Samstag, April 20, 2024
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EU: Griechenland-Rettung – Merkel und Schäuble belogen das eigene Volk

Der frühere griechische Finanzminister Varoufakis wirft Merkel und Schäuble vor, das deutsche Volk bei den Milliardenkrediten nach Athen belogen zu haben. Es ging nicht darum, etwas in Griechenland zu retten, sondern nur um deutsche und französische Großbanken.

Schon länger erklärte Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis wiederholt, dass es bei den Milliardenkredite für Griechenland nicht um die Rettung der Griechen ging, sondern die der großen europäischen Banken.

Jetzt sagt der Politiker in der ARD-Sendung »Titel, Thesen, Temperamente« (“ttt”) sogar, dass Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble sich dem mehr als bewusst gewesen wären und das eigene Volk belogen hätten.

»Als der große Zusammenbruch des Finanzsektors stattfand, entdeckte die deutsche Regierung bald zu ihrem Entsetzen, dass die Deutsche Bank und alle anderen deutschen Banken ‘kaputt’ waren«, sagte Varoufakis.

Daher habe in nur 24 Stunden die Bundesrepublik den Banken 500 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um sie zu retten. Den Milliardenkrediten habe sie zugestimmt, nachdem ihr Stab ihr erklärt habe, dass die Geldautomaten sonst kein Geld mehr ausspucken würden.

Varoufakis fügt an: »Und dann wurde ihr ein paar Monate später gesagt, sie brauche noch ein paar hundert Milliarden mehr, weil der griechische Staat bankrott ginge. Dieselben Banken würden wieder Konkurs gehen, wenn der griechische Zahlungsausfall nicht abgewendet werden würde.«

Daher folgte ein zweites Rettungspaket für deutsche und französische Banken, »getarnt als ein Akt der Solidarität mit Griechenland.«

Der griechische Ex-Finanzminister betont, Merkel und Schäuble hätten öffentlich zugeben müssen, dass die Finanzhilfen für Griechenland vielmehr Finanzhilfen für die europäischen Großbanken gewesen seien.

Das dies nicht geschehen sei, sagt er zynisch, hätten beide zumindest ihre Lüge zugeben müssen. Varoufakis stellt fest, wer einmal ein Verbrechen gegen die Logik begehe, der begehe auch ein zweites oder drittes, um die erste Lüge zu vertuschen.

Kritik hat Varoufakis auch gegenüber der Regierung Griechenlands übrig:

»Ich werfe unserer Regierung vor, dass sie es unterschrieben hat. Wären wir standhafter gewesen, hätten wir den deutschen Bürgern in die Augen gesehen und gesagt: ‘Sie zwingen uns, mehr von eurem Geld zu nehmen, um vorzutäuschen, dass wir nicht bankrott sind. (…) Wir werden das nicht tun. Helft uns!’«

Sein Buch: “Die ganze Geschichte: Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment”

Als griechischer Finanzminister löste Varoufakis eine der spektakulärsten und kontroversesten Auseinandersetzungen der jüngsten politischen Geschichte aus, als er versuchte, die Beziehung seines Landes mit der EU neu zu verhandeln.

Trotz der massenhaften Unterstützung seitens der griechischen Bevölkerung und der bestechend einfachen Logik seiner Argumente dass die gigantischen Kredite und die damit verbundene Sparpolitik, die seinem bankrotten Land aufgezwungen wurden, eine zerstörerische Wirkung haben hatte Varoufakis nur in einem Erfolg: Europas politisches und mediales Establishment in Rage zu versetzen.

Aber die wahre Geschichte der damaligen Geschehnisse ist beinahe unbekannt, weil so vieles in der EU hinter verschlossenen Türen stattfindet.

In diesem couragierten Bericht deckt Varoufakis alles auf und erzählt die ganze Geschichte von waghalsiger Politik, von Heuchelei, Betrug und Verrat, die das Establishment in den Grundfesten erschüttern wird.

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Zwei Seiten des Apparats

Gleichzeitig bildet Varoufakis’ Darstellung der Krise, die Griechenland von 2010 bis heute so gezeichnet hat, eine Kategorie für sich: Es ist ein Insiderbericht aus der Spitzenpolitik – erzählt von einem Außenseiter. Als solcher hat Varoufakis einst angefangen, er gehörte weder der politischen Elite noch der extremen Linken in Griechenland an.

Zwar wechselte er dann auf die Innenseite des politischen Apparats, kehrte diesem aber nach kurzer Zeit wieder den Rücken, nachdem sein ehemaliger Verbündeter, der griechische Premierminister Alexis Tsipras, ihn im Juli 2015 feuerte.

Diese einzigartige Position beleuchtet Varoufakis in seinem Buch mit einer vielsagenden Anekdote: Bei einem Treffen mit dem ehemaligen US-Finanzminister Larry Summers in Washington fragte dieser ihn: „Willst du drinnen sein oder draußen?“

Der US-Polit-Profi warnte den Griechen: „Outsider ziehen die Freiheit vor, ihre Version der Wahrheit offen aussprechen zu können. Der Preis dafür ist, dass sie von den Insidern, die die wichtigen Entscheidungen treffen, ignoriert werden.“

Allerdings: Auch gewählte Politiker haben vergleichsweise wenig Macht. Die wirkliche Macht liegt in den Händen der Wall Street, bei Netzwerken aus Hedgefonds, Milliardären und Medieninhabern. Die Kunst der Politik besteht darin, dies als Tatsache des Lebens anzuerkennen und zu vermitteln und dabei zu erreichen, was möglich ist, ohne das System ernsthaft zu stören. So lautet das herkömmliche Angebot.

