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»Burning the Reichstag«: Die abgefackelte Verschwörung

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Tabu für Deutsche: Wer die Schuldigen am Reichstagsbrand benennt, der legt die Wurzeln des Naziregimes bloß. Zu einem in der BRD bisher nicht erschienenen Werk des New Yorker Historikers Benjamin Carter Hett.

Noch nie hatte ich Rudolf Augstein so ausgelassen, hämisch und schadenfroh erlebt wie in dieser kleinen Ressortleiterkonferenz morgens um zehn im Dezember 1969. Er strahlte vor Glück. Gisevius hatte nun auch seinen letzten Prozess verloren. Das war der Endsieg über alle, die noch daran zu zweifeln wagten, dass der Niederländer Marinus van der Lubbe ganz allein am 27. Februar 1933 den ReichstagFehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 2) angezündet hatte – und nicht die Nazis.

»Über den Reichstagsbrand wird nach dieser Spiegel-Serie nicht mehr gestritten werden. Es bleibt nicht der Schatten eines Beleges, um den Glauben an die Mittäterschaft der Naziführer lebendig zu erhalten.« Verkündet hatte Augstein das

zehn Jahre zuvor, 1959, nach einer langen Fortsetzungsgeschichte des niedersächsischen Verfassungsschützers Fritz Tobias. Hans Bernd Gisevius, über dessen Niederlage sich der Spiegel-Herausgeber so unbändig freute, war ein deutschnationaler Beamter aus dem preußischen Innenministerium, den die Nazis 1933 in die neugegründete Geheime Staatspolizei (Gestapo) zunächst übernommen hatten. Doch am 20. Juli 1944 war er im Bendlerblock dabei, floh aber in die Schweiz, bevor ihn seine einstigen Kollegen verhaften konnten. Er nahm dort auch – doppelter Verrat! – Kontakt mit dem US-Geheimdienstchef Alan Dulles auf. Gisevius beschuldigte in seinem durchaus etwas romanhaften Buch »Bis zum bitteren Ende« (Zürich 1946) den Unternehmer und ehemaligen SA-Führer Hans Georg »Pistolen-Heini« Gewehr, mit seinen Leuten den Reichstag angezündet zu haben.

Jetzt, 1969, schien der Streit – durch Gerichtsurteil – ein für allemal beendet. Gisevius musste um die 30.000 D-Mark Schadenersatz an den Sturmführer a. D. zahlen; die Ehre des SA-Manns war wiederhergestellt und Gisevius war – auch finanziell – ruiniert. Der Herausgeber des deutschen Nachrichtenmagazins durfte sich freuen.

»Ehrlicher« SA-Mann

»›This Story is about Something Fundamental‹: Nazi Criminals, History, Memory, and the Reichstag Fire«. So ist in der soeben erschienenen Juni-Nummer der führenden Fachzeitschrift Central European History ein langer Aufsatz von Benjamin Carter Hett überschrieben, dem Ordinarius für Geschichte an der City University of New York. Sein Resümee ist dort auch auf deutsch zu lesen: »Seit nunmehr über 80 Jahren streiten sich die Geister darüber, wer genau am Abend des 27. Februar 1933 den Reichstag in Brand gesetzt und dabei den Nationalsozialisten den Vorwand geliefert hat, die Weimarer Verfassung durch die sogenannte Reichstagsbrandverordnung auszuhebeln. Unter Historikern besteht seit den sechziger Jahren der Konsens, dass es sich bei dem Brandstifter um einen Einzeltäter – den niederländischen Maurergesellen Marinus van der Lubbe – gehandelt habe; die Nationalsozialisten selbst hätten dagegen nichts mit dem Brand zu tun gehabt. Interessanterweise haben nur wenige Historiker die Motive hinter der These, dass es sich um einen Einzeltäter gehandelt haben soll, sowie die Gründe für die allgemein positive Rezeption dieser Behauptung unter deutschen Nachkriegshistorikern beleuchtet. Der hier vorliegende Artikel jedoch wendet sich – unter Einbeziehung neu entdeckter Quellen – bewusst den juristischen und politischen Hintergrundinteressen der These vom Einzeltäter zu. Diese wurde nämlich von ehemaligen Nationalsozialisten entwickelt, während Versionen des Reichstagsbrandes, die eine Komplizenschaft der Nationalsozialisten nahelegten, fast ausschließlich von ehemaligen Widerstandskämpfern und Opfern der NS-Diktatur vorgetragen wurden. Aus diesen Gründen reagierten Nachkriegshistoriker auf diese Versionen der Geschichte auf eine ganz ähnliche Weise wie auf Berichte von Tätern und Opfern des Holocausts, nämlich mit einer bemerkenswerten Neigung, den Berichten der Täter mehr als denen der Opfer zu glauben – eine Tendenz, die bis vor kurzem nicht nur die Debatte über den Reichstagsbrand, sondern auch andere Forschungsgebiete des Dritten Reiches beeinflusst hat.«

