Freitag, März 29, 2024
StartPolitikEU„Darum wäre der UN-Migrationspakt gut für Deutschland“ – Experte

„Darum wäre der UN-Migrationspakt gut für Deutschland“ – Experte

Deutschland würde vom aktuell heiß diskutierten UN-Migrationspakt „nur profitieren“. Das sagt der Heidelberger Jurist Memet Kilic im Exklusivinterview für Sputnik. „Der Pakt könnte positiven Druck auf Migrations-Staaten wie die Türkei ausüben.“ Dem widerspricht der Berliner Völkerrechtler Gerd Seidel: „Ich warne Berlin vor der Unterzeichnung.“

„Es ist richtig, dass der Pakt kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag ist“, sagte Memet Kilic, Rechtsanwalt und Politiker (Die Grünen) aus Heidelberg, im Sputnik-Interview. Es sei eigentlich eine Absichtserklärung in der Diplomaten-Sprache und damit der Versuch, einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ innerhalb der UN-Weltgemeinschaft zu finden. Solche Absichtserklärungen gebe es oft. „Diese können – müssen aber nicht – in der Zukunft in einen multilateralen (internationalen, Anm. d. Red.) Vertrag enden. Die UN-Staaten tun sich in der Regel zusammen, um auszuloten, welche Bereitschaft die Weltgemeinschaft weitestgehend hat, um ein bestimmtes Thema zu regeln.“

Bei einer UN-Konferenz in Marrakesch, Marokko, am 10. und 11. Dezember soll „der ‚Global Compact for Migration‘ der Vereinten Nationen offiziell angenommen werden“, schreibt das Magazin „Focus“. Der Pakt umfasse eine Reihe von Leitlinien und Maßnahmen.

Jurist: „UN-Pakt ist sehr vernünftig“

Einer solchen UN-Konferenz habe der Heidelberger Jurist in Südafrika im Jahr 2001 selbst beigewohnt.

„Ich war auf dieser UN-Konferenz als Vorsitzender des Bundesausländerbeirates (heute: Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat)“, so Kilic. „Dort ging es um Anti-Diskriminierung, um Arbeit gegen Fremdenfeindlichkeit. Dort habe ich praktische Erfahrungen gemacht, wie die NGOs und die staatlichen Diplomaten auf diesem Gebiet operieren. Es ist auf jeden Fall sehr interessant, dass jetzt eine gesamte Welt zusammenkommt und wenigstens ein Bewusstsein dafür schafft, wie man dieses Problem vernünftigerweise gemeinsam lösen kann.“

Im Bereich der weltweiten Migration erkenne der Rechtsanwalt nun innerhalb der UN „eine Anstrengung, das Problem anzugehen“. Der Pakt sei aus seiner Sicht „sehr vernünftig“. Der UN-Pakt fördere nicht – entgegen mancher kritischer Stimmen – die globale Migration, sondern er setze „menschenwürdige“ Maßstäbe für Menschen, die bereits ihre Heimat verlassen haben. „Wenn die Menschen migrieren müssen, wird diese Migration dann geordnet“. Wichtig sei auch, dass die Staaten „gemeinsam Verantwortung übernehmen. Dass überall gewisse Mindeststandards herrschen, auf denen sich die Migranten berufen können. Das ist auf jeden Fall dringend nötig und sehr vernünftig.“Er nannte UN-Statistiken, nach denen 2017 weltweit insgesamt 280 Millionen Menschen als Migranten verzeichnet waren. „Und fast 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht.“

„Deutschland profitiert vom Pakt“

„Es werden insgesamt 23 Ziele im UN-Pakt genannt.“ All diese UN-Ziele seien nach deutschem Recht „bereits als Mindeststandards erfüllt. Deutschland muss auf dem Gebiet nichts mehr tun. Daher kann dieses Dokument so gesehen nur zu Gunsten von Deutschland sein. Nun müssen sich auch andere Länder anstrengen und diese Voraussetzungen erfüllen.“ Der Pakt könne helfen, den internationalen Migrationsdruck zu verringern. „Dann wird der Druck auf die Migranten, aus- oder weiterzuwandern, auch weniger. Daher hat Deutschland – taktisch gesehen – nichts zu verlieren und kann nur gewinnen.“

Deutschland könne nur profitieren, wenn auch andere Staaten ihre Standards anpassen würden. Der globale Pakt bekräftige die nationale Souveränität der Staaten und gebe ihnen die Möglichkeit, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereiches „in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht“ selbst zu regeln. Das habe keine Nachteile für Berlin.

Positive Änderungen für Migration durch UN-Pakt

Durch den Pakt müssten sich jetzt auch „andere Länder anstrengen“, um menschenwürdige Mindeststandards bei der Migration zu erfüllen. Er nannte Beispiele.

