Samstag, April 20, 2024
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Desaster in Afghanistan: Der verlogene Bundeswehr-Einsatz

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Auch nach Ende der ISAF-Mission will Deutschland Soldaten an den Hindukusch schicken. Doch die Bilanz des Einsatzes ist desaströs – der Westen marschiert in Afghanistan ein und zieht sich am Ende aus der Verantwortung.

Neues für Afghanistan: Zum Jahreswechsel wird die NATO-geführte „International Security Assistance Force“ (ISAF) in Afghanistan aufgelöst – nach dreizehn Jahren. Der Mission am Hindukusch unterstanden zeitweise mehr als 140.000 Soldaten, davon 5.000 aus Deutschland. Inzwischen sind es deutlich weniger, doch ganz abgezogen werden sie nicht. Im Dezember soll der Bundestag über ein neues Mandat abstimmen. Die Diskussion zeigt: Die Politik hat aus dem Desaster in Afghanistan nichts gelernt.

Die Kosten des bisherigen Einsatzes belaufen sich allein für die Bundesrepublik nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf 26 bis 46 Milliarden Euro. Dennoch konnten die ISAF-Truppen das Land nie 

unter Kontrolle bringen. Über 3.450 Soldaten der westlichen Koalition sind bislang gestorben. Zudem sollen mehr als 43.000 Zivilisten im Rahmen des Einsatzes – auch der US-Anti-Terror-Mission „Operation Enduring Freedom“ – getötet worden sein. Die soziale Lage ist katastrophal.

Der „Human Development Index“ der Vereinten Nationen listet Afghanistan aktuell auf Platz 169 von 187. Stabilität gibt es in dem Land ebenso wenig wie ein funktionierendes politisches System. Doch deutsche Politiker und Militärs reden die Situation schön oder weisen die Verantwortung für Probleme von sich.

Zwar gibt es von der Bundeswehr keine offizielle Evaluation des Afghanistan-Einsatzes, die Analysen einzelner Führungskräfte geben jedoch einen Einblick in die Bewertung des Einsatzes. So zieht Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München, in der Fachzeitschrift Internationale Politik ein positives Fazit: Die Bundeswehr habe sich am Hindukusch zu einer „Einsatzarmee weiterentwickelt, die heute das gesamte Spektrum militärischer Aufgaben einschließlich des Gefechts abdecken und ausüben“ könne. Und das, „obwohl die Mission an sich als gescheitert gelten kann, das Land alles andere als stabil ist, die Gefahr eines langanhaltenden Bürgerkriegs fortbesteht und man mit einer erneuten Machtübernahme durch die Taliban rechnen muss.“ Als Durchbruch sieht Masala die geänderten Einsatzregeln für deutsche Soldaten aus dem Jahr 2009. Sie erlauben, unangekündigt und sogar auf fliehende Angreifer zu schießen. Auch das „präventive Element des deutschen Einsatzes“ sei gestärkt worden, schreibt er.

Dass der Versuch, einen funktionierenden afghanischen Staat aufzubauen, gescheitert sei, liege nicht an den ISAF-Streitkräften, so der Tenor vieler Militärs. Hans Frank, Vize-admiral a. D. und früher Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, macht für die Probleme die Politik verantwortlich. Sie habe zum Beispiel nicht genügend Polizisten ausbilden lassen, kein Justizsystem installiert und den Drogenhandel zu wenig bekämpft.

Demokratische Wahl?

Doch auch die Politiker sehen sich für die schlechte Situation in Afghanistan nicht in der Verantwortung – und äußern sich erstaunlich selten zu den Vorgängen im Land. Zumindest die Sichtweise der Bundesregierung ist in dem vor wenigen Tagen verab-schiedeten „Fortschrittsbericht Afghanistan 2014“ zusammengefasst. In dem Bericht feiert die deutsche Regierung die dortige Präsidentschaftswahl im April dieses Jahres als „den ersten friedlichen, demokratischen Machtwechsel“ im Land.

Demokratisch? Schon vor der Abstimmung wurde bekannt, dass 30 Prozent mehr Wähler-karten im Umlauf waren, als es Wahlberechtigte gibt. Die Wahl wurde zudem von zahl-reichen Anschlägen überschattet und weitere Ungereimtheiten führten zur Anfechtung des Ergebnisses und zu monatelangen Verzögerungen. Erst durch Einmischung der Außen-minister von Deutschland und den USA konnte eine Einigung zwischen den Kontrahenten gefunden werden. Gewonnen hat der frühere Weltbank-Angestellte Aschraf Ghani. Damit wurde ein dem Westen gewogener Politiker zum Nachfolger Hamid Karzais, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte.

Auch die Sicherheitslage wird in dem Regierungsbericht positiver dargestellt, als sie ist: Die von westlichen Militärs ausgebildeten afghanischen Truppen hätten trotz der „erheblichen Bedrohung“ durch regierungsfeindliche Kräfte entlang bedeutsamer Verkehrswege und im kompletten Norden des Landes für eine „ausreichend kontrollierbare“ Sicherheitslage gesorgt, heißt es. Ignoriert wird dabei, dass in Kunduz, wo die Bundeswehr bis zum Oktober 2013 ihr zweitgrößtes Feldlager in Nordafghanistan hatte, die Taliban wieder auf dem Vormarsch sind. Im August hissten sie auf einer damals auch von der Bundeswehr genutzten Polizeistation im Vorort Char Darah symbolträchtig ihre Flagge.

Der Bericht erwähnt zwar auch einige kritische Vorgänge in Afghanistan, doch vom Scheitern der Bundeswehr am Hindukusch wird nicht gesprochen. Das Fazit endet mit Pathos: „Wir haben in Afghanistan für seine Menschen und für die internationale Ordnungspolitik viel erreicht, aber wir sind noch lange nicht am Ziel.“ Der Ausgang des Afghanistan-Engagements sei noch nicht absehbar und es käme nun auf die neue afghanische Führung und auf die Gesellschaft an. Das heißt: Der Westen marschiert in Afghanistan ein und zieht sich am Ende aus der Verantwortung.

Doch wer den Einsatz für gescheitert erklärt, übersieht die eigentlichen westlichen Interessen. Es war nie das Ziel, den Afghanen Wohlstand, eine sichere Zukunft oder Demokratie zu bringen. Der Krieg in Afghanistan war eine Reaktion auf die Terror-anschläge 2001 in den USA und hatte einen „Regime Change“ zum Ziel. Daran gemessen war der Einsatz durchaus erfolgreich. Westliche Politiker haben – wie die vergangenen Wahlen noch einmal deutlich machten – großen Einfluss auf die afghanische Politik; und militärisch konnte das Land so weit unter Kontrolle gebracht werden, dass islamistische Terroristen aus Afghanistan keine Anschläge mehr im Westen verübten.

Westliche Kontrolle

Doch wegen der hohen Kosten und Gefahren ist ein Rückzug unumgänglich geworden. Seit Jahren übergeben die westlichen Truppen immer mehr Verantwortung in die Hände der afghanischen Sicherheitskräfte. Schwere Panzer und Kampfhubschrauber hat die Bundeswehr bereits mit immensem logistischen Aufwand zurück nach Deutschland gebracht. An der Politik soll das aber nichts ändern: Afghanistan steht politisch weiter unter westlicher Kontrolle, die Führungsriege des Landes ist von ausländischer Unterstützung abhängig – etwa von Geldern für Entwicklungshilfe.

Damit der Westen auch künftig Kontrolle über das Land hat, werden auch nach Ende des ISAF-Einsatzes NATO-Truppen in Afghanistan stationiert sein. Ab 2015 sollen sich nach Willen des Bundeskabinetts bis zu 850 Bundeswehr-Soldaten am Ausbildungseinsatz „Resolute Support Mission“ beteiligen. Die Linksfraktion wird traditionell gegen den Einsatz stimmen, doch auch die Grünen zeigen sich erstmals ablehnend: Dem Abgeordneten Tom Koenigs ist der Einsatz zu ineffektiv. Er fordert eine rein zivile Unterstützung Afghanistans. Doch auch ohne die Grünen wird das Mandat zustande kommen.

Deutsche Politiker ziehen aus dem Desaster am Hindukusch nicht die richtigen Konsequenzen. Die aggressive Militärpolitik soll nach dem Testfall Afghanistan sogar noch ausgebaut werden: Statt wie bisher 7.000 Soldaten soll die Bundeswehr nach aktuellen Plänen bald 11.000 Soldaten dauerhaft ins Ausland schicken können.

2001: Nach dem Sturz der Taliban und der Einsetzung von Hamid Karzai als Präsident schickt die Bundesregierung 1.200 deutsche Soldaten für den ISAF-Einsatz.

2003: Das deutsche Einsatzgebiet wird auf die Stadt Kunduz ausgedehnt und das Truppenkontingent auf 2.250 erhöht.

2007: Entsendung von Bundeswehr-Aufklärungsjets, um Ziele für Angriffe auszumachen. Mit der Mission „Harekate Yolo II“ findet die erste offensive Militäroperation unter deutscher Führung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Bis zu 3.500 Soldaten dürfen nun in Afghanistan stationiert werden.

2008: Die Bundeswehr stellt die Kampftruppe „Quick Reaction Force“.

2009: Bei einem von einem deutschen Oberst angeforderten Luftangriff nahe Kunduz sterben im September etwa 142 Menschen.

2010: Die Kontingentobergrenze wird auf 5.350 Soldaten erhöht.

2011: Die Bundeswehr beginnt, die Sicherheitsverantwortung an afghanische Armee und Polizei zu übergeben.

2012: Die Bundeswehr verlegt trotz des eigentlichen Abzugs erstmals neue Kampfhubschrauber vom Typ „Tiger“ nach Afghanistan.

2013: Abzug aus dem Bundeswehr-Lager in Kunduz.

Quellen: dapd/freitag.de vom 10.12.2014

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