Ausführlich hat Hett seine Forschungen und Thesen schon Anfang 2014 in seinem bisher im Täterland unbekannten Buch »Burning the Reichstag« vertreten, das Anfang 2014 im angesehenen Verlag Oxford University Press erschien und in den USA wie in Großbritannien gerade unter Historikerkollegen fast nur zustimmend diskutiert wird. Wie kaum ein anderer ist der Autor geeignet, den Reichstagsbrand und vor allem den ab September 1933 beginnenden Prozess vor dem Leipziger Reichsgericht zu untersuchen. Er war Rechtsanwalt, bevor er schließlich Ordinarius für Geschichte wurde. Und er hat bei seinem Gang in die Archive auch einiges von dem entdeckt und bekräftigt, was die Außenseiter der deutschen Reichstagsbrandforschung Alexander Bahar und Wilfried Kugel, Gerhard Brack und Hersch Fischler in ihren Büchern und Aufsätzen veröffentlichten.

Hett hat sich die Düsseldorfer Urteile aus den sechziger Jahren im Verfahren des SA-Manns Gewehr gegen den Widerstandskämpfer Gisevius angesehen und las dort oft nur wenig verfälschten Nazijargon. Aber wie sollte es auch anders sein: Auf dem Gebiet der Bundesrepublik gab es mehr Nazirichter als zu Roland Freislers Zeiten – die aus der DDR in ihre Beamtenrechte im Westen geflohenen waren dazugekommen. So waren in diesen Richtersprüchen die Nazis selbstverständlich »Parteigenossen«. »Systemzeit« war die geläufige Bezeichnung für die Weimarer Republik – so, wie sie es gelernt hatten und wie es in den sechziger Jahren noch jeder altgediente SA-Mann verstand. Und natürlich würdigte dieses Gericht auch den »politischen Eifer« des jungen SA-Manns Gewehr und rechnete es ihm hoch an, dass er seinen Lebenslauf in einer »bemerkenswert offenen, ehrlichen und zuversichtlichen Art« geschildert habe. Hett: »Diese offene, ehrliche und zuversichtliche Führung (des SA-Mannes, O. K.) bezog sich natürlich nicht auf irgend etwas, was Gewehr als Massenmörder in Polen und der Sowjetunion erledigte.« Schon Bahar und Kugel hatten in den Archiven entdeckt, dass 1940 selbst Gewehrs Vorgesetzte ihm eine »ernste Missbilligung« aussprachen, weil er »Gefangene durch Genickschuss tötete und seine Strecke durch Kerbschnitte im Pistolenschaft registrierte«. Das änderte allerdings nichts daran, dass »Pistolen-Heini«, wie Gewehr schon Anfang der dreißiger Jahre bei der SA hieß, 1943 zum Major der Schutzpolizei im Osten aufstieg.

