Dienstag, April 16, 2024
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Deutschlands neues Kabinett – Zwischen Heimat und Flucht (Teil 3)

Das neue Bundeskabinett ist komplett. Vor allem die CSU möchte sich mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen im Herbst in Stellung bringen. Doch das Thema Migration und Integration will die SPD der Union nicht allein überlassen. Das spiegelt sich auch bei der Verteilung der Ministerposten wieder. Das birgt Streitpotential.

Stärker als bisher will die neue alte GroKo auf das Thema Flüchtlinge setzen. Während die CSU mit Polit-Urgestein Horst Seehofer das Heimatgefühl stärken will, schickt die SPD eine Lokalpolitikerin ins Rennen, die wie kaum jemand sonst praktische Erfahrung mit den Auswirkungen der Flüchtlingskrise gemacht hat. Wird sich also etwas ändern an der Willkommenskultur der vergangenen Jahre?

Servus und Grüß Gott – Der neue Innenminister 

Quelle Foto: CSU

Zum Ende seiner langen politischen Karriere will es Horst Seehofer noch einmal wissen: Der 68-Jährige wechselt ein letztes Mal von München nach Berlin. Das Bundeskabinett ist für den gebürtigen Ingolstädter wohl bekannt, als Bundesminister für Gesundheit Anfang der 90er Jahre und als Landwirtschaftsminister Mitte der 2000er war Seehofer bereits tätig. Nun wird für den CSU-Chef eigens ein Innen-, Heimat- und Bauministerium geschaffen.

Das Herzensthema der CSU, die Migration, steht neben der inneren Sicherheit ganz oben auf der Agenda Seehofers. Schon 2010 erklärte der Bayer, ein Fachkräftemangel könne kein „Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein.“ Im Land befindliche Ausländer sollten „qualifiziert und integriert“ werden. Das war vor der Flüchtlingskrise von 2015. Angela Merkels Willkommenskultur nennt Seehofer bis heute einen Fehler, der Deutschland noch lange beschäftigen werde. Er sehe keine Möglichkeit, „den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen.“

Als Bundesinnenminister will Seehofer nun das Regionale mit dem Nationalen verbinden – und damit auch der AfD den Kampf ansagen. Auf der einen Seite sollen Asylverfahren künftig an zentralen Stellen gebündelt und damit beschleunigt werden, die Zuwanderungszahlen werden begrenzt. Auf der anderen Seite plant der CSUler, abgekoppelte Regionen – vor allem im ländlichen Raum und in ostdeutschen Bundesländern – finanziell zu fördern. Ob der Heimatminister damit Wähler von der AfD zurückgewinnen kann, bleibt abzuwarten.

Das politische Schwergewicht – Arbeit und Energie

Quelle Foto: Deutscher Bundestag

Auch er will sich verstärkt um den Osten kümmern. Und um den Mittelstand. Und Unternehmensgründer. Und um die Energiewende. Das Programm des neuen Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier ist umfangreich, seine gesteckten Ziele ambitioniert. Aber klar ist auch, ein Wirtschaftsminister ist auch immer gleichzeitig ein Lobbyminister, denn den Kontakt zu Konzernen, Großunternehmen, Banken und der Wirtschaft zu pflegen steht in seiner Jobbeschreibung.

Altmaier ist einer der engsten politischen Verbündeten von Angela Merkel, dafür hat die Kanzlerin den Saarländer stets mit wichtigen Posten bedacht. Ob als Bundesumweltminister nach dem Rauswurf von Vorgänger Norbert Röttgen 2012, oder zuletzt als Chef des Bundeskanzleramts. Selbst als Bundesfinanzminister war Altmaier kurzzeitig eingesetzt, nachdem Wolfgang Schäuble vor einigen Monaten zum Bundestagspräsidenten ernannt wurde. All diese Ämter leitete er meist ohne Tumult und großes Aufsehen.

So viel Markt und so wenig Bürokratie wie möglich, das wird das Motto Altmaiers in der kommenden Legislaturperiode sein. Auch will der Minister eine neue Gründungsoffensive „von der Bäckerei bis zum Start-Up“ fördern, der Mittelstand sei das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Das klingt schon sehr nach SPD-Handschrift. Ebenso wie der Ausbau erneuerbarer Energien: Bis 2030 sollen sie einen Anteil von 65 Prozent im Strommix stellen. Was davon Peter Altmaier mit oder gegen die Wirtschaft durchsetzen kann, wird sein Verhandlungsgeschick zeigen.

Neukölln ist überall – Das Familienministerium

Quelle Foto: Dr. Franziska Giffey

Sie war die Wunschkandidatin der SPD in den ostdeutschen Bundesländern: Die Neuköllner Bürgermeisterin Dr. Franziska Giffey. Geboren in Frankfurt an der Oder, zuletzt geachtete Bürgermeisterin des Berliner Problembezirks Neukölln. Einer der größten Unterstützer: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Nachdem die Union keinen einzigen Ressortchef aus dem Osten für das neue Bundeskabinett präsentiert hatte, präsentierte die SPD-Führung am Freitag die 39-Jährige als neue Familienministerin.

