Freitag, März 29, 2024
StartZARONEWS PresseAgenturAngela Merkel: Portrait einer Laviererin

Angela Merkel: Portrait einer Laviererin

Foto: Angela Merkel - Caricature / DonkeyHotey / flickr / CC BY 2.0

Politik vom Ende her zu denken, dafür wird Angela Merkel oft gerühmt; tatsächlich zwingt sie ihre zu lange Abwartehaltung immer wieder zur plötzlichen Fehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 3)Kehrtwendung.

Es ist ein Taktieren bis zum Klingelzeichen, auch in der Flüchtlingsfrage. Daher steht sie der Abschottungspolitik von

CDU und CSU nicht im Wege, wohl aber einer demonstrativen Verschiebung ihrer Partei nach rechts.

Als Angela Merkel kürzlich, auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe, Bilanz zog, klang das für DDR-Ohren sehr vertraut. Sie feierte Adenauer, Erhard und Kohl und schloss, »dass CDU und CSU d i e politische Erfolgsgeschichte Deutschlands sind. 46 Jahre von 66 Jahren haben wir Regierungsverantwortung getragen. Und es kommt auch jetzt wieder auf uns an …« Früher gab es die führende Partei der Arbeiterklasse, der eine ähnliche Erfolgsgeschichte zugeschrieben wurde. Und früher gab es »die größte DDR der Welt«, heute ist es »unser Deutschland, das schönste und das beste Deutschland, das wir haben«. Auch der historische Optimismus des »Wir schaffen das!« ist nicht neu. »Der Sozialismus siegt!« hieß damals die suggestive Losung.

 

Die CDU-Vorsitzende selbst war es, die einmal eingestand, auch ihr seien die ideologischen Prämissen von der Gesetzmäßigkeit der Geschichte seinerzeit in der DDR »offenbar in Fleisch und Blut übergegangen«. Was wohl »synapsenverändernd« wirkte, wie ihre Biografin Evelyn Roll vor 15 Jahren mutmaßte, denn heute sagt Angela Merkel: »Wenn wir jetzt tatsächlich zweifeln würden, ob wir das schaffen, … dann wären wir nicht die Christlich Demokratische Union Deutschlands. Aber wir sind sie, und deshalb werden wir das schaffen.«

Für diesen Rückgriff auf Rituale ideologischer Aufrüstung liefert die Flüchtlingsproblematik freilich nur den Anlass, nicht den eigentlichen Grund. Der war drei Wochen zuvor auf dem Parteitag der CSU zu besichtigen, als Horst Seehofer einmal mehr und mit besonderer Impertinenz versuchte, die politischen Koordinaten der Union nach rechts zu verschieben. Ihm geht es um die Verortung von CDU und CSU bis weit hinein in den rechten Rand, womit ein »freundliches Gesicht« gegenüber Flüchtlingen nicht vereinbar ist. Er argwöhnte sofort, nach Frauenquote, Abschaffung der Wehrpflicht, Homo-Ehe, Atomausstieg, Mindestlohn und diversen anderen Kurskorrekturen weg von Rechts stehe nun der nächste Schwenk zur Mitte oder gar zur Linken bevor – auf dem Weg »in ein anderes Land«. Seehofer missfällt schon lange, wie sehr die Kanzlerin die Union angeblich »sozialdemokratisiert« und zugleich die CSU wie ein schwieriges Kind behandelt.

Tatsächlich jedoch gibt es bei Angela Merkel keinerlei Affinität zu sozialdemokratischen oder gar grünen Ideen; das hat sie nicht nur immer wieder betont, sondern auch mit ihrem Weg nach 1989 bewiesen. Sie hat allerdings ein sensibles Gespür für die Erfordernisse des Machterhalts und weiß, dass sie dafür einen Partner auf der Rechten derzeit nicht findet, sondern allein in der Mitte des politischen Spektrums. Das begriff sie bereits 2005, als sie mit ihrem neoliberalen Wahlprogramm beinahe gescheitert wäre und umstandslos die gerade noch bekämpften Sozialdemokraten zum Regierungspartner machte – wobei diese ihr freilich in der eigenen Enttäuschung über den Machtverlust weit entgegenkamen.

Das fiel der SPD umso leichter, als sie zuvor schon mit der Agenda 2010 deutlich in die Mitte gerückt war; es fand also neben der »Sozialdemokratisierung« der Union auch eine »Christdemokratisierung« der SPD statt, was seither – sieht man einmal von dem gescheiterten schwarz-gelben Intermezzo 2009 bis 2013 ab – zu einer relativ stabilen Regierung hierzulande geführt hat, obwohl es im Bundestag eigentlich eine strukturelle Mehrheit links von der Union gibt.

