Samstag, April 20, 2024
StartPolitikEuropaDas Regelwerk von Dublin liegt auf der Intensivstation im Sterben

Das Regelwerk von Dublin liegt auf der Intensivstation im Sterben

Der Asylstreit zwischen CDU und CSU belastet das politische Klima in Deutschland und der EU. Ein Sondergipfel am Sonntag in Brüssel ist wegen des Boykotts der so genannten Visegrad-Staaten schon vor Beginn gescheitert. Was ist rechtlich möglich oder durchsetzbar? Sputnik sprach mit dem österreichischen Juristen und Buchautoren Stefan Brocza.

Andreas Peter

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen mit Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten in Österreich. Er stellt nüchtern fest, dass einerseits mehrere EU-Staaten seit 2015 geltendes Recht nicht mehr anwenden, andererseits dem bundesdeutschen Innenminister Horst Seehofer vielleicht Vorhaltungen in punkto Stil gemacht werden können, aber juristisch gesehen versteht Brocza die Kritik an Seehofer nicht:

„Es wäre völlig normal, Personen, die in anderen Mitgliedsstaaten Asyl beantragt haben, in das betreffende Land zurückzubringen. Es wäre auch rechtlich völlig gedeckt, diesen Personen die Einreise in ein anderes EU-Land zu verwehren. Das Eigenartige an der Diskussion in Deutschland ist, dass Horst Seehofer derzeit, bei aller Kritik an seiner Person und wie er es macht, in Wirklichkeit nur das Einhalten von Gesetzen fordert.“

Deutschland hat den Migrationsdruck unterschätzt
Von den bekanntgewordenen Vorschlägen, die auf einem Sondergipfel am Sonntag in Brüssel beraten werden sollen, ist Stefan Brocza genauso wenig begeistert wie die so genannten Visegrad-Staaten, die aus Verärgerung dem Treffen fernbleiben werden. Sie argwöhnen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihnen eine Abschlusserklärung unterjubeln wolle, deren Details sie schon einmal abgelehnt hatten. Brocza sieht das Dilemma für die Bundesregierung in Berlin so:

„Ich glaube, dass Deutschland das vor ein paar Jahren unterschätzt hat, wie viele Leute da kommen und was sie mit dieser Aussage lostreten werden.“

Denn nach Ansicht Broczas haben die anderen EU-Staaten stillschweigend in Kauf genommen, dass Deutschland „in einem Überschwang von Menschlichkeit“, wie Brocza das nennt, regelrecht dazu aufgefordert hat, die Regeln von Dublin zu umgehen und einen Grundsatz außer Kraft zu setzen, was sich nun bitter rächt:

„Asylrecht heißt nicht, dass ich mir das Land aussuchen kann, in dem ich Asyl beantrage.“

Wenig Anreize für andere EU-Staaten, Deutschland in der Asylfrage beizustehen
Genau das aber hat sich seit 2015 eingebürgert. Und weil viele Länder kein Interesse daran haben, dass auf ihrem Territorium, das unzweifelhaft ein so genanntes sicheres Herkunftsland darstellt, Asylsuchende verbleiben, die ausdrücklich nach Deutschland streben, besteht auch wenig Anreiz, sich auf wie auch immer geartete Rücknahmemechanismen einzulassen. Hinzu kommt, dass im Zweifel kein Politiker so ehrlich und so mutig wäre, die einzig logische Konsequenz zu wählen, also Menschen an den Grenzen abzuweisen, denn, so Brocza:

„Es geht um die schlechten Bilder. Sehen sie ja in den USA, ein weinendes mexikanisches Kind, und sie bringen sogar Donald Trump dazu, sein Vorgehen zu hinterfragen und zu ändern.“

Natürlich sei es schwer, sich bestimmten Migrationsbewegungen effektiv zu entziehen oder entgegenzustellen, aber komplett wehr- und hilflos sei die EU-Staaten auch nicht, meint Brocza, sie müssten eben nur entschlossen sein:

„Wäre ich Manns genug, den Konflikt zu lösen, dann hätte ich nicht den Konflikt an der Außengrenze oder ich hätte ihn nicht so stark. Aber es stimmt, sie können nicht Hunderttausende Menschen daran hindern, eine Grenze zu überschreiten, außer sie haben furchtbare Bilder. Man kann aber durchaus darauf hinweisen, dass es Regeln gibt und dass Regeln einzuhalten sind. Nur, wenn sie sich die Staaten anschauen, die gerne weiterschicken oder die Leute weiterwandern lassen, ist es natürlich auch verständlich, dass die Griechen oder auch Italien irgendwann einmal sagen, sie können nicht mehr, sie können nicht alle aufnehmen, weil das das erste Land wäre, wo jemand über die Grenze kommt. Dann bräuchten sie aber diesen internen Verteilungsschlüssel in der Europäischen Union, den aber auch keiner will.“ 

Die geplanten Schutzzonen außerhalb der EU öffnen juristische Büchse der Pandora
Die geplanten Schutzzonen, außerhalb der EU, die wahrscheinlich in Nordafrika entstehen würden, betrachtet Borcza mit Skepsis:

„Natürlich öffnet sich da die juristische Büchse der Pandora. Aber die vorgelagerte Frage ist, wo wollen sie das denn machen, und welcher der Staaten in Nordafrika ist denn wirklich bereit dazu? Und dann stellt sich die Frage, welches Recht gilt denn dort, welches nationale Asylrecht gilt? Wenn sie das jetzt irgendwo in Nordafrika machen, gilt da jetzt deutsches, österreichisches, polnisches, finnisches oder schwedisches Asylrecht und wer nimmt wen auf und wo gehen die Leute hin? Das wäre dann so dieses Riesenproblem, das Juristen sehen. Aber das vorgelagerte politische Problem ist, welcher Staat ist ganz konkret, unter welchen Bedingungen bereit, so eine komische Zone dort einzurichten? Und wenn sie hören, da ist niemand bereit dazu, das zu machen.“

Nach Ansicht von Stefan Borcza ist Dublin noch nicht tot, das bislang formal noch geltende Regelpaket der EU für Zuwanderung liegt seiner Meinung nach „auf der Intensivstation und röchelt, aber man darf die Hoffnung nie aufgeben, aber es bedarf großer Anstrengungen.“

Gespräch mit Stefan Brocza   Quelle!

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »