Samstag, April 20, 2024
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„Die völlige nukleare Vernichtung“ – Trump macht Deutschland zum Schlachtfeld

Droht mit dem Ausstieg der USA aus dem Abrüstungsvertrag INF ein globaler Atomkrieg? Experten sind sich einig, die Gefahr war noch nie so groß. Laut dem Historiker Reiner Braun, Co-Präsident des International Peace Bureau, wäre Deutschland das Hauptschlachtfeld einer nuklearen Vernichtung. Auch zieht er Parallelen zum Beginn des Ersten Weltkriegs.

Herr Braun, erstmals seit den 80ern wächst die Angst vor einem atomaren Wettrüsten. US-Präsident Donald Trump hatte angekündigt, das Abrüstungsabkommen INF zu verlassen. Sollte das tatsächlich geschehen, welche Folgen könnte dies haben?

Die entscheidende Folge wäre, dass wir ein neues atomares Wettrüsten bei den Mittelstreckenraketen haben. Diese würden, in Europa stationiert, die Vorwarnzeiten drastisch verkürzen. Damit wäre die Gefahr eines Atomkrieges aus Zufall, aus Versehen, oder auch bewusst, dramatisch nach oben geschraubt. Der Schritt des US-Präsidenten ist ein absolut verheerender Schritt hin zu einem nuklearen Desaster.

Offiziell existieren aktuell rund 14.500 nukleare Sprengköpfe weltweit. Die meisten davon in Russland und den USA. Die Dunkelziffer ist noch höher, da es z.B. aus China keine gesicherten Informationen gibt. Wie hoch ist denn die tatsächliche Gefahr eines Atomkriegs?

Ich glaube, dass keine der aktuellen Atommächte real plant, morgen einen Atomkrieg zu beginnen. Trotzdem ist in der aktuellen Situation der globalen Konfrontation, vor allem zwischen der NATO, Russland und China, die Gefahr von Konflikten — die sich bis zu einem atomaren Krieg entwickeln können — so hoch wie seit 30 Jahren nicht. Wir leben also wirklich in der Gefahr, dass ein großer atomarer Krieg wieder möglich ist.

Ich verweise da historisch immer auf den Ersten Weltkrieg: Auch damals, Ende Juni 1914, als alle in die Ferien gegangen sind, hatte keiner damit gerechnet, dass im August ein Krieg ausbrechen würde, an dessen Ende 18 Millionen Tote und ein total zerstörtes Europa stehen würden. Die Dynamik von Konflikten durch fehlgeleitete Politik, die nicht mehr beherrschbar sind, die haben wir natürlich definitiv auch heute wieder. Das bringt die Gefahr eines großen Krieges mit sich. Diese Gefahr ist zurzeit verdammt groß.

Inwieweit ist Deutschland beteiligt, dass ja traditionell zahlreiche US-Militärbasen beheimatet? Und was könnte speziell auf Deutschland zukommen, sollten die USA das INF-Abkommen kündigen?

Also erstens ist in einer atomaren Schlacht zwischen Ost und West Deutschland das erste und total vernichtete Schlachtfeld. Da gibt es gar keine Illusionen, das haben bereits zahlreiche Studien nachgewiesen. Deutschland ist das absolute Schlachtfeld einer atomaren Auseinandersetzung in Europa. Deutschlands Rolle ist mehr als zwiespältig. Durch seine NATO-Treue ist Deutschland eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung. Wir haben die nukleare Teilhabe. Das heißt, deutsche Soldaten werden im Umgang mit US-Atomwaffen trainiert, um sie im Kriegsfall auch ins Ziel zu bringen. Die Atomwaffen der US-Amerikaner lagern im rheinland-pfälzischen Büchel. Was aus meiner Sicht völkerrechtswidrig ist. Denn es verstößt gegen den Atomwaffensperrvertrag, der jeglichen Zugriff auf Atomwaffen verbietet — auch ein Training an ihnen.

Zweitens gibt es in Deutschland seit einigen Jahren angesichts eines US-Präsidenten Trump wieder die Diskussion, ob wir nicht eigene oder europäische Atomwaffen brauchen. Ein weiterer völliger Fehlweg: Anstatt Atomwaffen abzuschaffen und mindestens den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterschreiben, nun stattdessen zu glauben, mit Atomwaffen würde die Welt auch nur ein Stück besser.Und der dritte Punkt ist: Wenn es zur Kündigung des INF-Vertrags durch die USA und zu einem neuen atomaren Wettlauf kommt, würden diese US-Atomwaffen als erstes wieder in Deutschland stationiert werden. Das heißt, die Gegenstationierung der russischen Atomwaffen würde dann natürlich noch genauer auf Deutschland zielen. Für Deutschland ist es also als Teil des Problems und als zuerst betroffenes Land eine verheerende Situation aktuell.

Russlands Präsident Putin hatte angekündigt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, sollten die USA ihre Austrittspläne realisieren. Einen atomaren Erstschlag werde es seitens Russlands aber nicht geben. Wie glaubhaft ist das, und wie sehr vertrauen Sie Donald Trump bei dieser Frage?

Also wer Donald Trump vertraut, der sollte sich entweder einbuddeln, oder auf eine einsame Insel ohne Rundfunk, Fernsehen und Internet begeben. Trauen kann man diesem Präsidenten weiß Gott nicht. Ich glaube, dass seine Umgebung — wie sein Sicherheitsberater John Bolton — auf eine absolute Konfrontationspolitik setzen. Diese beinhaltet auch die Atomfrage. Russlands Präsident Putin hat wiederum erklärt, dass die Logik der Abschreckungspolitik von USA und Russland seit 50 Jahren ist: Rüstet der eine auf, rüstet der andere nach. Ob das alles klug ist und hilft, das wage ich zu bezweifeln. Denn die Overkill-Kapazitäten beider Seiten sind so groß, dass sie immer auch nach einem Erstschlag in der Lage sind, einen Gegenschlag zu führen. Und der würde auch die andere Seite völlig vernichten.Deshalb wäre es von russischer Seite vielleicht klug, Signale auszusenden, dass man weiter an einer Reduzierung der Atomwaffen festhalten möchte. Putin hatte schön öfter erklärt, dass er Atomwaffen für Teufelszeug hält. Diese gegenseitige Hochrüstung destabilisiert und gefährdet den Frieden. Von daher ist das insgesamt eine sehr brenzliche Situation.

Herr Braun, Sie setzen sich seit Jahren für die Schließung von US-Militärbasen in Deutschland ein. Sie mobilisieren dafür jährlich tausende Menschen. Sollte es zu einer neuen nuklearen Aufrüstung kommen, wie kann man die Menschen wieder auf die Straße bekommen, so wie es in den 80ern der Fall war?

Es ist ja geradezu verblüffend, dass die Ankündigung von US-Präsident Trump nur einen Tag vor dem 55. Jahrestag der großen Friedensdemonstrationen von 1983 war. Und ich glaube, dass die Ankündigung der Neuentwicklung von Atomwaffen und ihrer Stationierung in Europa einen Aufschrei durch Europa gehen lässt. Wir als Friedensaktivisten werden sicher alles versuchen, wieder Menschen gegen diesen atomaren Wahnsinn zu mobilisieren. Wir kommen dann zu einer Neuentwicklung einer aktiven Anti-Atomwaffenbewegung — nicht nur in Deutschland, sondern sicher auch in ganz Europa.

Ich bin mir sicher, dass wir dabei auch mit Friedensaktivisten in den USA eng zusammenarbeiten werden. Die Auseinandersetzung beginnt jetzt erst. Wir sind darauf vorbereitet. Wir bereiten jetzt schon die nächsten Aktionen gegen die US-Atomwaffen in Büchel vor. Ebenso wie Aktionen im kommenden Jahr gegen die US-Air-Base Ramstein, die übrigens wahrscheinlich die Einsatzzentrale dieser Atomwaffen werden würde. Wir stellen uns für eine längerfristige politische Auseinandersetzung auf. Die Ankündigung Trumps ist hoffentlich noch nicht gleich die Realisierung dieses wahnsinnigen Projektes.
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