 

Dabei registriert Merkel viel mehr als der SPD-Vorsitzende die Zentrifugalkräfte, die auf beide Parteien einwirken. Die Debatte auf dem jüngsten SPD-Kongress und das schlechte Wahlergebnis, das Sigmar Gabriel dort erhielt, zeigten ihr, dass die Mehrheitsverhältnisse auch für die Koalition fragil werden könnten, wenn sich die Union zu weit von der SPD entfernt. Auf der anderen Seite kann sie den Druck seitens der CSU und des großen konservativen Teils der CDU-Basis nicht ignorieren – so wenig wie Gabriel den linken Flügel seiner Partei. Dass er es dennoch und dazu wie der Elefant im Porzellanladen tut, ist einer der Gründe für das anhaltende Umfragetief der SPD und die daraus resultierende wachsende Nervosität innerhalb der Partei.

Merkel hingegen wählte eine andere Taktik, die auch viel mit ihrer DDR-Vergangenheit zu tun hat. Sie hatte in ihrer speziellen Situation als Pfarrerstochter in einer kirchenfeindlichen Umwelt beizeiten begriffen, dass es nichts bringt, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Ihr Vater hat sie darin bestärkt, indem er gelegentliches Ungestüm bremste. Später lernte sie gar, sich dosiert mit den Verhältnissen zu arrangieren – und steuerte so auf eine vielversprechende wissenschaftliche Karriere zu. Jetzt, als CDU-Vorsitzende, vermied sie die Konfrontation mit ihrer Partei. Stattdessen schwor sie diese auf sich ein – mit der von ihr ansonsten verpönten Emotionalisierung auf dem Parteitag und gleichzeitiger Relativierung ihres Widerstands gegen eine Flüchtlings-Obergrenze durch die weitestgehende Verschärfung des Asylrechts seit der 1990er-Jahren. Auf diese Weise bremste sie vorläufig auch die Kritik aus der CSU.

Nicht erst diese für viele Betroffene fatale Verwandlung des »freundlichen Gesichts« in eine unerbittliche Miene zeigt, wie wenig es Angela Merkel bei ihrer Entscheidung über die Grenzöffnung Anfang September um die Flüchtenden ging. Schließlich spitzte sich die Situation an den europäischen Grenzen seit Jahren zu und war spätestens im April eskaliert, als Hunderte im Mittelmeer ertranken. Doch die Regierung unternahm nichts Konstruktives, um das Problem anzugehen; eher verschärfte sie es durch die Durchsetzung eigensüchtiger Positionen. Erst als die Zustände sich Anfang September zu einem gordischen Konten verstrickt hatten, handelte die Kanzlerin – urplötzlich und ohne jede konzeptionelle Vorbereitung.

Auch dies geschah nach einem schon bekannten Muster. 1998 empfand die gerade frisch gekürte Generalsekretärin der CDU die von der Spendenaffäre ausgelöste Verunsicherung in der Parteizentrale wohl auch als einen gordischen Knoten, den sie unvermittelt mit ihrer Distanzierung von Helmut Kohl in einem FAZ-Artikel zerschlug. Ähnlich die Absage an einen forcierten neoliberalen Kurs in der Wirtschaftspolitik nach den Wahlen 2005, die zur großen Koalition führte, oder die Durchsetzung des Atomausstiegs nach der Katastrophe von Fukushima. Einer ihrer Templiner Mitschüler schilderte einmal, dass sie 45 Minuten gebraucht habe, ehe sie vom Drei-Meter-Brett sprang – erst nach dem Klingelzeichen. Das räumt sie selbst als Metapher auch für ihr politisches Handeln ein: »Ich brauche beachtliche Anlaufzeiten, und ich versuche, möglichst viel vorher zu bedenken. Spontan mutig bin ich nicht.«

Merkels Zaudern rührt aus dem Bemühen, Widerstand klein zu halten und Misserfolge zu vermeiden; es führt aber auch zu Versäumnissen und einer Potenzierung der Probleme – so sehr, dass irgendwann nur noch der harte Schnitt, die totale Umkehr hilft. Wenn das Klingelzeichen, das Alarmzeichen kommt, weiteres Abwarten unerträglich wird, handelt die Kanzlerin, ohne Ansage und Vorbereitung – damit aber auch ihre Partei und die gesamte Gesellschaft herausfordernd. Sie, die das anscheinend Unmögliche eines Systemwechsels in der DDR miterlebt hat, vertraut am Ende auf die Dynamik unumgänglicher Wandlungsprozesse und kaschiert damit nicht zuletzt die eigene lange Unentschlossenheit.

In der Union hat das nach 1998 ebenso geklappt wie mit der Großen Koalition 2005, eine Energiewende ist eingeleitet, das Bild auf hilfebedürftige Fremde verändert sich bei der Mehrheit der Menschen. Da kann man schon auf die Idee kommen, es gebe doch so etwas wie geschichtliche Gesetzmäßigkeiten, und man sei Teil einer Kraft, »die Sorgen nicht nur aufnimmt, sondern die gestaltet und Lösungen findet«, wie Angela Merkel in Karlsruhe sagte. Oder die – wie sie es in ihrer Jugendzeit in der DDR gelernt hat – an der »Erfüllung einer historischen Mission« arbeitet.

Verteiler: Neopresse

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »