Donnerstag, März 28, 2024
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Die Profiteure der EU

(Eigener Bericht) – Mit BMW übt der erste deutsche Konzern Druck auf seine Angestellten in Großbritannien aus, für den Verbleib des Landes in der EU zu stimmen. Ein entsprechendes Schreiben, das für den Fall eines “Brexit” indirekt mit dem Verlust von Arbeitsplätzen droht, ist an sämtliche Angestellten der BMW Group im Vereinigten Königreich verschickt worden – mehr als 

 

 

8.000 Menschen. Der deutsche Konzern fürchtet, ein “Brexit” könne seine Verkäufe in Großbritannien und seine dortige Produktion beeinträchtigen; das Land ist der viertgrößte Absatzmarkt des Konzerns überhaupt. Ähnliche Sorgen treiben zahlreiche deutsche Unternehmen um: Großbritannien ist zweitgrößter Standort deutscher Auslandsinvestitionen nach den USA und drittgrößter Abnehmer deutscher Waren; das deutsche Plus im Handel mit den britischen Inseln erreichte 2015 mehr als 51 Milliarden Euro. Die britische Wirtschaft dagegen hat deutlich geringeres Interesse an einer EU-Mitgliedschaft; Insider führen dies auf die deutsche Dominanz beim Setzen von EU-Wirtschaftsstandards zurück. Auf die Einmischung von BMW in die britische Debatte könnten weitere Interventionen aus Deutschland folgen: Strategen empfehlen den Regierungen in der EU, nicht selbst für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU einzutreten, sondern lieber bekannte Konzernvertreter und Gewerkschafter vorzuschicken.

 

Druck auf die Belegschaft
Der deutsche BMW-Konzern übt Druck auf seine Angestellten in Großbritannien aus, beim “Brexit”-Referendum am 23. Juni für den Verbleib des Landes in der EU zu stimmen. “Die BMW Group glaubt, dass das Vereinigte Königreich als Mitglied der EU besser dasteht als außerhalb”, heißt es in einem Schreiben, das der Konzern an alle seine Angestellten in Großbritannien geschickt hat, darunter auch diejenigen, die für die von BMW aufgekauften britischen Traditionsmarken Mini und Rolls Royce arbeiten. Das Schreiben enthält den unmissverständlich drohenden Hinweis, von einem möglichen Abschied aus der EU könne “unsere Belegschaft betroffen sein”.[1] Mehr als 8.000 Personen haben es erhalten.

 

 
Profite in Gefahr
Der BMW-Konzern fürchtet für den Fall eines britischen EU-Ausstiegs um seine Profite. Großbritannien ist traditionell einer seiner größten Märkte. Im vergangenen Jahr konnte die BMW Group ihren Absatz dort um 12,7 Prozent auf 230.652 Fahrzeuge steigern – mehr als zehn Prozent ihres Gesamtverkaufs weltweit; das Vereinigte Königreich liegt damit in der Rangliste der BMW-Absatzmärkte auf Platz vier. Die Bedeutung des Vereinigten Königreichs für den Konzern erschließt sich auch daraus, dass der Absatz in anderen großen Ländern Europas sich allenfalls auf ein Drittel der britischen Stückzahl beläuft; in Frankreich lag er 2015 bei 77.577 Fahrzeugen, in Italien bei 71.173. Hinzu kommt, dass die britischen Produktionsstandorte der Marken BMW, Mini und Rolls Royce fest in die internationalen Lieferketten des Konzerns integriert sind; insgesamt wird die Produktion der BMW Group laut Eigenangaben zu gut vier Fünfteln exportiert, weshalb die Profite des Münchner Unternehmens in erheblichem Maß von reibungslosen Lieferbedingungen über die britischen Grenzen hinweg abhängen. Bislang werden sie von der britischen EU-Mitgliedschaft garantiert. BMW-Manager gehören deshalb schon seit Jahren zu den führenden “Brexit”-Gegnern.

 

 
Investitionsstandort
Dass BMW kein Einzelfall ist, zeigen Statistiken deutlich. Mehr als 2.500 deutsche Unternehmen unterhalten Niederlassungen im Vereinigten Königreich; laut Angaben der Bundesbank beläuft sich der dortige Bestand unmittelbarer und mittelbarer deutscher Direktinvestitionen auf beinahe 110 Milliarden Euro – mehr als ein Zehntel der gesamten deutschen Auslandsinvestitionen überhaupt und mehr als das Doppelte der deutschen Investitionen in der Volksrepublik China. Zahlreiche deutsche Konzerne haben eine starke Stellung in Großbritannien; RWE und E.ON etwa zählen zu den sechs größten Energieversorgern des Landes, RWE allein produziert rund zehn Prozent des gesamten im Land verbrauchten Stroms. DB Schenker Rail UK, die Nachfolgegesellschaft der “English, Welsh and Scottish Railway”, die 2007 von der Deutschen Bahn AG übernommen wurde, ist der größte Betreiber von Schienengüterverkehr in Großbritannien – mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent.

 

 
Absatzmarkt
Höchste Bedeutung besitzt das Vereinigte Königreich auch für den deutschen Export. Das Land hat seine Einfuhren aus der Bundesrepublik seit 2010 um rund 50 Prozent gesteigert und ist zum drittgrößten Abnehmer deutscher Waren nach den Vereinigten Staaten und Frankreich aufgestiegen; 2015 verdankten deutsche Firmen ihm gewinnbringende Ausfuhren im Wert von beinahe 90 Milliarden Euro. Dabei liegen die Summen, die deutsche Unternehmen für Importe aus Großbritannien zahlen, traditionell weit unter dem Wert ihrer Exporte; allein seit 2010 flossen dadurch mehr als 196 Milliarden Euro aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland ab. Die Beträge nehmen zu: 2015 erreichte das britische Handelsdefizit gegenüber Deutschland 51 Milliarden Euro. Dabei ist das deutsche Interesse am freien Warentausch mit Großbritannien kein Alleinstellungsmerkmal großer Konzerne: Wie es beim Bonner Institut für Mittelstandsforschung heißt, gehen acht Prozent aller EU-Exporte auch kleiner und mittlerer Unternehmen auf die britischen Inseln.[2]

 

 
Deutsch dominiert
Von Bedeutung ist, dass dem durchgängig starken Interesse der deutschen Wirtschaft an der britischen EU-Mitgliedschaft, die Investitionen und Exporte begünstigt, kein entsprechendes Interesse der britischen Wirtschaft gegenübersteht. Analysen zeigen, dass zwar etwa die Finanz- und die Automobilbranche des Vereinigten Königreichs und eine nennenswerte Zahl an Großkonzernen von einem “Brexit” Nachteile befürchten. Allerdings offenbarte eine Umfrage schon vor etwas mehr als zwei Jahren, dass selbst unter den britischen Großkonzernen 39 Prozent der Auffassung waren, die Kosten einer EU-Mitgliedschaft überwögen deren Nutzen.[3] Einen Hinweis darauf, wie sich der klare Unterschied zur Interessenlage deutscher Konzerne erklären lässt, hat Ende 2014 der britische Milliardär James Dyson gegeben: Die Tatsache, dass die EU “von Deutschland dominiert” sei, schlage sich darin nieder, dass “große deutsche Unternehmen die Festlegung der Standards” in Brüssel prägten, erläuterte er.[4] Deutlich EU-kritisch ist ohnehin die Interessenlage kleinerer und mittlerer britischer Firmen, die wenig oder gar nicht exportieren, dafür aber EU-Normen erfüllen müssen, auf die sie weniger Einfluss haben als die kontinentale Konkurrenz. Unter ihnen hielten schon vor zwei Jahren 47 Prozent die Mitgliedschaft in der EU für nachteilig, während nur ein Drittel sie als vorteilhaft empfand.

 

 
Von außen steuern
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessenlage wiegt die Einmischung des deutschen BMW-Konzerns umso schwerer, zumal ähnliche Interventionen weiterer deutscher Konzerne keineswegs ausgeschlossen sind. Der European Council on Foreign Relations (ECFR) hat schon vor einem Jahr vorgeschlagen, systematisch von außen in die britische “Brexit”-Debatte einzugreifen, um sie in Richtung auf den Verbleib in der EU zu steuern. So hieß es, Gewerkschafter aus anderen EU-Staaten sollten ihren britischen Kollegen angebliche Vorteile der “sozialen Agenda Europas” nahebringen. Auch könnten die Regierungen von EU-Mitgliedstaaten Konzerne aus ihren Ländern anregen, ihre Filialen in Großbritannien zu nutzen, um ihre dortigen Angestellten vor dem Verlust von Arbeitsplätzen im Fall eines “Brexits” zu warnen: “Während die Öffentlichkeit gegenüber den Äußerungen von Politikern zur Europäischen Frage skeptisch ist, würde sie Warnungen ihrer Arbeitgeber vor den wirtschaftlichen Konsequenzen eines Brexit vermutlich nachgeben”, hieß es beim ECFR.[5] BMW hat nun den ersten Vorstoß gewagt; weitere könnten folgen.

 

 
Mehr zum Thema: Die Brexit-Debatte und Die Brexit-Gipfelshow.

 

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