Freitag, März 29, 2024
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Die Schwarzmeermacht EU

BERLIN
(Eigener Bericht) – Berlin nutzt seine OSZE-Präsidentschaft im laufenden Jahr zur Ausdehnung des deutsch-europäischen Einflusses in mehreren Sezessionsgebieten am Schwarzen Meer und im südlichen Kaukasus. Ziel der Einflussarbeit ist die

 

 

 “Europäisierung” Transnistriens, Abchasiens und Berg-Karabachs und damit eine Schwächung Russlands, das bislang eine starke Position in den genannten Republiken hält. Für Moskau trägt der Einfluss in den Sezessionsgebieten dazu bei, seine Stellung rings um das Schwarze Meer zu sichern, das als Sprungbrett ins Mittelmeer und damit auch als Basis seiner globalen Machtprojektion dient. Die deutsche Politik gegenüber den international von nur wenigen Staaten anerkannten Sezessionsrepubliken ist bisher wenig erfolgreich. Als Mittel der Einflussnahme dient neben Maßnahmen der “Konfliktbewältigung”, die im OSZE-Rahmen durchgeführt werden, nicht zuletzt die ökonomische Kooperation: Deutsche Unternehmen entwickeln durchaus Interesse an Geschäften mit den betreffenden Gebieten, die allesamt eine industrielle Tradition haben.

 

Der Weg ans Schwarze Meer
Bereits seit über einem Jahrzehnt baut die Europäische Union ihre Stellung rings um das Schwarze Meer aus. Nach dem Start der “Europäischen Nachbarschaftspolitik” (ENP) im Jahr 2003 führte sie erstmals gemeinsame Projekte mit der Ukraine, der Republik Moldau und den drei Südkaukasusstaaten Georgien, Armenien und Aserbaidschan durch [1] – begleitet von Sanktionen gegen Transnistrien, das sich von Moldau abspalten will. Mit den EU-Operationen EUJUST THEMIS in Georgien im Jahr 2004, dem EUSR Border Support Team im gleichen Land ein Jahr später, EUBAM Moldova/Ukraine im Jahr 2005 und der EU-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien im Jahr 2007 drang die Europäische Union dann selbst unmittelbar in die Region vor. Seitdem ist sie nicht nur Anrainer des Schwarzen Meers, sondern darüber hinaus mit Justizbeamten, Polizei und Militär in Georgien, Moldau und der Ukraine präsent. Im Mai 2007 bilanzierte der damalige EU-Repräsentant für den Südkaukasus, Peter Semneby: “Die EU ist nun eine Schwarzmeermacht!”[2] Nach dem fehlgeschlagenen Angriff des in die EU strebenden Georgien auf Südossetien im August 2008 kam im September 2008 mit der Beobachtermission EUMM Georgia noch eine weitere Polizeimission an den Grenzen Georgiens zu seinen abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien hinzu.

 

 
Europäisierung Transnistriens?
Während die deutsche Moldau-Politik vor dem kompletten Scheitern steht (german-foreign-policy.com berichtete [3]), hat die Bundesrepublik zuletzt in der abtrünnigen und international nicht anerkannten moldauischen Republik Transnistrien (“Pridnestrowische Moldauische Republik”) einen Erfolg verbuchen können. Transnistrien gilt seit den 1990er Jahren als Teil des unmittelbaren russischen Einflussgebiets. Bereits im Jahr 2010 hatte ein Referent der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) dafür plädiert, die EU müsse ihre direkten Kontakte in die Sezessionsrepublik verstärken, um eine “Europäisierung” des Gebiets voranzubringen. Dazu sollte dort die Werbung für die EU intensiviert und die sogenannte Entwicklungshilfe direkt in die Hauptstadt Tiraspol überwiesen werden, ohne sie über die Republik Moldau zu leiten, der Transnistrien offiziell bis heute angehört.[4] Im Einklang mit diesem Ansatz gab das Auswärtige Amt 2012 eine Studie über den deutschen Handel mit Transnistrien in Auftrag. Wie die Bundesregierung 2014 einräumte, ist sie zudem “bemüht, insbesondere bei Vorhaben auf kommunaler Ebene auch Gemeinden aus […] Transnistrien in die Zusammenarbeit einzubeziehen”.[5]