Varoufakis lehnt dieses nicht nur ab – indem er es nun so offen beschreibt, kämpft er auch gegen die Dummheit so mancher linker Fantasie, das System des Neoliberalismus werde sich unserem Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit schon noch irgendwie beugen.

Tatsächlich liefert Varoufakis einen akkuraten Bericht über die heutigen Mechanismen und Ausprägungen von Macht. Mit der Erschöpfung, die aus Nächten in seelenlosen Hotels und brutal beleuchteten Konferenzräumen resultiert, erklärt er detailgenau den Aufbau heutiger Netzwerke.

Zum Beispiel so: Aris erhält ein Darlehen von Zorbas Bank. Zorba schreibt das Darlehen ab, sein Bauunternehmen erhält aber einen Auftrag von Aris’ Ministerium. Aris’ Sohn kriegt einen Job bei Zorbas Fernsehsender, der aus irgendwelchen Gründen immer pleite ist und nie Steuern zahlen kann – und so weiter. „Ausschluss und Intransparenz“ seien die Schlüssel, schreibt Varoufakis. Mit vertraulichen Informationen werde Tauschhandel betrieben: „Die Verschwörer konspirieren de facto, ohne bewusst Verschwörer zu sein.“

Saftige Enthüllungen

Nicht nur solche Geschichten erzählt Varoufakis, er serviert auch die eine oder andere saftige Enthüllung. Die Erste lautet, dass Griechenland im Jahr 2010, zur Zeit des sogenannten EU-Rettungspakets, nicht nur bankrott war und mit dem Bail-Out die französischen und deutschen Banken gerettet werden sollten, sondern dass Angela Merkel und Nicolas Sarkozy dies auch ganz genau wussten.

Dieser Vorwurf ist nicht neu, linke Aktivisten und rechte Ökonomen haben ihn seither immer wieder angebracht. Varoufakis untermauert den Vorwurf jetzt mit vielen Zitaten – von denen einige aus Unterhaltungen und Telefonaten stammen, die er ohne Wissen der anderen Teilnehmer mitgeschnitten hat.

Auch heute, zwei Jahre nach der letzten Wahl in Griechenland, ist dies von mehr als akademischen Interesse. Griechenland leidet weiterhin unter Schulden in Milliardenhöhe, die das Land nicht begleichen kann. Es sind deutsche und französische Steuerzahler, die die sogenannten Rettungsmaßnahmen bezahlen werden müssen, wenn die griechischen Schulden irgendwann notgedrungen abgeschrieben werden.

Die zweite Enthüllung ist, dass enge Familienmitglieder von Varoufakis bedroht wurden, als er, zur Zeit, da die Massen die Straßen und Plätze beherrschten, begann, sich auf die Seite der Bail-Out-Kritiker zu stellen. In jenen Tagen erhielt er Drohungen, meist wurden sie durch anonyme Anrufe übermittelt. Daraufhin verließ er Griechenland und ging in die USA.

Nach seiner Rückkehr wurde er zum aktiven Unterstützer der linken Syriza. Er wurde gebeten, vor der Menge zu sprechen, die von Mai bis Juni 2011 den Syntagma-Platz besetzte, seine Erinnerung daran liest sich so: „Das letzte Mal, dass ich bei einer Demonstration eine Rede gehalten habe, war in Nottinghamshire, bei einer Streikpostenkette beim Bergarbeiterstreik 1984.“

Varoufakis war also drauf und dran, sich einem Stab linker Polit-Funktionäre unter Führung von Tsipras und dessen Stabschef Nikos Pappas anzuschließen, um für das Ende des Neoliberalismus zu kämpfen. Doch er hatte kaum Erfahrungen mit der organisierten griechischen Linken – einem Lager, in dem viele ausgerechnet in ihm, Varoufakis, einen Neoliberalen sahen. Denn seine akademische Leistung bestand vor allem in der Übertragung der Spieltheorie auf die Ökonomie.

Er machte deutlich: Der Feind musste glauben, dass Syriza den Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen wollte und bereit war, sich vom Euro loszusagen. So sollten die EU-Mächte überzeugt werden, fällig werdende Kredite zu verlängern und den Kollaps des griechischen Bankensystems zu verhindern.

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Dieser Plan ging zunächst auf – auch wenn Syriza im Februar 2015 einen Rückzieher machen musste, sowohl rhetorisch als auch bei den innenpolitischen Plänen, soziale Einschnitte ließen sich nicht vermeiden. Wenige Monate später, im Juli, scheiterte die Taktik dann. Die Kampagne für ein Referendum über die Verhandlungen mit den Gläubigern war hoch emotional – und schließlich entschied sich Tsipras für einen Kompromiss, statt einen griechischen Bürgerkrieg zu riskieren. Ich habe Varoufakis in der Nacht des Referendums interviewt.

Damals wirkte er verblüfft über den Ausgang. Und er schien sicher, dass Tsipras damit die Munition erhalten hatte, um der sogenannten Troika der Kreditgeber entgegenzutreten. Inzwischen ist indes klar geworden, dass beide Männer sich verkalkuliert haben. Varoufakis ging davon aus, dass Deutschland nicht versuchen würde, Griechenland aus dem Euro zu zwingen.

Doch dann geschah genau das: Zwei Wochen nach den Bankenschließungen und dem Zusammenbruch der Wirtschaft ging es um alles oder nichts.

 

Literatur:

Die Nazi-Wurzeln der “Brüsseler EU”

Wem gehört die Welt?: Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus

Demokratie im Sinkflug: Wie sich Angela Merkel und EU-Politiker über geltendes Recht stellen (Edition Tichys Einblick)

Durch globales Chaos in die Neue Weltordnung

Beitragsbild: PublicDomain/freiewelt.net/freitag.de

Quellen: PublicDomain/freiewelt.net/freitag.de am 21.11.2017

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