber im Falle eines Erfolgs würde die Kanzlerin eine neue Chance auf die Fortsetzung ihrer Arbeit bekommen.  Im Falle des CDU/CSU-Blocks könnten sich die christlichen Demokraten mit den Grünen vereinigen und weiter an der Macht bleiben.

Und was Seehofer angeht, so wird Merkel voraussichtlich die Gespräche verzögern – in der Hoffnung, dass eine Unversöhnlichkeit nach der Landtagswahl in Bayern Schritt für Schritt zunichte gehen würde. Aber egal wie: Das Flüchtlingsproblem ist und bleibt akut, und Merkel muss sich mit seiner Lösung befassen. Natürlich wenn sie ihre informelle Führung der EU nicht verlieren will.

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