Samstag, April 20, 2024
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Europas neue Realität: Erpressung von Merkel vollkommen salonfähig

Das jüngste EU-Gipfeltreffen in Brüssel hat gezeigt: Inzwischen ist eine neue Realität entstanden, in der die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr die unumstrittene Spitzenpolitikerin in der ganzen EU ist, deren Wort absolut entscheidend ist. Zudem ist in der EU ab sofort Erpressung durchaus zulässig – und effizient.

Das jüngste EU-Gipfeltreffen in Brüssel hatten westliche Medien ursprünglich als „Mutter aller Gipfel“ bezeichnet, da sie davon quasi lebenswichtige Entscheidungen erwarteten. Aber trotz einer Reihe von Aussagen über „Durchbrüche“ ist festzustellen, dass die europäischen Politiker wichtige Entscheidungen bis zum nächsten Gipfel im Oktober verschoben haben.

Das wichtigste Fazit ist: Inzwischen ist eine neue Realität entstanden, in der die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr die unumstrittene Spitzenpolitikerin in der ganzen EU ist, deren Wort absolut entscheidend ist. Zudem ist in der EU ab sofort Erpressung durchaus zulässig – und effizient.

Niemand machte ein Hehl daraus, dass sich die Kanzlerin um eine Formel der dringenden Lösung ihrer Koalitionsprobleme intensiv bemühte, wobei vor allem das Thema Ultimaten seitens der Schwesterpartei CSU vom Tisch geräumt werden sollte. Denn bekanntlich hatte CSU-Chef Horst Seehofer, der zugleich Bundesinnenminister ist, gedroht, am 1. Juli die Grenzen Bayerns für illegale Zuwanderer zu schließen. Nach dem Treffen in Brüssel erklärten die Teilnehmer, sie müssten „die Ergebnisse des Gipfels analysieren“, zeigten sich dabei aber nicht gerade begeistert.

Man sollte nicht vergessen: Über der CSU schwebt auch ein „Damoklesschwert“: Im Oktober findet in Bayern die Landtagswahl statt. 2008 verlor die CSU zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert die absolute Mehrheit im Landtag. Jetzt steht die Partei vor derselben Gefahr. In den letzten Monaten sind laut Umfragen die EU-Skeptiker und Migrantengegner aus der AfD zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen.

Um die wachsende Popularität der AfD zu verhindern, intensivierten die christlichen Demokraten die Rhetorik über die Eindämmung des Flüchtlingsansturms. Weiterhin den von Merkel bestimmten Weg gehen und kardinale Lösungen auf die lange Bank schieben – das kann sich die CSU nicht leisten. Die AfD hat bei ihrem jüngsten Parteitag in Augsburg zur Gründung der „Festung Europa“ aufgerufen – und sogar ein Bündnis mit der CSU nach der Wahl zwecks gemeinsamer Migrationsbekämpfung zugelassen. Seehofers Partei hat keine Zeit, um zu warten und der AfD so viel Spielraum zu überlassen.

Deshalb bleiben Merkels Probleme alles andere als gelöst. Vor ihrem bevorstehenden Treffen mit Seehofer gaben Quellen in der CSU zu verstehen, dass der Parteichef nach wie vor mit dem Rücktritt als Innenminister drohe.

Der deutsche Experte, Chefredakteur der Webseite World Economy, Alexander Sosnowski, sagte am Rande des EU-Gipfels gegenüber Sputnik: „Wenn Merkel sagte, sie hätte alles vereinbart, dann bedeutet das, dass es keine Vereinbarung gibt… Sie wird ihre Positionen nicht aufrechterhalten können. Ihre Agonie wird noch etwas dauern, aber am Ende des Tages wird sie entweder aufgeben (Seehofers Forderung akzeptieren und die Grenzen der Bundesrepublik schließen) oder (und sie kann diese Forderung keineswegs akzeptieren) zurücktreten.“