Diese Gewaltkarriere begann früh – weithin sichtbar am jüdischen Neujahrstag, dem 12. September 1931, auf dem Kurfürstendamm. Mit dem Ruf »Deutschland erwache« und »Juda verrecke« prügelte die SA auf alle ein, die sie für Juden hielten. Gewehr saß mit den SA-Führern Karl Ernst und Wolf-Heinrich Graf von Helldorf in einem Opel-Cabriolet, der Berlins Prachtstraße auf- und abfuhr, um die SA-Leute zu kommandieren.

Dieser Kudamm-Pogrom ist der Ausgangspunkt, von dem aus Hett die einzelnen Stationen bis zum Reichstagsbrand schildert: November 1931 die Boxheimer Protokolle, die unter der Vorgabe eines kommunistischen Aufstands die Vorlage für ein Ermächtigungsgesetz liefern, wie es dann auch unmittelbar auf den Reichstagsbrand folgte. Minutiös schildert der Geschichtsprofessor, wie Propagandachef Joseph Goebbels einen Bombenanschlag auf sich selbst arrangierte –- ebenso eine Vorlage für das, was am 27. Februar 1933 geschah. Hett liefert den handfesten Indizienbeweis dafür, dass Hans Georg Gewehr an diesem Tag über den unterirdischen Gang von Görings Reichstagspräsidentenpalais in das Parlament eindrang, die Vorhänge und Wände mit einer selbstentzündlichen Phosphorflüssigkeit besprühte, die sich schon beim Vernichten gegnerischer Wahlplakate bewährt hatte. Van der Lubbe musste kaum noch ein Streichholz dagegenhalten. Die Sachverständigen bestätigten später im Prozess, dass in den wenigen Minuten, die der Niederländer zur Verfügung hatte, ein Mann allein unmöglich einen solchen Brand hätte entfachen können.

Es war Rudolf Diels, der erste Chef der Gestapo, der am 22. Juli 1946 als Zeuge im Nürnberger Prozess die Nazis selbst als Reichstagsbrandstifter beschuldigte. Er verlangte, dass »Pistolenheini« Gewehr, der sich in einem US-Internierungslager befand, zum Reichstagsbrand aussagen sollte. Diels war kompetent und sachkundig, ja, er war mit dem Reichstagsbrand umsichtig und vorausschauend umgegangen.

Haftbefehle vor der Tat

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(Bereits um 18 Uhr am 27. Februar 1933, dem Tag des Reichstagsbrands, ging die Anweisung raus, nach dem Feuer Kommunisten – wie hier tags darauf in Düsseldorf – als Verdächtige zu verhaften. Aber erst um 21.05 Uhr stand das Gebäude in Flammen)

Sechs Stunden bevor das Feuer im Parlament aufflammte, bereits um 15 Uhr, verfasste Diels am 27. Februar 1933 ein Telegramm, das um 18 Uhr an alle Polizeidienststellen in Preußen Es war dringend, denn kommunistische Provokationen seien zu erwarten. Anordnung: »Geeignete Gegenmaßnahmen sind sofort zu treffen, kommunistische Funktionäre erforderlichenfalls in Schutzhaft zu nehmen.« Pünktlich um 21.05 Uhr brannte dann der Reichstag.

In der Nacht wurde Diels bei der Ausgabe weiterer Haftbefehle von seinem Mitarbeiter Heinrich Schnitzler, dem späteren Leiter der Gestapoabteilung I, tatkräftig unterstützt. Im Februar 1947 orientierte sich Diels um und schrieb Schnitzler: »Es scheint mir wichtig, unsere Arbeit als eine einheitliche Widerstandsleistung darzustellen, die zunächst den Gang der Entwicklung weg vom Rechtsstaat und hin zum reinen Terrorismus verzögert hat.« Wie zweckmäßig: Der erste Gestapochef betrachtete sich also zugleich als einer der ersten Widerstandskämpfer gegen die Nazis. Aber gezündelt hatten sie jetzt plötzlich nicht mehr. So verfasste sein Kollege Schnitzler darauf im Frühjahr 1949 in der deutschfreundlichen Züricher Zeitschrift Neue Politik eine fünfteilige Serie »Der Reichstagsbrand in anderer Sicht«: »Marinus van der Lubbe war der Täter, der einzige Täter«. Dessen Motiv: »Er wollte den Nazis zeigen, dass die ›Linke‹ noch da war.« In einer langen Spiegel-Serie schrieb dann der mit Augstein nahezu befreundete ehemalige Gestapochef Diels erstmals öffentlich den Freispruch für die Nazis fest, den 1959 der Verfassungsschutzmann Fritz Tobias mit seiner Reichstagsbrand-Fortsetzungsgeschichte im Spiegel in aller Ausführlichkeit bestätigte.

