Donnerstag, April 25, 2024
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Die EU unter Zugzwang: Wie gefährlich ist Polens neue Regierung?

Foto: Sticker gegen Rechtspopulismus / Andreas Issleib / flickr - CC BY-NC-ND 2.0

Zunehmender Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und gesellschaftlicher Konsens, sich nicht dem „Diktat aus Brüssel“ unterwerfen zu wollen, treiben kräftigen Wind in die Segel sämtlicherFehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 3) rechtspopulistischer Parteien.

Die britische Ukip, Marie Le Pens Front National, die

österreichische FPÖ, die dänische Dansk Folkeparti und nicht zuletzt die Alternative für Deutschland freuen sich über kräftige Zugewinne quer über den europäischen Kontinent. Am Beispiel Polens lässt sich erkennen, was passiert, wenn derartige Parteien auch tatsächlich die Mehrheit im Parlament stellen.

Polens neues Gesicht

Mit 235 von 460 Sitzen ist es mit der erzkonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) erstmal seit 1989 wieder einer Partei gelungen, die absolute Mehrheit im Sejm (die mächtigere, gesetzgebende Kammer im polnischen Parlament) zu erlangen. Unmittelbar nach Amtsantritt Mitte November machte sich die neue Premierministerin Beata Szydlo daran Polen ein neues Gesicht zu verleihen. Dabei sei vor allem wichtig, dass das „Recht nicht über dem Wohl der Bürger steht“, so der PiS Abgeordnete Kornel Morawiecki. Ganz getreu Morawieckis Motto weigerte sich Polens Präsident Andrzej Duda (PiS) fünf Verfassungsrichter der alten Regierung zu vereidigen und setzte im Gegenzug fünf Richter an deren Stelle, die seiner Meinung nach besser für den Posten geeignet sind.

 

Auch die ehemaligen Chefs des polnischen Geheimdienstes bekamen die neue Gangart der nationalkonservativen PiS  schnell zu spüren. Nur 72 Stunden nach Regierungsantritt mussten vier der fünf Chefs ihren Platz räumen – sie würden eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Der ursprünglich wegen Amtsmissbrauch zu drei Jahren Haft verurteilte ehemalige Chef des Anti-Korruptions-Büros, Mariusz Kaminski, welcher noch vor dem eigentlichen Strafantritt von Duda persönlich begnadigt wurde, stellt nun das Oberhaupt des polnischen Geheimdienstes. Ebenso stehen Polens wichtigste Spitzenbeamte, rund die Hälfte der Direktoren polnischer Staatsfirmen, sowie zahlreiche regierungskritische Journalisten dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung. Geplant sind außerdem Umbesetzungen in Fernsehen und Rundfunk.

„Cholera auf den griechischen Inseln, Ruhr in Wien, alle Arten von Parasiten und Bakterien“

Von den 7000 Flüchtlingen, die Polen unter der alten Regierung noch bereit war aufzunehmen, wollen die Nationalkonservativen mittlerweile auch nichts mehr wissen.Parteivorsitzender Jaroslaw Kaczynski warnt lieber weiter vor möglichen „Schariazonen in Europa“ und vor drohenden Seuchen, die Flüchtlinge angeblich mit sich bringen:

„Cholera auf den griechischen Inseln, Ruhr in Wien, alle Arten von Parasiten und Bakterien, die in den Organismen dieser Menschen harmlos sind, können hier gefährlich werden.“

Zwar ist Kaczynski offiziell nur einfacher Abgeordneter, doch im Hintergrund ist er es, der dafür sorgt, dass alles seinen geplanten Lauf nimmt. Vor der Jahrtausendwende war der Zwillingsbruder des im April 2010 verstorbenen Präsidenten noch glühender Anhänger derSolidarnosc. Für einige Zeit war er sogar als Chefredakteur des Magazins „Tygodnik Solidarnosc“ tätig. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends schien sich seine politische Einstellung in eine neue Richtung zu neigen. 2001 gründete er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Lech Kaczynski die Partei Prawo i Sprawiedliwość („Recht und Gerechtigkeit“). Bei den Parlamentswahlen im September 2005 erlangten sie die Mehrheit der Stimmen und in Folge dessen wurde der Finanzfachmann Kazimierz Marcinkiewicz (PiS) zum Ministerpräsidenten ernannt. Nach nur wenigen Monaten wurde dieser unsanft aus seinem Amt gedrängt und Jaroslaw Kaczynski übernahm die Stelle des Ministerpräsidenten. Was folgte, war eine politische Hexenjagd auf angebliche kommunistische Gegner.

Ein schleichender Staatsstreich?

