Mittwoch, April 24, 2024
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Ex-SPD-Politiker: Gefährliche Politik des Westens zerstört Vertrauen in Russland

Auf die Folgen der westlichen Konfrontationspolitik gegenüber Russland macht der Publizist und Ex-SPD-Politiker Albrecht Müller aufmerksam. Im Interview beschreibt er die aktuellen Gefahren der Abkehr von der Entspannungspolitik. Die wird aus seiner Sicht auch nicht durch ein aktuelles Papier der SPD-Bundestagsfraktion erneuert.

Vor einem „tödlichen Wandel durch Konfrontation“ im Verhältnis zu Russland warnt Müller. Er kritisiert den Westen für „Feindbildaufbau und Konfrontation statt Annäherung“ im Verhältnis zu Moskau. Nachzulesen ist das in seinem Beitrag zu dem Buch „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen“, herausgegeben von Adelheid Bahr.

Müller war Mitarbeiter der SPD-Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt und gibt heute als Publizist das Online-Magazin „Nachdenkseiten“ heraus. Im Gespräch mit Sputnik erinnerte er an das Konzept „Wandel durch Annäherung“, für das ab den 1960er Jahren vor allem die Politik von Brandt stand. Das sei von dem Ziel ausgegangen, Veränderungen im Osten und Zusammenarbeit zu ermöglichen, indem der Westen die bis dahin praktizierte Konfrontation abbaut.

„Diese Strategie ist ja aufgegangen und war sehr erfolgreich“, stellte Müller fest. „Dann liegt es ja nahe, in der jetzigen Situation zu fragen: Wie ist das, wenn man von der Annäherung wieder zur Konfrontation übergeht, wie das in den 1950er Jahren war?“ Er erinnere sich sehr gut an die damaligen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik mit jenen, die eine aggressive Haltung gegenüber der Sowjetunion vertraten.

Folgen der Konfrontation

Das sei durch die Ostpolitik von Brandt „völlig verändert“ worden, so der Publizist. „Jetzt sind wir in der Phase zurück, wo die Russen an allem schuld sind.“ Das wirke sich auf die innere Entwicklung in Russland selbst aus, „darauf, wer dort etwas zu sagen hat“. Das habe auch Folgen für die Position von Präsident Wladimir Putin im politischen Gefüge Russlands, „denn der ist ja nicht alleine“.

Die westliche Seite habe inzwischen das Grundprinzip der einstigen Entspannungspolitik, Vertrauen zu bilden, umgedreht. Über Äußerungen und Entscheidungen werde im Verhältnis zu Russland immer wieder Vertrauen zerstört, beklagte Müller. So werde Misstrauen aufgebaut, mit der Folge, „dass sich dort die Dinge wandeln können, und zwar so schlimm, dass dort auch wieder Kräfte an die Macht kommen, die genauso aggressiv sind wie manche Leute im Westen“.

Erinnerung an einstige Ostpolitik

Der einstige SPD-Politiker und Brandt-Mitarbeiter sieht die frühere bundesdeutsche Ost-Politik als „strategische Leistung“, wie er in seinem Buch-Beitrag schreibt. „Wann haben Sie denn in letzter Zeit irgendeine politische Überlegung oder Entscheidung gesehen, die längerfristig angelegt war?“, machte er den Unterschied zur heutigen Situation deutlich. Die Ideen zur neuen Ost-Politik und für einen Kurs in Richtung Entspannung habe Brandt bereits in den 1950er Jahren entwickelt, um aus der „Falle der Konfrontation“ herauszukommen. Das sei selbst nach dem Mauerbau 1961 fortgesetzt worden.Müller erinnerte daran, dass Brandt nicht nur Entspannung, sondern ebenso Versöhnung mit der Sowjetunion, gleichfalls mit Polen, der Tschechoslowakei und anderen wollte. Er selbst habe als Wahlkampf-Verantwortlicher 1972 mit dem Ziel der Kooperation geworben und damit gearbeitet. Diese Strategie sei nicht nur gegenüber den realsozialistischen Ländern erfolgreich gewesen, sondern auch in der Bevölkerung der Bundesrepublik.

Manipulation durch Weglassen

„Der Westen, die Bundesrepublik Deutschland und die führenden Parteien haben auf die ausgestreckte Hand der Verantwortlichen in Russland hinhaltend bis ablehnend reagiert“, erinnert Müller in seinem Text. Es gehöre zu den Methoden der Manipulation, erklärte er dazu im Interview, dass die westliche Seite mit immer neuen Vorwürfen gegenüber Moskau behaupte, dieses sei Schuld an dem erkalteten Verhältnis. „Eine Methode ist, eine Geschichte nur verkürzt zu erzählen. Alles, was vorher war, wird weggelassen.“ Das sei besonders bei der Ukraine-Krise 2014 und der Rückkehr der Krim zu Russland zu beobachten.

