Samstag, April 20, 2024
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„Ein 2000 Jahre alter Virus“: Auschwitz-Überlebende warnt vor neuem Antisemitismus

Eine der letzten Überlebenden von Auschwitz, Anita Lasker-Wallfisch, hat vor dem deutschen Bundestag eine Rede gehalten. Darin warnt die 92-Jährige vor neuem Hass. Angela Merkels Politik der offenen Grenzen nennt sie eine „mutige, menschliche Geste“. Und erntet dafür lauten Applaus von fast allen Abgeordneten.

In einer Gedenkstunde im Bundestag wurde am Mittwoch an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Anlass war der 73. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch sowjetische Truppen.

Die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch warnte bei der Gedenkstunde vor einer neu aufkommenden Judenfeindlichkeit: „Antisemitismus ist ein 2000 Jahre alter Virus, anscheinend unheilbar. Nur sagt man heute nicht mehr unbedingt Juden. Heute sind es die Israelis.“ Sie bezeichnete es als einen „Skandal“, dass jüdische Schulen und Kindergärten polizeilich bewacht werden müssen.

„Hass ist Gift“
Eine solche Situation sei in Deutschland nicht akzeptabel, meint im Interview auch die stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Katja Suding. „Wir müssen heute ganz deutlich machen, dass wir inzwischen wieder in einer Situation sind, wo Juden auf den Straßen bedroht werden und Israelflaggen verbrannt werden und dass es hier viele, viele gibt, die dagegen stehen“, so die FDP-Politikerin.

„Mir selbst war alles Deutsche verhasst gewesen“, sagte Lasker-Wallfisch, die nach dem Ende des Krieges nach England ausgewandert ist und in London das English Chamber Orchestra mitbegründete. Sie habe sich geschworen, nie wieder zurückzukehren. Doch sie habe letztendlich verstanden, dass Hass einfach Gift sei „und letzten Endes vergiftet man sich selbst.“

Deutschland habe sich nach dem Krieg zunächst „exemplarisch“ benommen, so Lasker-Wallfisch weiter: „Nichts wurde geleugnet, Antisemitismus war nicht mehr modern.“ Doch heute seien die Zeiten anders. „Die Welt ist voller Flüchtlinge. Für uns haben sich damals die Grenzen hermetisch geschlossen und nicht wie hier geöffnet, dank dieser unglaublich generösen, mutigen, menschlichen Geste, die hier gemacht wurde“, betonte sie und lobte damit die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung.

Als eine „ganz beeindruckende Rede“ bezeichnete die Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE, Sarah Wagenknecht, den Auftritt der Holocaust-Überlebenden. „Das war eine Rede, wo man eigentlich ganz schwer zu der Tagesordnung übergeht, weil es nochmal zeigt, wohin Brutalisierung, antidemokratische Bewegungen, Rassismus am Ende geführt haben.“

„Historische Erfahrungen unermesslicher Gewalt“
„Wir glauben ja zu wissen, was gut und böse ist“, betonte seinerseits der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bei seiner Rede und warnte davor, sich auf die demokratischen Institutionen zu verlassen. „Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Demokratie brauchen unser Engagement.“

Er erinnerte an das Verbrennen israelischer Flaggen und die wachsende Gewaltkriminalität gegen Migranten und Muslime. „Wer Hass schürt, beutet die Verunsicherung, die Ängste von Menschen aus“, so Schäuble: „Dieses freie, demokratische, rechtsstaatliche, friedliche Deutschland, in dem wir heute das Glück haben zu leben, ist auf der historischen Erfahrung unermesslicher Gewalt gebaut.“

Petra Pau, Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, bestätigte die Worte der Holocaust-Überlebenden Lasker-Wallfisch: „Es geht nicht um Gedenken um des Gedenkens willen, sondern es geht um die Gegenwart und die Zukunft und um die Bewahrung und Fundierung der Demokratie. Übrigens nicht nur in Deutschland.“ Rechtspopulistische Parteien mit Anschlussfähigkeit an gewalttätige Rechtsextremisten würden in Europa gewinnen, warnte Pau: „Man sollte mit Blick auf die Geschichte meinen, dass so etwas nie wieder geschieht.“

Als Cellistin im Mädchenorchester des Konzentrationslager Auschwitz hatte Lasker-Wallfisch die grausamen Verbrechen überlebt. „Wer hätte gedacht, dass wir Auschwitz lebendig und nicht als Rauch verlassen würden“, sagte die Überlebende.

Interview mit Petra Pau (DIE LINKE)

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