 

 
Ein Punktsieg
Inzwischen ist es Berlin und Brüssel tatsächlich gelungen, Transnistrien enger an die EU zu binden. Nachdem Brüssel angekündigt hatte, seit Jahren bestehende Handelspräferenzen für die Sezessionsrepublik Ende 2015 auslaufen zu lassen, sah sich die transnistrische Führung gezwungen, mit EU-Vertretern Gespräche über ein neues Handelsabkommen zu führen; ein Ende der EU-Handelspräferenzen hätte zahlreiche transnistrische Firmen in den Ruin getrieben, denn rund 35 Prozent der Exporte Transnistriens gehen in die EU.[6] Am 7. Dezember 2015 erklärten transnistrische Behördenvertreter, Transnistrien werde dem “tiefen Freihandelsabkommen” (DCFTA) der Republik Moldau mit der EU beitreten. Dazu werde man Teile der transnistrischen Handelsgesetzgebung an WTO-Standards anpassen und unter anderem eine Mehrwertsteuer einführen.[7] Letztere wurde in Transnistrien vor 16 Jahren abgeschafft; sie würde zur “Verarmung eines Gutteils der Bevölkerung” führen, erläuterte die von 2000 bis 2011 amtierende transnistrische Wirtschaftsministerin Elena Tschernjenko.[8] Die EU überwacht die Einführung der – armutsfördernden – Maßnahmen und treibt damit die “Europäisierung” Transnistriens voran – ein wichtiger Punktsieg im Einflusskampf gegen Moskau.[9]

 

 
Schwieriges Terrain Abchasien
Mit dem Jahr 2006 begann die EU, sogenannte zivilgesellschaftliche Organisationen in der georgischen Teilrepublik Abchasien zu unterstützen, um auch dort eine Abkehr von Russland und die “Europäisierung” zu fördern. Allerdings entwickelten sich die Beziehungen seit 2008, als Moskau nach dem Georgien-Krieg die Unabhängigkeit Abchasiens anerkannte, schwierig. Berlin und Brüssel sind im politischen Bereich, aber auch in der abchasischen Öffentlichkeit mit hohen Hürden konfrontiert. Eine 2011 durchgeführte repräsentative Umfrage in Abchasien ergab, dass viele Bewohner der Region von der EU enttäuscht seien, da Brüssel seine Beziehungen zu der Republik ausschließlich mit geostrategischen Faktoren begründe und das Ziel verfolge, Russland aus dem Südkaukasus herauszudrängen.[10] Im April 2012 erklärte das abchasische Außenministerium den Leiter von EUMM Georgia, den früheren polnischen General Andrzej Tyszkiewicz, zur “Persona non grata”, da er Abchasien keinen Respekt zolle und im Sezessionsstreit eine einseitig progeorgische Position einnehme.[11] Als EU-Vertreter im vergangenen Jahr erklärten, ein Repräsentationsbüro in der abchasischen Hauptstadt Suchumi eröffnen zu wollen, trafen sie auf politischen Widerstand. Repräsentanten Abchasiens verweigerten ihre Zustimmung: Die EU könne kein solches Büro eröffnen, wenn sie die Unabhängigkeit der Sezessionsrepublik nicht anerkenne.[12]

 

 
Wirtschaftskontakte
Trotz der schwierigen politischen Beziehungen bauen immer mehr EU-Firmen, darunter auch deutsche, ihre Wirtschaftskontakte mit der international kaum anerkannten Republik aus. So bekundeten im Jahr 2013 Vertreter von “Pfeifer und Langen”, dem drittgrößten deutschen Zuckerproduzenten, Interesse an Geschäften mit Abchasien – trotz eines georgischen Embargos. Allerdings liegen deutsche Firmen hinter türkischen und italienischen Unternehmen zurück, die zu den wichtigsten westlichen Handelspartnern Abchasiens gehören. Abchasien wickelt lediglich zwei Prozent seines Außenhandels mit Deutschland ab.[13] Ein verbesserter Zugang zum abchasischen Markt gälte als Chance, die russische Position am Schwarzen Meer zu schwächen; Beobachter halten die dazu notwendigen engeren politischen Kontakte Abchasiens mit der EU derzeit jedoch für unwahrscheinlich.

