Dienstag, April 23, 2024
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Die Geister, die ich rief: Tausende Flüchtlingskinder werden in der EU zum Phantom

Zusammen mit Erwachsenen, die nicht ihre Verwandten sind, kommen sie an Europas Mittelmeerküste an, betreten den EU-Boden und … damit beginnt ihre Odyssee erst.

Minderjährige Flüchtlinge werden in Aufnahmezentren untergebracht, aus denen sie nach ein-zwei Tagen spurlos verschwinden. Es sind Tausende und Abertausende.

Kinder, Teenager, Jungen und Mädchen – gesucht wird nach ihnen nicht. Denn es gibt einfach niemanden, der eine Vermisstenanzeige erstatten würde. Zu gefährlich. „Die meisten Minderjährigen, die auf eigene Faust, ohne Begleitung von Erwachsenen, ankommen, verflüchtigen sich aus den Aufnahmezentren innerhalb der ersten 24 bis 72 Stunden“, sagt Paolo Rosera, Generaldirektor von Unicef Italia. Dass niemand zur Polizei gehe, sei erklärbar: Die Verantwortlichen in den Zentren würden von der Mafia kontrolliert, die Menschenhandel betreibe.

Allein in Italien sind in den letzten drei Jahren laut dem Ministerium für Arbeit und Soziales 5.828 Jugendliche aus den Aufnahmezentren verschwunden. Erfasst werden bei dieser Zählung nur diejenigen Minderjährigen, die bereits registriert worden sind. Indes hat die Nichtregierungsorganisation „Save the Chlidren Italia“ allein im vergangenen Jahr 2.440 vermisste Teenager gezählt.

„Minderjährige, die schon bei der Registrierung angaben, das 18. Lebensjahr erreicht zu haben, werden in dieser Statistik nicht aufgeführt“, sagt Rosera. „Es gibt keinen Zweifel, dass eine große Gruppe 15- und 16-Jähriger unter dem Druck der Mafia angibt, volljährig zu sein. Noch bevor sie an Bord der Schiffe gehen, die sie von Afrika nach Europa bringen, wird ihnen beigebracht, was sie den Registrierungsbeamten sagen müssen. Die Kinder werden ja weniger streng überwacht als die Erwachsenen.“

Wer sollte die Kinder auch beaufsichtigen? „Unsere Heime sind keine Gefängnisse. Wir haben kein Personal, keine Möglichkeit, um zu verhindern, dass die kleinen Flüchtlinge weggehen. Wenn sie zu uns kommen, haben sie schon eine Telefonnummer in Europa, die sie anrufen müssen. Von Menschenhändlern eingeschüchtert, die die Kinder in die neuen Länder schleusen, befolgen sie alle Anweisungen ohne Widerrede“, sagte Simona Fernandes, Mitarbeiterin eines sizilianischen Aufnahmezentrums, dem spanischen Nachrichtenportal „El Confidencial“.

Selbst wenn sich ein Mutiger findet, der es wagt, die Daten eines vermissten Jugendlichen an die Polizei weiterzugeben, ist es noch lange nicht sicher, dass die Carabinieri den Vermissten werden finden können. Zum einen gibt es überhaupt keine Gewissheit darüber, dass der oder die Minderjährige nach der Ankunft in der EU wahrheitsgemäße Angaben zur eigenen Person gemacht hat (die Meeresflüchtlinge landen ja meist ohne Papiere an). Zum anderen funktioniert die Koordination zwischen den europäischen Rechtsschutzbehörden, wie Experten betonen, nur mäßig. Es fehlt ein effektives internationales Ermittlungssystem, um vermissten Kindern wieder auf die Spur zu kommen.

Im besten Fall: Sklave in der Landwirtschaft
Die große Mehrheit (90 Prozent) der in den Aufnahmezentren registrierten Minderjährigen sind männlich. Sie stammen meist aus den Ländern Subsahara-Afrikas oder aus Ägypten. Ihr eigentliches Ziel auf der Flucht aus ihrer Heimat sind die Länder Nordeuropas. Sich diesen Traum vom besseren Leben zu erfüllen, wird für sie seit einigen Wochen zunehmend schwerer, weil die italienische und die französische Regierung ihre Migrationspolitik verschärft haben. Die Nichtregierungsorganisation „Oxfam Intermon“ berichtet inzwischen von Fällen, wo die französische Polizei den Flüchtlingen die Schuhsohlen abschneidet, damit sie ihre Reise nicht fortsetzen können.

„Die ägyptischen Behörden verfügen über Informationen, dass die meisten aus den Aufnahmezentren verschwundenen Kinder sich in italienischen Städten aufhalten“, sagt die Sprecherin von „Save the Children Italia“, Roberta Petrilli.

„Sie werden illegal und für einen Hungerlohn als Helfer in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Kinder haben dabei keine Möglichkeit, sich zu weigern, wegzulaufen oder sich zu beschweren. Ihre Eltern in den Herkunftsländern werden von den organisierten Banden kontrolliert – als Schuldner. Um die Kinder in der Hoffnung auf ein wenig Glück nach Europa zu schicken, müssen die Eltern irgendwo Geld auftreiben. Nach den Maßstäben ihrer Länder sind das gewaltige Summen: bis zu 10.000 Euro. Solche Kredite gewährt die Mafia ihnen gerne, die Kinder arbeiten die Schulden dann in Europa ab. Wie hoch die Zinsen sind, kann man nur vermuten. Aber ‚Wucher‘ ist diesem Fall ganz bestimmt keine Übertreibung“, so die Vertreterin der Kinderhilfsorganisation.

Und es kann sich glücklich schätzen, wer „nur“ als Halb-Sklave auf einer italienischen Obst- oder Gemüsefarm ackern muss. Es gibt noch eine andere Gruppe minderjähriger Migranten, die ganz anderen Zwecken im aufgeklärten Abendland dienen. Es sind vor allem Mädchen aus Nigeria, Somalia und Gambia, die EU-weit in den Bordellen verschwinden, wo sie gezwungen werden, den Sexualtrieb der Europäer zu befriedigen. Aber auch Prostitution unter männlichen Minderjährigen ist in der EU eine weit verbreitete und sichtbare Erscheinung, sagt Rosera, der Unicef-Direktor. „Fahren Sie einfach zum Bahnhof von Rimini, um sich davon zu überzeugen. Selbst wenn sie keinen Jungen für Sexvergnügen suchen, wird ein geschäftiger Zuhälter auf sie zugehen und ihnen mehrere Knaben zur Auswahl anbieten.“

Bei der Zahl verschwundener Kinder, die übers Mittelmeer nach Europa gekommen sind, führen Ägypten (1.513), Eritrea (1.326) und Somalia (1.241), gefolgt von Afghanistan, Nigeria und Gambia. 

Die „Deutsche Welle“ berichtet, 2015 seien in Deutschland 5.835 Migranten verschwunden – alles Minderjährige, die ohne Begleitung von Erwachsenen in die Bundesrepublik eingereist seien. Die Kinder hätten ihre Reise höchstwahrscheinlich fortgesetzt, nun aber im Geheimen, schreibt die Journalistin Helena Baers mit Verweis auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Bundestagsanfrage. Es gibt nun allen Grund zur Annahme, dass die „Weiterreise“ in den Herkunftsländern noch vor der Flucht der Minderjährigen geplant worden war. Wohin genau die Flüchtlinge (hauptsächlich aus Afghanistan, Syrien, Marokko und Algerien) aufgebrochen sind, hat das Ministerium nicht mitgeteilt. Eines weiß die Behörde aber: Von den rund 6.000 Verschwundenen sind 555 keine 14 Jahre alt.

„Wir könnten uns natürlich damit beruhigen, dass die Kinder vielleicht nach Schweden oder Dänemark weitergefahren sind, um dort bei Verwandten unterzukommen. Doch die Wirklichkeit sieht ganz bestimmt nicht so rosig aus“, sagt die Kinderrechtsexpertin Barbara Küppers von „Terres des Hommes“. Küppers berichtet, es gebe Fälle, dass die verschwundenen Kinder Opfer organisierter Banden werden, die mit Menschen handelten. Die Mitglieder solcher Banden „treiben sich ungeniert vor und in den Aufnahmezentren herum und locken die Teenager mit der Aussicht auf schnelles Geld. Wer zustimmt, wird meistens zur Straßenprostitution gezwungen.“