„Stellen sie sich vor, dass die Türkei diese Voraussetzungen erfüllt. Dann müssen die syrischen Flüchtlinge dort die Türkei nicht mehr über gefährliche See- und Landwege verlassen. Oder wenn Griechenland diese Voraussetzungen erfüllt, dann ist dieser Druck der Weiterwanderung von dort nach Deutschland nicht mehr so groß.“ Selbst Nahost-Länder wie der Iran oder Irak könnten bereits vor Ort die Migration Richtung Deutschland stoppen, wenn dort Mindeststandards gelten würden.„Nein“ zum Migrationspakt: „Populistische Stimmungsmache“

Im Bundestag hat sich bisher öffentlich die AfD als einzige Partei  gegen den UN-Migrationspakt positioniert. Auch innerhalb der Union äußern sich ablehnende Stimmen. So sagt die CDU in Leipzig „Nein“ zum Pakt. Auch die CDU in Sachsen-Anhalt habe dies so beschlossen. „Auf ihrem Landesparteitag in Röblingen am See am Samstag hat sich die CDU Sachsen-Anhalt gegen den Migrationspakt der Vereinten Nationen (UN) ausgesprochen“, berichtet der „MDR“. „Bei einer Abstimmung hatte die Mehrheit beschlossen, die Bundesregierung zur Ablehnung des Pakts aufzufordern.“

Für den Juristen Kilic sind diese Manöver durchschaubar. „Ich glaube, es gibt eine populistische Diskussion auf dem Gebiet. Viele Politikerinnen und Politiker haben gemerkt, dass die Menschen eine gewisse Grund-Angst gegenüber Migration haben. Das liegt in der Natur des Menschen, das ist erstmal nicht schlimm. Aber wenn gestandene Politiker so eine vernünftige Absichtserklärung dermaßen instrumentalisieren, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Dann ist das aus meiner Sicht verwerflich.“

Er nahm die politische Elite, die „Nein“ zum UN-Migrationspakt sagt, in die Pflicht.

„Deshalb müssen diese Politiker erklären, welcher Punkt aus dem Pakt inwiefern Länder oder Personen schaden wird. Ich sehe so etwas nicht.“ Bisher fehle ihm der Nachweis, durch welche inhaltlichen Punkte der Pakt tatsächlich negative Auswirkungen auf die bundesdeutsche Politik habe.

Kritik am UN-Pakt

Dieser Einschätzung widerspricht der Völkerrechtler Gerd Seidel. „Es gibt eine Reihe von äußeren Merkmalen, welche die Vermutung nahelegen könnten, dass der sogenannte Globale Pakt für sichere, geordnete und geregelte Migration (GCM, Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration) künftig völkerrechtlich verbindlich sein wird“, schreibt er in einem aktuellen Beitrag für die „Preußische Allgemeine“ in der Print-Ausgabe, die der Redaktion vorliegt. „Dafür würde die Bezeichnung als Pakt ebenso sprechen wie die zahlreichen auf einen Vertrag hindeutenden Formulierungen mit detaillierten Verpflichtungserklärungen oder die wiederholte Berufung auf Menschenrechtsübereinkommen und die UN-Charta.“

Dennoch seien solche Dokumente „in ihrem Wirkungspotenzial nicht zu unterschätzen“, so der Berliner Jurist Seidel. „Sie können – wie die internationale Praxis zeigt – auf verschiedenen Wegen eine Eigendynamik entwickeln, die nach einer gewissen Zeit in der völkerrechtlichen Verbindlichkeit mündet. Das gilt allerdings nicht für jene Staaten, die sich der Annahme oder Unterzeichnung widersetzt haben. Die Bundesrepublik Deutschland würde sich also als Unterzeichnerstaat dieser Dynamik nur schwer entziehen können.“180 Staaten werden Pakt unterzeichnen

„Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der UN-Mitglieder inklusive Deutschland diesen Pakt in Marrakesch im Dezember unterzeichnen werden“, sagte der Heidelberger Jurist Kilic im Interview. „Weil das wirklich vernünftige Ziele sind, die auch von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gedeckt sind. Ich glaube auch daran, dass irgendwann die bisher ablehnenden Staaten wie die USA, Österreich, Polen oder Australien einsehen werden, dass die populistische Stimmungsmache nichts genutzt hat. Das werden wir noch sehen.“

Wohl mehr als 180 UN-Staaten werden „dem UN-Migrationspakt beitreten“, schreibt die „Welt“. Auch Deutschland werde dabei sein, die Regierungskoalition aus Union und SPD unterstütze den Pakt.

Quelle!:

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