Dienstag, April 23, 2024
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Ex-Botschafter in Tunis: „Der Koran ist ein Stolperstein zum modernen Staat“

„Mit dem Koran ist kein Staat zu machen.“ So heißt das neue Buch des ehemaligen österreichischen Botschafters in Tunesien, Gerhard Weinberger. Er sieht im Koran die Ursache für die Krise des Islam und einen großen Stolperstein im Bemühen um eine Modernisierung. Tunesien sieht er trotz vieler Krisen auf einem guten Weg.

Der Titel sei natürlich ein bisschen verkürzt und polarisierend gemeint, erzählt Weinberger im Sputnik-Interview:

„Nur auf der Basis des Koran ist kein wirklich moderner Staat zu machen, meine ich damit, irgendeinen Staat kann man natürlich immer machen. Die Erfahrung ist eben, dass die modernen, demokratischen Kräfte in Tunesien sich zur Wehr setzen mussten gegen diejenigen, die den Koran vor sich hergezeigt haben und gesagt haben, wir müssen das so machen, wie das seinerzeit der Prophet früher gemacht hat. Dagegen ist Tunesien aufgestanden und die haben sich eben vorläufig nicht durchgesetzt. ich glaube auch, dass das so bleiben wird.“

Tunesien als Erfolgsbeispiel
Der Autor war von 2012 bis 2017 Botschafter in Tunesien. Kurz nach seiner Ankunft erlebte Weinberger den Überfall von Salafisten auf die US-Botschaft und eine amerikanische Schule mit. Von diesem Zeitpunkt an gab es an sich eine mehr oder weniger starke politische oder gesellschaftliche Krise nach der anderen. „Wenn man es positiv sagt, war es für mich eine sehr spannende Zeit als Botschafter.“

Trotz allem sieht er die Entwicklung in Tunesien sehr positiv. Es seien zwar furchtbaren Dinge geschehen. Aber ein großer Teil der Gesellschaft habe sich dagegen gewehrt und habe es geschafft, dass sie letztlich, auch unter Einschluss „dieser sogenannten moderaten islamistischen Partei“, zu einer sehr guten, demokratischen, fortschrittlichen, modernen Verfassung gekommen sind. Auf der politischen Ebene habe sich das Land sehr positiv entwickelt. Tunesien habe sich nicht von der Versuchung anstecken lassen, in irgendeiner Weise die Scharia in die Verfassung hineinzuschreiben, so Weinberger:

„Wenn es einen Hoffnungsschimmer für diese Region gibt, dann ist es mit Sicherheit Tunesien. Den gibt es deswegen, weil sich dort eine Zivilgesellschaft entwickelt hat, die bereit war, gegen die Islamisierung anzukämpfen und auch, weil es eine politische Klasse gibt, die sich dessen bewusst ist und die gleichzeitig immer jede Art von Bürgerkrieg abgelehnt hat und gesagt hat, wir reden auf jeden Fall miteinander. Das ist immer besser als aufeinander zu schießen.“

Den Koran überwinden?
In seinem Buch kritisiert Weinberger in erster Linie eine extrem enge Auslegung des Korans. „Aber ich sage natürlich schon auch, dass der Koran diese strenge Auslegung nahelegt.“ Es sei also nicht unmöglich, aber schwierig für die reformistischen Kräfte im Islam, den Koran zu überwinden und wirklich modern auslegen zu können.

In seinem Buch bezieht sich Weinberger hauptsächlich auf tunesische und franko-tunesische Intellektuelle. Einer meint: „Das Problem des Islam mit seiner Geschichte ist, dass er mit seinen grundlegenden Texten bisher nicht wirklich fertig werden konnte.“ Das größte Problem, das Weinberger und seine Quellen dabei sehen, ist der Umgang mit Andersdenkenden:

„Das Gros des Korans geht davon aus, dass jene, die das nicht glauben, was da gesagt wird, in irgendeiner Weise bestraft werden. Sei es im Diesseits, sei es im Jenseits. Das ist ein unmoderner, undemokratischer und eigentlich fast totalitärer Umgang mit denen, die nicht derselben Meinung sind, die zum Ausdruck gebracht wird. Das ist der Hauptstolperstein.“

Koran als historisches Dokument
Eine gute und vielleicht die einzige Möglichkeit, mit diesem „Stolperstein“ Koran fertig zu werden, sei, ihn als ein historisches Dokument zu betrachten. Gewisse Dinge könnten heute vielleicht noch gültig sein, andere nicht mehr, weil sie über 1000 Jahre zurückliegen. „Gerade in Europa gibt es solche Tendenzen, und die würde ich sehr unterstützen.“

Für Europa empfiehlt Weinberger, dass man mit jeglichen muslimischen Tendenzen kohärent umgehen müsse:

„Nicht einmal sagen, diese Gruppe darf das machen, und einmal sagen, die darf das nicht machen. Man muss eine klare Linie fahren und sagen, natürlich ist der Islam selbstverständlich eine Religion, die zu respektieren ist, wenn sie sich an die Spielregeln halten. Gleichzeitig muss man aber ganz klar sagen, wo die Grenzen liegen, die nicht überschritten werden können. Dann würde das ein Großteil der Moslems in Europa akzeptieren.“

Das Buch „Mit dem Koran ist kein Staat zu machen“ von Gerhard Weinberger ist im Verlag „Mymorawa“ (ISBN: 9783990707180) erschienen.

Interview mit Gerhard Weinberger

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