 

 
Komplizierte Lage in Berg-Karabach
Weitaus komplizierter entwickeln sich die Beziehungen Deutschlands und der EU zur Sezessionsrepublik Berg-Karabach (Nagorny-Karabach/Arzach), die sich von Aserbaidschan abspalten will. Ende der 1980er Jahre war Berg-Karabach ein industrielles Zentrum der Sowjetunion, dessen Wirtschaftsdaten teilweise über dem sowjetischen Durchschnitt lagen. In den 20 Jahren nach dem offiziellen Ende des Berg-Karabach-Kriegs zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 1994 konnte vor allem Frankreich gute Beziehungen zu der Sezessionsrepublik aufbauen. Im September 2015 fanden die “Französischen Tage in Arzach” statt, viele französische Städte unterhalten Partnerschaften mit Orten in Berg-Karabach.[14] Für Deutschland sind Kontakte in das Gebiet delikat, da Berlin auf enge Beziehungen zur Türkei und zur Petro-Diktatur in Aserbaidschan setzt.[15]

 

 
“Volksgruppen”-Parteien
Seit dem vergangenen Jahr versuchen jedoch auch deutsche Politiker und Diplomaten, in Berg-Karabach verstärkt Einfluss zu nehmen. So traf sich der im Juli 2014 zum Speziellen Repräsentanten der EU für den Südkaukasus ernannte Diplomat Herbert Salber im November 2014 mit dem Außenminister der Sezessionsrepublik. Im Herbst 2014 reisten außerdem zwei Bundestagsabgeordnete der CDU nach Berg-Karabach, um dort offizielle Gespräche zu führen; einer der Abgeordneten ist Ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Im April 2015 nahm die European Free Alliance (EFA), in der “Volksgruppen”-Parteien aus ganz Europa zusammengeschlossen sind, bei ihrem Kongress in Bautzen die Demokratische Partei Arzachs (DPA) als assoziiertes Mitglied auf.[16] Die EFA wirbt – nach dem Modell der deutschen “Volksgruppen”-Ideologie – für Grenzrevisionen in der EU und neuerdings offenbar auch über sie hinaus.[17] Die 2005 gegründete DPA ist die stärkste Partei im Parlament Berg-Karabachs und stellt seit 2010 den Parlamentspräsidenten. Im Januar dieses Jahres kündigte die deutsche Botschafterin in Aserbaidschan an, dass sich Berlin im Rahmen der deutschen OSZE-Präsidentschaft auch dem Bergkarabach-Konflikt stärker widmen werde.[18]

 

 
Keine Chance: Südossetien
Mit zur Zeit unüberwindbar wirkenden Problemen ist hingegen die deutsche Einflussarbeit gegenüber Südossetien konfrontiert. Lange Zeit hatten sich die EU-Bemühungen innerhalb Georgiens auf die südossetische Sezessionsrepublik konzentriert. Der dortige Konflikt galt als derjenige, der in der gesamten Region die besten Chancen auf eine Lösung hatte.[19] Doch sind mit dem georgischen Überfall vom August 2008 die Möglichkeiten auf eine Annäherung auf absehbare Zeit wohl zunichte gemacht worden. Die südossetische Führung strebt derzeit die volle Integration in die Russische Föderation an und hat durch einen Integrationsvertrag mit Russland – gemeinsam mit Abchasien – de facto eine Assoziierung an die Eurasische Wirtschaftsunion eingeleitet.[20] Eine wirksame deutsche Einflussnahme auf Südossetien scheint gegenwärtig chancenlos.

 

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