Dann wieder vollzog Diels, dieser »Wanderer zwischen den Welten« im Stern und in Weltbild eine erneute Kehre – die Nazis waren nun doch die Anzünder. Eine ausgesprochen ungesunde Lebensweise. Mit 56 Jahren starb er plötzlich und nahezu unerwartet bei einem Jagdunfall.

In den fünfziger und sechziger Jahren ging es für die ehemaligen Gestapo- und Kripobeamten um ihre Existenz. Es war für sie eine Frage des Überlebens, ob die Nazis unschuldig waren oder nicht. Die Kriminalpolizisten, die mit Marinus van der Lubbe zu tun hatten, hatten nach 1945 ein Problem: ihre Verbrechen im Osten. Im Spiegel gab es 1949/50 – lange vor der Reichstagsbrandserie – eine umfangreiche, von Augstein selbst redigierte und freudig kommentierte Fortsetzungsgeschichte zur Rechtfertigung der pflichtgetreuen preußischen Kriminalbeamten aus dem Reichssicherheitshauptamt. Diese hätten mit den Verbrechen der Nazis nichts zu tun gehabt und sollten nun endlich insbesondere im neuzugründenden Bundeskriminalamt wieder eingestellt werden. Autor war der Kriminalrat und SS-Hauptsturmführer Bernd Wehner, der an mörderischen Menschenversuchen im Osten beteiligt und 1949 als Reporter bei dem deutschen Nachrichtenmagazin untergetaucht war. 1954 bis 1970 leitete er dann die Kripo Düsseldorf – und wurde Schriftleiter des Fachorgans Kriminalistik, in dem vor und nach 1945 auch SS-Obersturmbannführer und Kriminaldirektor Walter Zirpins schrieb.

Zirpins gehörte 1933 zusammen mit den Kriminalkommissaren Helmut Heisig (1942 SS-Sturmbannführer – er war als lokaler Gestapo-Chef an der »Evakuierung« der Würzburger Juden beteiligt) und Rudolf Braschwitz (im Krieg bei der Geheimen Feldpolizei zur »Partisanenbekämpfung« tätig) zu der von Hermann Göring eingesetzten Sonderkommission zur Untersuchung des Reichstagsbrandes.

Historiker in der Bredouille

Nach dem Krieg behaupteten sie, sie hätten von Anfang an Görings These von einer »kommunistischen Verschwörung« bezweifelt und immer und unerschrocken auf der Alleinschuld van der Lubbes bestanden. Hett in der Welt vom 24. Mai 2015: »Preußische Beamte eben, unabhängig von den gerade an die Macht gekommenen Nazis, nur dem Recht und der Wahrheit verpflichtet.« Zirpins hatte zwar in seinem Abschlussbericht geschrieben: »Die Frage, ob van der Lubbe die Tat allein ausgeführt hat, dürfte bedenkenlos zu bejahen sein.« Doch, so zitiert Hett weiter: »Wesentlich anders aber liegt die Frage, ob Lubbe zu seiner Tat von dritter Seite angestiftet worden ist.« Und da legt Zirpins die erwartete Spur zu den Kommunisten. Nur ein paar Sätze später merkt er an: »Die Frage, ob auf die (von van der Lubbe) geschilderte Art und Weise besonders der umfangreiche Brand im Plenarsaal so schnell entstehen konnte, dürfte zwar noch durch Sachverständige zu prüfen sein.« Und letztere sagten im Reichstagsbrandprozess unisono: Allein konnte van der Lubbe das Feuer in der Kürze der ihm verfügbaren Zeit nicht gelegt haben. Die so gegen die KPD gelegte Spur, macht heute den Vertretern der Unschuld der Nazis viel Kummer.