Merkels innenpolitische Schwäche beeinträchtigt auch ihre Positionen in der europäischen Arena. Inzwischen behaupten britische, französische und auch amerikanische Medien, dass die Kanzlerin, die die EU zuvor immer zusammengehalten hatte, sie jetzt am meisten zerstört. Mehr noch: Die europäischen Politiker, die früher Merkel quasi gehorchten, scheuen sich nicht, sie offen zu erpressen. Im Prinzip  hatten einige „jüngere Partner“ auch früher von ihren „besonderen Positionen“ gesprochen und das Vetorecht bei solchen Gipfeltreffen beansprucht. Aber am Ende gaben sie immer nach und stimmten so, wie das für Berlin nötig war. Doch der neue italienische Premier, Giuseppe Conte, blockierte de facto den Gipfel, bis die für ihn nötigen Entscheidungen in Bezug auf das Flüchtlingsproblem getroffen werden. Das führte zu einer dramatischen und schlaflosen Nacht zum Freitag, als die EU-Spitzenpolitiker bis 05.00 Uhr morgens nach Kompromissen suchen mussten.

Vermutlich hat Conte auch die formelle Verlängerung der Russland-Sanktionen für einige Zeit blockiert. Ursprünglich war geplant worden, dass Merkel und der französische Präsident, Emmanuel Macron, als EU-Vertreter im „Normandie-Quartett“ bei einem Abendessen die Situation um die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen kurz schildern würden, sodass die Sanktionen praktisch sofort verlängert werden könnten. Aber da ist höchstwahrscheinlich etwas schief gegangen.

Das war übrigens auch daran zu sehen, dass der Moderator des russischen TV-Senders „Rossija-1“, Jewgeni Popow, unmittelbar vor dem erwähnten Abendessen gleich drei Mal Macron direkt über die Sanktionen befragte. Der französische Staatschef tat aber so, als hätte er diese Fragen nicht verstanden, und ließ sie ohne Antwort. Offenbar kannte er diese einfach nicht.

Nicht zu übersehen ist auch, dass es nach dem Abendessen ebenfalls keine Informationen zum Thema Sanktionen gab. Und der EU-Pressedienst veröffentlichte die entsprechende Mitteilung erst am Freitag – gleichzeitig mit der Beschlussfassung zum Thema Flüchtlinge. Daraus kann man schließen, dass Italien sein Versprechen einer Blockade von einigen Beschlüssen des Gipfels, bis die für Rom wichtige Frage geregelt worden ist, einhalten wird. Also funktioniert die Erpressung in der EU durchaus – und das ist auch ein wichtiges Signal.

Diese oberflächliche Vorgehensweise der Europäer im Kontext der „Ukraine-Frage“ nannte der Kiewer Politologe Michail Pogrebinski, der an diesen Tagen in Brüssel weilte, „empörend“. „Das bedeutet, dass die Europäer in Wahrheit an Fortschritten bei der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen gar nicht interessiert sind. Denn sonst würden sie wenigstens nebenbei auch die Verpflichtungen der Ukraine zur Umsetzung des Abkommens erwähnen“, betonte der Experte in einem Kommentar für Sputniknews.

Man kann also feststellen, dass die beiden Schlüsselfragen – Flüchtlingsproblem und Brexit – ungelöst geblieben sind. Italiens wichtigste Forderung, die „Dublin-Regel“ abzuschaffen, wird beim Gipfeltreffen im Oktober diskutiert. Dann wird auch das Brexit-Thema behandelt, obwohl alle verstehen, dass es nicht mehr verschoben werden kann. Vertreter verschiedener Delegation räumten inoffiziell ein, dass kaum jemand an ein beiderseitig akzeptables Abkommen zwischen Brüssel und London glauben würde.

Die Versuche einiger EU-Beamten, die Entscheidung zur „freiwilligen“ Bildung von Flüchtlingslagern als Fortschritt darzustellen, sind absolut untauglich, denn kein Land (egal ob in Europa oder Afrika) will sich damit befassen. Es ist also kein Wunder, dass einige der wichtigsten EU-Personen inoffiziell zugeben, dass die Vereinbarungen zum Thema Flüchtlinge nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt wurden.

Autor:  Wladimir Kornilow

* Die Meinung des Autors muss nicht der der Redaktion entsprechen.

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