Donnerstag, April 18, 2024
StartZARONEWS PresseAgenturDer große Provokateur

Der große Provokateur


Schau in Berlin über den Filmemacher und Schriftsteller Pier Paolo Pasolini

Pier Paolo Pasolini gilt als eine der herausragenden und schillerndsten Persönlichkeiten des …

intellektuellen Europas der Nachkriegszeit. Die Ausstellung „Pasolini Roma“ im Berliner Martin-Gropius-Bau beleuchtet jetzt dessen Jahre in Rom.
Pier Paolo Pasolini erscheint als Gestalt aus einer anderen Zeit. Sein Name ist längst zu einem Symbol geworden; er steht für Unbeugsamkeit gegenüber der Gesellschaft und Kompromisslosigkeit gegen sich selbst. Pasolini ragt wie ein Monolith aus einer goldenen Zeit italienischer Kultur. Er repräsentierte den intellektuellen und politischen Aufbruch der 50er und 60er Jahre.

Pasolinis radikales, auch provokantes Werk – radikal in seiner Wut und in seiner Schönheit – scheint in den letzten Jahren immer mehr hinter der ikonografischen Figur PPP verschwunden zu sein. Immerhin: Seine Literatur wird von einer jüngeren Generation italienischer Schriftsteller und Dichter wieder zitiert, auch wegen ihrer gesellschafts- und konsumkritischen Implikationen. Der Filmemacher Pasolini hingegen wirkt heute – wie viele Autorenfilmer seiner Generation – als verlorener Träumer inmitten einer verlogenen Traumfabrik. Als eine Kraft aus der Vergangenheit hat Pasolini sich selbst begriffen. Und als solche wird er in einer großen Ausstellung in Berlin lebendig.

„Ich floh mit meiner Mutter, einem Koffer und ein wenig Schmuck, / der sich als falsch herausstellte, / im Zug, langsam wie ein Güterzug, / durch die friaulische Ebene, unter ihrer dünnen und harten Schneeschicht. / Wir fuhren nach Rom“ Diese Zeilen aus dem Poem „Dichter der Asche“ steht unübersehbar groß im Vestibül der Ausstellung „Pasolini Roma“, die nach Stationen in Barcelona, Paris und Rom nun auch im Berliner Gropius-Bau zu sehen ist. Der Titel spielt an auf die große und spannungsreiche Liebesgeschichte mit einer Stadt, die ein Vierteljahrhundert lang Schauplatz des Lebens und Arbeitens von Pier Paolo Pasolini war.

28 Jahre alt ist Pasolini, als er 1950 zusammen mit seiner Mutter nach Rom flieht. Der junge, homosexuelle Dichter war wegen angeblichen Missbrauchs Jugendlicher angezeigt worden; man hatte ihn aus dem Schuldienst entlassen und wegen unmoralischen Verhaltens aus der Kommunistischen Partei geworfen. Schon den jungen Pasolini versuchten seine Feinde mundtot zu machen; mehr als 30 Prozessen musste er sich im Laufe der Jahre stellen. Rom war eine Befreiung, zugleich auch eine Herausforderung. Seine Stoffe fand er auf den Straßen der Ewigen Stadt, von deren Randbezirken er sich immer weiter ins Zentrum vorarbeitete: „Ragazzi de vita“ aus dem Jahr 1956 erzählt von den Elendsvierteln Roms ebenso wie sein erster Film „Accatone“ aus dem Jahr 1961. Pasolini wurde bewundert für seine Sprachkraft: Die Regisseure Federico Fellini oder Mauro Bolognini engagierten ihn als Drehbuchschreiber, weil kein anderer das Milieu des Subproletariats so gut kannte wie Pasolini, weil kein anderer auch die Dialekte und Jargons der Lumpenproletarier so genau aufschnappte wie er.

Die Ausstellung zeichnet die verschiedenen Stationen von Pasolinis römischen Jahren nach, allesamt eng verknüpft mit seinen Arbeiten: Zu sehen sind nicht nur Briefe, Fotografien, Manuskripte, Zeitungsartikel, Zeichnungen, sondern auch Filmausschnitte und Fernsehinterviews, Stadtpläne, die auf die wichtigen Orte von Pasolinis Schaffen verweisen, seine Schreibmaschine oder sein Fiat 1100, mit dem er 1963 für die Dokumentation „Gastmahl der Liebe“ durch ganz Italien reiste, um seine Landsleute zu ihrem Verhältnis zur Sexualität zu befragen. Die chronologisch angelegte Schau endet mit der bis heute Rätsel aufgebenden Ermordung Pasolinis in Ostia.

Was man der Schau hoch anrechnen darf: Bei aller historischen Detailgenauigkeit führt sie Pasolini als einen Autor, Filmemacher und Denker vor, der etwas über unsere Gegenwart sagen kann. Denn sein Widerspruchsgeist, seine poetische Absolutheit, seinen Hang zum Exzessiven, auch seine inneren Widersprüche charakterisieren ihn zwar als eine Kraft, die aus der Vergangenheit kommt, die aber immer aufs Jetzt verweist.

 
Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »