Donnerstag, April 25, 2024
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„Es sollte ein politisches Zeichen gesetzt werden“ – Experte zu NSU-Urteilen

Das Urteil im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten ist folgerichtig, eine echte Aufklärung des NSU-Unterstützungsnetzwerks wird es jedoch nicht geben. Das sagt Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner von Exit-Deutschland. Ihm zufolge gibt es kein Interesse an Aufklärung, weil der Staat sich dann selbst „entblättern“ müsste.

Ilona Pfeffer

Nach mehr als fünf Jahren hat am Mittwoch der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht München geendet. Wegen zehnfachen Mordes wurde Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt, eine vorzeitige Haftentlassung nach fünfzehn Jahren ist unwahrscheinlich.

Bei den mitangeklagten Männern blieb das Gericht zum Teil deutlich hinter den von der Bundesanwaltschaft geforderten Haftstrafen zurück. Zehn Jahre Haft bekam der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben – zwei Jahre weniger als gefordert. Wohlleben war der Waffenbeschaffer des NSU. Für den Mitangeklagten André E. gab es statt der geforderten zwölf Jahren nur zwei Jahre und vier Monate Haft. Auch NSU-Helfer Holger G. bekam mit drei Jahren Haft ein vergleichsweise mildes Urteil – gefordert waren fünf. Im Fall von Carsten S. folgte das Gericht dem Antrag der Anklage und verhängte drei Jahre Haft nach Jugendstrafrecht.

Während die Hinterbliebenen zum Teil enttäuscht auf die aus ihrer Sicht zu milden Urteile reagierten und der Anwalt der Nebenklage, Mehmet Daimagüler, eine Revision gegen die Urteile von Wohlleben und André E. prüfen will, findet der Rechtsextremismus-Experte und Gründer der Initiative „Exit-Deutschland“, Bernd Wagner, das Urteil folgerichtig. Dass der Prozess nicht dazu geführt hat, die Verbrechen bedingungslos aufzuklären, wie von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Trauerfeier für die Opfer 2012 versprochen worden war, überrascht den Experten nicht.

„Es war ein von der Generalbundesanwaltschaft gewollter Prozess, und das Gericht ist dem gefolgt. Hier sollte nur ein politisches Zeichen gesetzt werden. Die Regierung wollte damit darstellen, dass sie Aufklärungswillen hat, nicht mehr und nicht weniger. Sehr viele Sachen, die in den Untersuchungsausschüssen angesprochen und festgestellt wurden und auch durch journalistische Recherchen aufgedeckt wurden, sind in der Tat nicht Gegenstand des Prozesses gewesen. Die Hoffnung, dass der Prozess das entscheidende Aufklärungsinstrument für den Gesamtkomplex des NSU darstellen würde, war von Anbeginn eine trügerische Hoffnung.“

Der Verbandsvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hatte sich zwar zufrieden mit der Verurteilung Zschäpes gezeigt. Insgesamt sei jedoch das Vertrauen in die staatlichen Institutionen wegen der schleppenden Aufklärung schwer erschüttert. Keinesfalls dürfe nach dem Urteil gegen Zschäpe und ihre Mitangeklagten ein Schlussstrich gezogen werden. Es müsse weitere Verfahren gegen das Unterstützernetzwerk des NSU geben. Auch Linken-Politikerin Petra Pau und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderten lückenlose Aufklärung des NSU-Umfeldes und Konsequenzen für den Verfassungsschutz.

Bernd Wagner gibt sich in dieser Hinsicht wenig optimistisch. Er glaubt nicht daran, dass echtes Interesse an Aufklärung besteht.

„Es werden keine Prozesse großartig mehr folgen. Ich selbst habe mit Zeugen aus diesem Bereich zu tun, auch Aussteigern aus diesem Kontext. Sie haben alle versucht, die von ihnen wahrgenommenen Umstände zum Gesamtkomplex der Bundesanwaltschaft anzubieten. Sie hat kein Interesse daran gezeigt, ergo wird von dieser Seite wohl nichts weiter folgen. Ich glaube, das Ding ist, was die Aufklärung betrifft, weitestgehend am Ende.“

Dass der Staat kein Interesse an echter Aufklärung hat, liegt laut Wagner daran, dass er sich selbst bei gewissen Sachverhalten „entblättern“ müsste. Der Experte erinnert hierbei an die Verstrickungen von Geheimdiensten in die Geschehnisse.

„Unerklärlich sind auch die Sachverhalte in den Straftaten gegen die Polizisten Kiesewetter und Arnold. Es ist auch die Frage offen, inwiefern staatlich bestimmte Aufklärungsleistungen verdeckt werden. Es gibt Skandale um V-Leute herum. Ein junger V-Mann ist verbrannt, mit unerklärlichem Hintergrund. Es sind also noch viele Fragen offen.“

Insgesamt könne man aber nicht sagen, der Staat sei auf dem rechten Auge blind, so Wagner. Die Verfolgungspraxis von rechtsextremen Straftaten habe seit den 90er Jahren an Intensität zugenommen, die jüngsten Zahlen des BKA zeigen einen Rückgang der rechten Gewalt. Wagner warnt jedoch:

„Das ist eher eine temporäre Erscheinung. Die Straftaten Rechtsextremer sind weiter auf hohem Niveau vorhanden. Es gibt also keinen Grund, Entwarnung zu geben.“

Interview mit Bernd Wagner

Quelle!

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