Donnerstag, März 28, 2024
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Die Grenzschließung wird das Flüchtlingsproblem nicht lösen, sondern eher verschärfen

Foto: Bahnhof Keleti, Budapest. 3.September 2015: Eine Flüchtlingsfamilie verbrachte die Nacht vor dem Haupteingang des Bahnhofsgebäudes, welches seit einigen Tagen von der Polizei für Flüchtlinge gesperrt war. Die im Hintergrund stehenden Polizeikräfte zogen sich kurz nach dieser Aufnahme zurück, sodass viele Flüchtlinge in tumultartigen Szenen in das Bahnhofsgebäude stürmten und wahllos Züge bestiegen. Der internationale Zugverkehr in den Westen war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eingestellt. / Michael Gubi / flickr.com / CC BY-NC 2.0

Zumindest regierungsamtlich währte die deutsche Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen gerade einmal eine Woche. Während Tausende Bürger ehrenamtlich und mit großem Engagement das »Wir schaffen das!« ihrer Kanzlerin mit Leben erfüllten, kehrte Angela Merkel bei den ersten Schwierigkeiten und Unmutsäußerungen aus dem

rechten Flügel der Union zu ihrer Politik des Zauderns und Aufschiebens von Problemlösungen zurück – mit absehbar fatalen Folgen. Ihre zutreffende Erkenntnis – auch aus der Endzeit der DDR, dass zu allem entschlossene

Flüchtlinge letztlich nicht aufzuhalten sind, opferte sie vordergründig dem Frieden mit den Rechtspopulisten der CSU, aber auch in der eigenen Partei. Dahinter aber steht wohl vor allem die eigene ideologische Position, die weniger von Weltoffenheit als von nationalen Interessen bestimmt ist.

Sie waren es schließlich, die Deutschland und andere Staaten die Dublin-Regelungen ausdenken ließen, die alle Flüchtlingsbewegungen auf die Grenzstaaten der EU lenken sollten. Bar jeder Solidarität gegenüber diesen Anrainern nahmen sie ungerührt in Kauf, dass diese bald überfordert waren, wenn sich irgendwo Flüchtlinge Richtung Europa in Bewegung setzten. Sie nahmen auch in Kauf, dass sich diese Staaten schon bald – mehr objektiv als subjektiv – nicht mehr in der Lage sahen, grundlegende humanitäre Verpflichtungen einzuhalten. Italien stellte, nicht zuletzt auf Druck der reichen EU-Länder, seine Rettungsmaßnahmen im Mittelmeer ein, was Tausende dem Ertrinkungstod auslieferte. Griechenland ließ in seinen Flüchtlingslagern unhaltbare humanitäre Zustände zu.

Die Fluchtbewegung konnte das nicht bremsen, zumal die EU auch jegliche Solidarität gegenüber jenen Staaten des Nahen Ostens vermissen ließ, die als erste zu Zielen der Flüchtlinge wurden. In der Türkei, Jordanien und Libanon leben seit Jahren Tausende in Lagern, weil sie vor Kriegen fliehen mussten, die die USA und ihre reaktionären Verbündeten in der Region, vorrangig Saudi-Arabien anzettelten, ohne dass die EU dagegen ihre Stimme erhob, eher im Gegenteil. Diese Flüchtlinge, inzwischen ohne jede Hoffnung auf friedliche Zustände in ihrer Heimat, haben sich nun auf den Weg gemacht; ihre Verzweiflung wird sie alle auch an das von ihnen erstrebte Ziel bringen, wenn sie nicht jetzt noch, mitten in Europa, den Tod erleiden.

 

Die Kanzlerin antwortete auf diese humanitäre Notlage zwar mit dem richtigen Impuls, jedoch ohne tatsächliche innere Überzeugung. Sie versäumte es, über aufmunternde Worte hinaus die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten, um die zu erwartenden Probleme zu bewältigen. Sie überließ die Dinge dem Selbstlauf oder – schlimmer noch: Das Verhalten der Bundesbehörden und vor allem des zuständigen Bundesinnenministeriums erinnert fatal an das Jahr 1992/93, als die Bundesregierung das Flüchtlingsgeschehen schon einmal dem Selbstlauf überließ, dadurch chaotische Zustände provozierte und diese nutzte, um das bis dahin geltende Asylrecht faktisch abzuschaffen.

Jetzt blieb das Innenministerium wieder tatenlos. Minister Thomas de Maizière setzte nicht einmal einen Krisenstab ein, sonst eine Sofortmaßnahme bei jeder größeren Naturkatastrophe. Er überließ die Umsetzung der von Angela Merkel mit Österreich verfügten Grenzöffnung, der er von Anfang an ablehnend gegenüberstand, den Ländern und Kommunen und provozierte dort chaotische Zustände, um den Boden für eine Revision der Merkel-Verfügung zu bereiten. Schützenhilfe erhielt er dabei von der CSU und ihren Vorsitzenden Horst Seehofer, der die Grenzöffnung nicht nur intern, sondern ganz offen und aggressiv ablehnte und nun frohlockt, die CSU habe die Grenzschließung gegen Merkel durchgesetzt. Nebenbei desavouiert er damit die hilfswillige Mehrheit der Bayern und die vielen uneigennützigen Helfer, die dieser Tage nicht nach politischem Kalkül, sondern nach ihrem Herzen handelten.

Für die Lösung des Flüchtlingsproblems hat die Bundesregierung außer dem neuen Abschottungsversuch keinerlei erfolgversprechendes Konzept. Ihr stures Festhalten an den gescheiterten Dublin-Regeln und die Absicht, Flüchtlingen zwangsweise vorzuschreiben, in welches EU-Land sie gehen sollen, anstatt auf deren Eigeninitiative und ihre bereits bestehenden Netzwerke zu setzen, verdeutlichen lediglich Hilflosigkeit und staatlichen Regelungsdrang, wie er die EU seit jeher kennzeichnet. Doch zu einer solchen Mindestanforderung wie der Durchsetzung einheitlicher humanitärer Standards für Flüchtlinge in allen EU-Staaten will Brüssel keinen Beitrag leisten, vielmehr – wie der gar nicht zuständige deutsche Kommissar Oettinger gerade verkündete – das deutsche Niveau auf das ärmerer EU-Staaten absenken.

Vor diesem Hintergrund entpuppt sich die angestrebte Quotenregelung als ein Instrument der Abschreckung. Die gewaltsame Verbringung von Flüchtlingen in Länder, die zu deren menschenwürdiger Behandlung aus Gründen eigener Armut, wie Rumänien und Bulgarien, oder drakonischer Sparauflagen, wie Griechenland, nicht in der Lage sind, bzw. in jene osteuropäischen Staaten vom Baltikum über Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn, die gegen jegliche Aufnahme von Fremden sind oder ihren Aufenthalt durch ein abschreckendes Lagerregime zu Hölle machen, wird nicht funktionieren, sondern die Lage eher verschärfen.

 

Denn die offenen Rechtsextremisten und ihre vielen schweigenden Anhänger, die durch die vermeintlich noble Geste Merkels und die dadurch ausgelöste Willkommenskultur von unten in die Defensive gedrängt wurden, werden nun wieder Morgenluft wittern, sehen sie sich doch plötzlich wieder in Übereinstimmung mit Regierungshandeln. Der offene Beifall des ungarischen Ministerpräsidenten Orban ist dafür nur das erste Anzeichen.

Verteiler: Neopresse

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