Giffey steht im Problembezirk Neukölln für Integration und Law and Order. Seit mehr als 15 Jahren ist die SPD-Politikern dort unterwegs: Erst als Europabeauftragte, dann als Bezirksstadträtin für Bildung und schließlich als Bezirksbürgermeisterin. „Mit ausgestreckter Hand und klaren Regeln“ müsse man den gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit begegnen, so die designierte Familienministerin. Giffey nennt Probleme beim Namen: Ein Großteil der Intensivtäter in Berlin Neukölln käme aus dem arabischen Milieu, das müsse man auch benennen und sich um Lösungen kümmern.

Als Bundesfamilienministerin mit einem scharfen Blick auf Integration und Migration könnte Giffey das sozialdemokratische Gegengewicht zur CSU im künftigen Kabinett sein. Sie weiß, wovon sie redet, wenn es um die Auswirkungen der Flüchtlingskrise geht. In ihrem eigenen Ressort gibt es noch weitere Aufgaben für die verheiratete Mutter eines Sohnes: Das Kindergeld soll um 25 Euro pro Kind und Monat steigen, die Kinderarmut soll mittels eines Maßnahmenpakets bekämpft und einkommensschwache Familien entlastet werden.

Das Bildungsministerium — Eine Fehlbesetzung?

Quelle Foto: Deutscher Bundestag

Anja wer? Und warum? Die große Überraschung seitens der CDU war die Benennung von Anja Karliczek zur neuen Bundesbildungsministerin. Die 46-Jährige ist erst 2013 in den Deutschen Bundestag gewählt worden und trat bisher nicht sonderlich in Erscheinung. Das Bildungsressort entspricht nicht gerade ihrem bisherigen Werdegang: Die Diplom-Kauffrau hat sich bisher hauptsächlich mit Finanzthemen beschäftig. Bis sie sich eingearbeitet habe, wolle sie keine fachlichen Fragen beantworten, so die designierte Ministerin.

Die Reform der Lebensversicherungen, die betriebliche Altersvorsorge, der Bund-Länder-Finanzausgleich, damit kennt sich die Münsteranerin aus. Mit Bildung bisher eher nicht. Das Amt scheint sie vor allem bekommen zu haben, weil sie eine Frau und katholisch ist — und aus Nordrhein-Westfalen kommt. Der NRW-Landesverband der CDU hatte sich eine Belohnung verdient, weil es ihm gelungen war, die Landtagswahlen entgegen aller Prognosen zu gewinnen. Und da es intern Kritik gab, es seien zu viele Protestanten auf Spitzenpositionen, kam Karliczek der Kanzlerin wohl gerade recht.

Zu tun gibt es im Bildungsressort eine Menge: Die Parteien wollen das Kooperationsverbot im Grundgesetz weiter lockern, damit der Bund Geld in Schulen stecken kann. Zwei Milliarden Euro sind für den Ausbau von Ganztagsschulen und —betreuung geplant. Außerdem sind eine Milliarde Euro für eine Bafög-Reform, 600 Millionen Euro für eine bessere Ausstattung der Universitäten und fünf Milliarden Euro für den „Digitalpakt“ für Schulen geplant. Eine Menge Geld – aber mit Zahlen kennt sich Karliczek ja aus.

Der Umwelt zuliebe…

Quelle Foto: NWRSPD

Svenja wer? Die designierte Bundesumweltministerin ist zwar ebenfalls ein neues Gesicht im politischen Berlin, die bisherige NRW-Generalsekretärin ihrer Partei bringt jedoch fachliche Kompetenzen mit. Sieben Jahre führte Svenja Schulze unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das größte Bundesland als Wissenschaftsministerin mit. Im Landtag saß sie fünf Jahre für die SPD im Umweltausschuss. Außerdem ist die 49-Jährige Mitglied im Naturschutzbund Deutschland (NABU).

Die scheidende Amtsvorgängerin Barbara Hendricks, wie Schulze aus der nordrhein-westfälischen SPD stammend, hatte 2013 ebenso überraschend und fachfremd das Ressort übernommen. Doch sie hat sich im Laufe der Zeit einen Namen als strenge Klimaschützerin gemacht – wenn auch gegen den Willen der Union. In diese Fußstapfen wird vermutlich nun auch Svenja Schulze treten.

Die künftige Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – so der komplette Name – wird sich vor allem gegen kritische Stimmen aus der Wirtschaft gegen den drohenden Klimawandel engagieren müssen. Auch gehören die Stärkung der ökologischen Standards innerhalb der EU und die Förderung der Nachhaltigkeit auf ihre Agenda. Im Koalitionsvertrag lassen sich dazu allerdings zumeist nur Worthülsen finden, die die neue Ministerin nun mit Leben füllen muss.

So geht es weiter:

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird der Deutsche Bundestag Kanzlerin Angela Merkel mit der Mehrheit von Union und SPD am 14. März im Amt bestätigen. Danach soll nach Angaben aus Koalitionskreisen dann sehr schnell das Regieren losgehen. Denn die europäischen und internationalen Partner warten seit Wochen auf eine klare Positionierung der Bundesregierung in verschiedenen Themenbereichen.

Rund ein halbes Jahr dauerte es von der vergangenen Bundestagswahl bis heute. Das ist die längste Zeit, die eine Regierungsbildung in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik bisher dauerte.

 

Qiuelle!

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