Inzwischen geht es – das hat Hett herausgearbeitet – um das Renommee der Leute, die sich auf die Alleintäterthese eingelassen haben – oft mit grotesken Mitteln wie der Historiker Hans Mommsen oder ein Verfassungschützer wie Fritz Tobias. Es geht also um die Historiker, die Scheinbeweise voneinander abschrieben und die, anders als der betagte Mommsen, ihren Ruf noch zu verlieren haben. Nicht zuletzt geht es um die Medien, inbesondere den Spiegel, der sich mit sektiererhaftem Realitätsverlust seit mehr als einem halben Jahrhundert an Rudolf Augsteins Unschuldsdekret für die Nazis festkrallt.

Der Trend der neueren Forschung hat, bemerkt Hett in »Burning the Reichstag«, gewisse Unterscheidungen weggewischt. Er zeigt: Soldaten, Polizeioffiziere, Richter, Beamte des Auswärtigen Amtes und des Justizministeriums und vieler anderer Institutionen waren in die Verbrechen des Regimes tief verstrickt. Und der Reichstagsbrand war der Beginn des wohl grausamsten Regimes der menschlichen Geschichte.

Die Kontrolle des Narrativs über den Reichstagsbrand zieht die Kontrolle über alles nach sich, was danach geschah, heißt es bei Hett. Und wer die Schuldigen am Reichstagsbrand benennt – oder geheimhält –, der legt die Wurzeln des Naziregimes bloß – oder er verdeckt sie. Der fanatische Kampf für die Einzeltätertheorie erweist sich so als eine Verschwörung zur Vertuschung von weit größeren Naziverbrechen. Niemand beweist das besser als der hannoversche Nachkriegskripochef Walter Zirpins, der 1933 als erster Marinus van der Lubbe verhört und die damals zunächst unerwünschte These von dessen Alleintäterschaft aufgestellt haben will – die Gerichtsprotokolle zeigen etwas anderes. Er hatte als Kripochef von ?ód? die mörderische Ghettoisierung und Ausplünderung der Juden betrieben und dann auch noch 1941 triumphierend in der Fachzeitschrift Kriminalistik über die »Zusammenpferchung von Kriminellen, Schiebern, Wucherern und Betrügern« berichtet.

Niedersachsen war damals auch nach den eignen Ermittlungen Hetts eine Nazihochburg, braun von der sozialdemokratischen Spitze an. Der erste Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf von der SPD war unter den Nazis als führender Mitarbeiter der Haupttreuhandstelle Ost an der Plünderung von polnischem und der »Arisierung« von jüdischem Eigentum beteiligt (wie auch der erste Bundesverfassungsgerichtspräsident Hermann Höpker-Aschoff in dieser Institution als Chefjurist an der Vernichtungs- und Vertreibungspolitik der Nazis beteiligt war). Kopfs kriminelle Karriere wird inzwischen nicht mehr geleugnet: Der »Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz« am Landtag heißt seit April dieses Jahres Hannah-Arendt-Platz.

Als Kopf zwischen 1957 und 1959 in einer Koalitionsregierung den Innenminister machte, stellte er seinen Parteifreund Tobias von der Routinearbeit im, ja, »Verfassungsschutz« frei, damit der sich ganz seinen Reichstagsbrandforschungen widmen konnte. Die waren dringend und gerade damals besonders wichtig. Kopf habe, schrieb Tobias, wegen seiner eigenen Erinnerungen im Fall Zirpins und vor allem wegen seiner eigenen bitteren Erfahrungen mit den »skrupellosen Fälschungen der Kommunisten« – die polnische Regierung hatte 1948 Kopfs Auslieferung gefordert –, die ganze »Tragweite meiner Arbeit« erkannt, und wann immer er ihm darüber berichtete, »ermutigte er mich, das weiterzumachen«.