Kaczynskis neuestes Vorhaben widmet sich dem Versuch, das polnische Verfassungsgericht weitestgehend lahm zu legen, in der Absicht im Parlament beschlossene Gesetze möglichst unbeschwert verabschieden zu können. Zukünftig soll für Beschlüsse des Verfassungsgerichtes anstelle der sonst üblichen einfachen Mehrheit, eine Zweidrittelmehrheit von Nöten sein. Kritiker bemängeln, dass eine solche nur in äußerst seltenen Fällen zu Stande käme. Außerdem müssen für einen gültigen Beschluss laut dem Gesetzesvorschlag nun mindestens 13 der 15 Verfassungsrichter anwesend sein. Bisher waren neun Richter ausreichend. In einem weiteren Schritt wird versucht die obligatorische Wartezeit zwischen Antrag und Urteil (bisher zwei Wochen) auf drei bis sechs Monate auszudehnen. Mit anderen Worten soll die höchste gerichtliche Instanz Polens mundtot gemacht werden, da sie ihrer eigentlichen Aufgabe, der Kontrolle des Parlaments, nur noch schwer nachkommen können wird. Der Gesetzesvorschlag wurde bereits vom Sejm abgesegnet und muss nun nur noch vom Senat und vom Präsidenten gebilligt werden.

In der Opposition werden bereits jetzt Stimmen laut, die von einem „schleichenden Staatsstreich“ oder einer „Untergrabung der Demokratie“ sprechen. Polens ehemaliger Präsident Lech Walesa warnte in einem Fernsehinterview sogar von der „Gefahr eines Bürgerkriegs“. Auch EU-Ratsvorsitzender Jean Asselborn kritisierte die derzeitigen Entwicklungen in Polen. Man dürfe nicht den selben Fehler wie in Ungarn begehen.

 

„Wenn wir das bei einem großen EU-Land wie Polen zulassen, dann können wir uns von der EU als Wertegemeinschaft verabschieden.“

Prompt forderte auch die EU-Kommission Polens Außenminister Witold Waszczykowski auf, die Gesetzesänderung aufzuschieben und noch einmal zu überprüfen. Notfalls sehe man sich gezwungen über Sanktionen nachzudenken.

Polen hat’s schon einmal bewiesen

Auch innerhalb der Zivilgesellschaft stößt der neue Regierungsstil der PiS zunehmend auf Kritik. So zeigen Umfragewerte eine rasante Abnahme der Zustimmung für die Nationalkonservativen. Jedes Wochenende versammeln sich mehrere zehntausend Menschen in Warschau unter dem Motto „Das ist Warschau, nicht Budapest“. Auch in anderen polnischen Großstädten tragen mehrere tausend Demonstranten regelmäßig ihren Unmut auf die Straße. Mittlerweile waren auch in Berlin, Brüssel, London und sogar in Tokio Solidaritätskundgebungen zu beobachten. Polen konnte vor 25 Jahren schon einmal eindrucksvoll unter Beweis stellen, was es heißt als Zivilgesellschaft zusammenzustehen. Damals schafften sie die erfolgreiche Transformation von der Diktatur hin zur Demokratie. Aktuell ist es wichtiger denn je, sich die vor einem Vierteljahrhundert erkämpften Werte wieder in den Sinn zu rufen.

Die europäische Wertegemeinschaft

Die Wahlkampfversprechen der PiS, das Präsentieren einfacher, unkomplizierter Lösungen und der Ruf nach einer neuen Form des polnischen Patriotismus als Antwort auf die Flüchtlingskrise, mag zwar für viele Wähler attraktiv geklungen haben, stößt aber zunehmend auf Widerstand im In- und Ausland. Von Seiten der Europäischen Union wäre es jetzt an der Zeit aufzuzeigen, wo die Grenzen der Toleranz liegen. Es wäre an der Zeit aufzuzeigen, ob man es wirklich ernst meint mit der europäischen Wertegemeinschaft. Nach Art. 7 des Lissabon-Vertrags kann einem Mitgliedsland bei einem Verstoß gegen die EU-Grundrechte das Stimmrecht entzogen werden. Allerdings wurde auch im Falle Ungarns von einer derartigen Maßnahme abgesehen. Die Entwicklungen in Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbánsind unlängst bekannt.

Es wäre an der Zeit für die EU das Image des Schönwettervereins, der nur bei ruhiger See und Sonnenschein zu funktionieren scheint, abzuwerfen. Entwicklungen wie im Falle Polens und Ungarns sind derzeit in beinahe jedem Land der Union vorstellbar. Wenn die EU jetzt nicht klar aufzeigt, was geht und was nicht geht, wird die viel beschworene Wertegemeinschaft Stück für Stück zur Farce.

Verteiler: Neopresse

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