„Man lässt den Putsch in der Ukraine weg. Man lässt die Ausdehnung der Nato bis an die russische Grenze weg. Man lässt die Verschiebungen von militärischem Material an die russische Grenze weg, ebenso die Beteiligung der Bundeswehr im Baltikum. Man erzählt diese Geschichte nicht, um es so darstellen zu können, dass die Russen mit dieser neuen Konfrontation angefangen hätten.“

Müller widersprach den Erklärungen westlicher Politik, dass die Nato-Osterweiterung sich nicht gegen Russland richte. Auch in Berlin erklären Regierungsvertreter immer wieder, die Nato erfülle nur den Wunsch von deren ost- und mitteleuropäischen Mitgliedern, die Angst vor Moskau hätten. Der Publizist nannte Polen als Beispiel. Das sei nicht nur von der Sowjetunion schlecht behandelt worden, sondern „besonders schlecht von Nazi-Deutschland“. „Also muss man fragen, wieso die eigentlich nicht gleiche Aversionen gegen Deutschland haben und nur gegen Russland.“

SPD wollte Nato-Auflösung

Albrecht Müller
© FOTO : A. MÜLLER
Albrecht Müller

Das Entscheidende sei, „dass wir uns 1989/90 vorgestellt haben: Wir wollen ein Europa der Abrüstung und der gemeinsamen Sicherheit!“ Müller erinnerte an den Beschluss des SPD-Parteitages am 20. Dezember 1989 in Berlin, die Nato in Frage zu stellen, nicht nur den Warschauer Vertrag auf Ostseite. „Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen“, so der damalige Beschluss. Eine solche Ordnung eröffne „auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa“, hieß es damals bei der SPD. Während letztere gingen, schon bevor sie aufgelöst wurden, sind die anderen immer noch da, wie auch die Nato.

„Wenn man dabei geblieben wäre, hätte man den osteuropäischen Staaten erklären oder sie dafür gewinnen müssen, dass wir jetzt in einem System der gemeinsamen Sicherheit mit Osteuropa und Russland leben wollen – nicht in Konfrontation zueinander und nicht mit der Methode der Abschreckung, die wir gerade überwunden hatten.“

Die heutigen Erklärungen westlicher Politiker würden dagegen auf der Politik der Abschreckung gegenüber Russland aufbauen, bedauerte Müller. Dem diene das Argument, die Wünsche der Osteuropäer beachten zu müssen. Das zeigt aus seiner Sicht nur das Versagen der westlichen Politik, die diesen Staaten nicht klar gemacht habe, dass „die neue Konfrontation genauso wenig sinnvoll ist wie die alte Konfrontation und wir diese nicht wollen“.

Klare Interessen im Hintergrund

Die neuaufgelegte Konfrontation zwischen West und Ost wird von den einen mit unterschiedlichen Werten begründet, andere verweisen auf unterschiedliche Narrative auf beiden Seiten. Für Müller stehen klar die Interessen der Rüstungskonzerne dahinter, wie er betonte.

„Man muss davon ausgehen, dass die westliche Rüstungswirtschaft furchtbar erschrocken darüber war, dass die SPD zum Beispiel diesen Parteitagsbeschluss 1989 gefällt hat. Und sie waren überhaupt nicht damit einverstanden, dass auch der Christdemokrat Helmut Kohl nun den Frieden mit der Sowjetunion und mit Russland wollte und sich mit denen verständigt hat. Da hat die mit Sicherheit dagegen mobil gemacht mit allen dafür zuständigen Gremien, um wieder Konfrontation aufzubauen.“

Diese Interessen müssten verstanden werden, um die Entwicklung zu begreifen. „Diese Leute haben  eine so gewaltige Lobby aufgebaut und haben in den Public Relations, in der Wirtschaft und in den Medien riesigen Einfluss. Und dann wird diese Stimmung erzeugt.“ Dafür werde eine neue russische Bedrohung herbeigeredet und das eigene Interesse am Waffenverkauf verdeckt.

Enttäuschte Hoffnung durch SPD-Papier

Am 9. Oktober dieses Jahres hat die SPD-Bundestagsfraktion ein Papier beschlossen, das „Voraussetzungen und Impulse für eine zeitgemäße sozialdemokratische Entspannungspolitik“ beschreiben soll. Damit soll angeblich das deutsch-russische Verhältnis verbessert sowie Vertrauen zwischen dem Westen und Russland wieder aufgebaut werden.Nach dem Lesen habe er den Glauben verloren, dass tatsächlich ein solcher Neuanfang gewollt sei, kommentierte der ehemalige Brandt-Mitarbeiter das Papier. Darin sei „alles enthalten, was man so an Vorurteilen gegenüber Russland hat“, begründete er seine kritische Sicht darauf.

„Es werden die Geschichten verkürzt erzählt. Es wird so getan, als würde in der Welt vor allem Russland die Politik der Macht des Stärkeren ausüben.“ Es werde nicht geprüft, wie oft der Westen das eingeforderte internationale Recht gebrochen und die Macht des Stärkeren ausgeübt habe – „das wird alles weggelassen“.

Verletzter Stolz und Enttäuschung

Das Fraktionspapier baue Misstrauen weiter auf, statt wie verkündet Vertrauen wieder aufzubauen. Müller hat nach seinen Worten gehofft, dass die Spitzen der SPD, deren Mitglied er noch ist, „mal vernünftig werden würden und dass sie begreifen, dass sie nie mehr in Deutschland Mehrheiten kriegen werden, wenn sie mit einer ihrer besten Erbschaften, nämlich der Entspannungspolitik, so schlecht umgehen.“ Die wenigen „schönen Formulierungen“ würden nur „eine Fülle anderer anstößiger Passagen“ verkleistern.

„Wenn ich Russe oder russischer Politiker oder Wissenschaftler wäre und das lesen würde, würde ich sagen: Nein, das ist leider wiederum nicht die richtige Antwort auf eine ausgestreckte Hand. Und dann geschieht, dass sich dort die Situation verhärtet, was ich auch schon in Gesprächen mit Russen bemerkt habe.“ Müller verwies auf den dadurch verletzten Stolz der Menschen in Russland, den er bei Besuchen in dem Land selbst erlebt habe. Dort gebe es immer noch große freundschaftliche Gefühle gegenüber Deutschland. Aber gleichzeitig würden die Vorbehalte wachsen, ob es auf Dauer möglich sei, „immer freundlich zu sein und dann immer das Gegenteil von der anderen Seite zu erfahren“.

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