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(Der US-amerikanische Geschichtswissenschaftler Benjamin C. Hett klärt auf: Marinus van der Lubbe (hier ein undatiertes Foto) wurde von den Nazis angestiftet, den zuvor von ihnen präparierten Reichstag anzuzünden)

Konsequent bis in den Sarg

Im Sommer 2008 empfing Fritz Tobias den Autor Benjamin Carter Hett in seinem Haus. Der fragte ihn, warum er in den weit über 90 Jahren seines Lebens das alles auf sich genommen habe. Die Antwort des greisen Vaters der NS-Unschuldstheorie: »Sie glauben, die Kommunisten sind weg? Die sind nicht weg. Ihr Staat ist weg, sie sind es nicht.« Und dann erzählte er die ganze Wahrheit über den Reichstagsbrand: Hitler habe sich selbst in seiner spontanen und ehrlichen Anklage der Kommunisten gefangen. Davon konnte er nicht mehr zurück, ohne als nachgiebig zu erscheinen, etwas, was sich Hitler nie erlaubt hätte. Und dann war er sofort beim alten Feind, der noch im Krieg, während er selbst an der Front stand, sich in Zürich für den Widerstand mit dem US-Geheimdienstchef Allan Dulles austauschte. Hett: Tobias sagte, genauso sei es mit der »Nacht der langen Messer« gewesen, in der – da ist er wieder – Gisevius’ Ränke Hitler in den Glauben trieben, dass Ernst Röhm und die SA etwas gegen ihn planten. Da er nun einmal den SA-Führer als Verräter angeklagt hatte, konnte er nicht mehr zurück.

Auch Tobias konnte nicht mehr zurück, da er nun einmal seit den fünfziger Jahren die Verfassung geschützt hatte. Sein Buch zum Reichstagsbrand war erstmals 1962 im Grote-Verlag erschienen, dessen Eigentümer ein SS-Mann war. Als es kurz nach seinem Tod 2011 neu aufgelegt wurde, war der neue Tobias-Verleger, wie noch zu Lebzeiten ausgehandelt, der wegen Holocaust-Leugnung vorbestrafte Wigbert Grabert. Konsequent bis in den Sarg.

Hetts Buch – diese »peinlich genaue Untersuchung« zum Reichstagsbrand, so Hitler-Biograph Ian Kershaw – ist bis auf zwei folgenlose Rezensionen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Sonntag und im Berliner Tagesspiegel in Deutschland eineinhalb Jahre lang reichlich unbekannt geblieben. Die deutschen Historiker blieben mäuschenstill. Auf der Leipziger Buchmesse im März hat keiner der Verlage, die sich sonst nicht die Übersetzung eines englischsprachigen Buchs über die Nazizeit so leicht entgehen lassen, dieses Werk präsentiert: Rowohlt nicht und nicht Piper, nicht Siedler und nicht die Deutsche Verlagsanstalt, und schon gar nicht Beck.

Benjamin Carter Hett: Burning the Reichstag: An Investigation into the Third Reich’s Enduring Mystery, Oxford University Press. Oxford, Februar 2014, 413 Seiten, ab 18,80 Euro.

Literatur:

Der Reichstagsbrand: Geschichte einer Provokation von Alexander Bahar

Wall Street und der Aufstieg Hitlers von Antony C. Sutton

Wer Hitler mächtig machte: Wie britisch-amerikanische Finanzeliten dem Dritten Reich den Weg bereiteten von Guido G. Preparata

Hitlers amerikanische Lehrer: Die Eliten der USA als Geburtshelfer der Nazi-BewegungvonHermann Ploppa

Quellen: Archiv Preußischer Kulturbesitz/jungewelt.de vom 20.06.2015

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