Freitag, April 19, 2024
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Die Rückkehr der furchtbaren Juristen

Nachdem viele Juristen unsere „Gemeinsame Erklärung 2018“ unterschrieben hatten, sah der vormalige Präsident des Deutschen Anwaltsvereins Prof. Dr. Wolfgang Ewer dringenden Handlungsbedarf.

Von Vera Lengsfeld

 Er griff zur Feder, nein, haute in die Tasten und ließ das Ergebnis seiner Phantasien als Editorial in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 17//2018) unter dem Titel „Die zweite Verantwortung“ veröffentlichen. „Die dritte Schuld“ wäre passender gewesen. Denn Ewer steht beispielhaft für das erneute Versagen deutscher Juristen im Angesicht einer sich abzeichnenden Gesinnungsdiktatur.

Er zitiert eingangs unsere Erklärung und behauptet: „Zur These, dass die Zulassung der massenhaften Einreise von Flüchtenden illegal sein soll, reicht der Hinweis, das das BVerfG eine gegen diese Verfahrensweise gerichtete Verfassungsbeschwerde durch den Beschluss von 10.2.2016 nicht zur Entscheidung angenommen hat.“ Dass dies ohne Begründung geschah, fügt Ewer nicht hinzu. Er verschwiegt auch, dass der Gesetzesbruch, der jetzt geleugnet wird, im Herbst enthusiastisch öffentlich gefeiert wurde. Stellvertretend seien nur Heribert Prantl von der Süddeutschen und Kardinal Marx genannt, die sich beide mehr von dieser Art Gesetzesbrüchen im Namen einer höheren Moral wünschten. Auf meinem Blog kann man nachlesen, mit welch zweifelhaften, wenig haltbaren Begründungen auch die Strafanzeigen gegen Kanzlerin Merkel von verschiedenen Staatsanwälten abgelehnt wurden. Man kann das auch als Akte sehen, in denen die Gesinnung höher steht, als Recht und Gesetz. Deutschlands Juristen sollten nach zwei Diktaturen eigentlich gelernt haben, dass in einer Demokratie niemand über dem Gesetz stehen darf, auch keine Kanzlerin.

Das von Ewer als zweiten „Beweis“ herangezogene EuGH-Urteil beschäftigt sich lediglich mit den europäischen Aspekten der Massenaufnahme von „Flüchtlingen“, nicht mit der Gesetzmäßigkeit an der deutschen Grenze. Last but not least, wirft Ewer den Unterzeichnern vor, nicht zwischen Einwanderern und Flüchtlingen unterscheiden zu können. Ein Defizit, das auf ihn zutrifft, denn wenn die erdrückende Mehrheit der Ankömmlinge weder einen Asyl- noch einen Flüchtlingsstatus anerkannt bekommen hat, sind es eben keine Flüchtlinge. Ein Jurist sollte das eigentlich wissen.

Im zweiten Teil seiner Ausführungen wird es unappetitlich. Ewer führt vier angebliche Vorkommnisse auf, die von den Unterzeichnern mit ihrer Unterschrift gebilligt wurden. Er zitiert einen Redner, der 2015 bei einem „Aufmarsch“ in Dresden gesagt haben soll: „Es gäbe natürlich andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider außer Betrieb.“ Dieses „Zitat“ war eine Zeitungsente und musste von dutzenden Medien richtiggestellt werden, was RA Joachim Steinhöfel für den Redner gerichtlich erstritt. Warum ein Top-Jurist eine erwiesene Falschmeldung in einem juristischen Fachblatt als Argumentationshilfe präsentiert, ist mehr als merkwürdig. Mit Fahrlässigkeit kann das nicht mehr entschuldigt werden.

Das trifft auch auf die angeblich in Dresden „verkauften“ Galgen zu. Es gab einen einzelnen Demonstranten bei einer Pegida-Veranstaltung, der mit Mini-Galgen und Fotografen erschien. Er wurde von den Demonstranten des Zuges verwiesen. Die Fotos erschienen trotzdem und wurden eifrig von den Mainstreammedien veröffentlicht. Nur nebenbei: Bei einer fast zeitgleich stattfindenden Großdemonstration in Berlin gegen TTIP wurde eine Guillotine auf Rädern mitgeführt, für alle Politiker, die das Freihandelsabkommen unterstützten. Kein Journalist, kein Jurist fand das bedenklich.

Aus der Haltlosigkeit seiner beiden Beispiele erlaube ich mir, auf den Wahrheitsgehalt von Ewers beiden anderen Beispielen zu schließen.

Um mit Ewer zu reden: Mich macht sehr betroffen, dass vor neunzig Jahren und ich ergänze, auch nach 1948 in der DDR, die Mehrheit der deutschen Juristen schon einmal versagt und die Gesinnung über Recht und Gesetz gestellt hat. Ich sehe zwar nicht, wie Ewer, neue „menschenverachtende nationalsozialistische Strömungen“ aufkommen, sondern „nur“ eine Gesinnungsdiktatur. Ich sehe aber die „besondere Verantwortung“ von Juristen, Recht und Gesetz vor dem Zugriff von Gesinnungstätern zu schützen. Ewer und seine Gesinnungsgenossen sind dabei, zum dritten Mal zu versagen.
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