Keine Kinder, keine Sorgen
Plötzliches Verschwinden von Kindern ist ein gesamteuropäisches Problem, heißt es bei Europol. Allein 2015 seien in der ganzen EU „mindestens 10.000 minderjährige illegale Flüchtlinge“ verschwunden, sagte Anfang 2016 Brian Donald, Leiter des europäischen Kriminalamts, der Zeitung „The Observer“. Viele der Verschwundenen könnten auch „in die Hände von Verbrechern“ geraten sein. Die organisierte Kriminalität habe eine Struktur geschaffen, um die Flüchtlingsströme im eigenen finanziellen Interesse auszunutzen. Dem Europol liegen Informationen vor, dass etliche Minderjährige auf ihrem Weg nach Europa auch sexuell missbraucht würden.

Seit dem Interview des Strafverfolgers sind über zwei Jahre vergangen – getan hat sich in dieser Zeit, wie die spanische Agentur „EFE“ schreibt, nichts. Den Aufnahmezentren und Flüchtlingsheimen fehlt Personal, wegen unzureichender Finanzierung. Die Einrichtungen werden von den Spitzenpolitikern in der EU weiterhin vernachlässigt, was sie jedoch nicht davon abhält, lauthals eine Politik der offenen Türen zu verkünden, um damit politisch zu punkten. Diesen kläglichen Zustand wissen die Menschenhändler für sich zu nutzen.

„Die minderjährigen Flüchtlinge kommen in die Aufnahmezentren, weil sie Hilfe und Gewissheit für ihr Leben wollen. Aber wir bieten ihnen keine Lösung an. Dafür haben die Händler mit ‚lebender Ware‘ bessere ‚Aussichten‘ für sie, die den kindlichen Träumen und Hoffnungen scheinbar besser entsprechen“, sagt Valentina Otmačić vom kroatischen Unicef. „Es gibt keine Datenbank, in der diese Kinder erfasst würden. Es gibt auch keine Koordination zwischen den Ländern, die diese Kinder passieren. Exakte und verlässliche Zahlen kann ich nicht nennen. Aber ich kann mit absoluter Gewissheit sagen, dass die allermeisten dieser Kinder verschwinden. Und es kümmert sich auch niemand darum, wenn sie weg sind.“

Als Organspender ausgeschlachtet
Auf 200 Euro fiel der Preis eines illegalen Minderjährigen auf dem Schwarzmarkt im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Besonders aktiv werden die Menschenhändler derzeit in Italien, Ungarn, Deutschland und Schweden, schreibt die spanische Zeitung „Informacion“ unter Berufung auf Europol.

„Normalerweise werden die Kinder in Zweier- oder Dreiergrüppchen entführt, um möglichst unauffällig zu bleiben. Sie werden mit falschen Pässen ausgestattet und unter Androhung von Gewalt gezwungen, sich für Verwandte ihrer Begleiter auszugeben. Das Geschäft ist sehr einträglich, das Risiko aufzufliegen, ist minimal. Die Entführten werden zur Prostitution oder zur Sklavenarbeit gezwungen, oder man zwingt sie, stehlen zu gehen. Das Strafrecht vieler EU-Länder sieht ja Strafminderungen für minderjährige Täter vor, manchmal kommen sie auch einfach frei“, schreibt die spanische Zeitung.

Natürlich sind die schutzlosen Kinder auch hervorragende „Organspender“. Nach Europol-Informationen kostet eine Teenager-Niere auf dem Schwarzmarkt bis zu 230.000 Euro, eine Leber rund 133.000.

„Die Regierungen der EU-Länder kommen ihren Verpflichtungen zur Aufnahme von Flüchtlingen nicht nach. Die angebliche Sorge um die europäischen Werte ist nichts als eine vollmundige Erklärung“, schreibt die spanische Zeitung. Nichtregierungsorganisationen, die den Flüchtlingen helfen, würden als „Helfer der Schleppermafia“ abgestempelt. In Wirklichkeit versuche man dadurch nur, davon abzulenken, dass die Regierung die Finanzierung dieser NGOs einstellt. „An Kindern zu sparen, auch noch in dieser Form – tiefer sinken kann man wirklich nicht“, so das spanische Blatt.

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