Freitag, März 29, 2024
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EXKLUSIV: „Merkel hat es nicht bemerkt“ – Auf der Suche nach neuer Russland-Politik

Russland hat „weder die Kapazität noch die Absicht“, die Nato oder die Europäische Union (EU) anzugreifen. Das betonte ein Verteidigungspolitiker der Linken in Potsdam auf dem Panel: „Jenseits der Konfrontation!“. Ex-Diplomaten, Forscher und Experten aus Deutschland und Osteuropa suchten dort nach Lösungen für die verfahrene Weltlage.

Viele ehemalige Diplomaten, Sozial- und Politikwissenschaftler, Militär-Experten sowie zivilgesellschaftliche Akteure aus Russland, Deutschland und Osteuropa trafen sich am Samstag in der Landeshauptstadt Brandenburgs zum „Potsdamer Dialog“.

Organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg und dem WeltTrends-Institut für Internationale Politik trug die Panel-Diskussion den Titel: „Jenseits der Konfrontation! Für eine Neugestaltung der Beziehungen zwischen der EU und Russland.“Unter den Teilnehmern im „Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte“ war auch ein Bundestagsabgeordneter: Alexander Neu (DIE LINKE), Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages.

„Russland verfügt zwar über die militärischen Fähigkeiten, potentiell einen Nato-Staat anzugreifen“, sagte der Verteidigungspolitiker im Sputnik-Interview nach dem Panel. „Aber die ökonomischen Ressourcen dahinter sind zu schwach, um gegen die Nato bestehen zu können. Das heißt, Russland wäre der Nato militärisch haushoch unterlegen.“ Außerdem sehe er in Moskau keine „politischen Absichten, irgendeinen Nato-Staat oder ein europäisches Land zu überfallen. Und das sieht offensichtlich auch die Bundesregierung so. Sie sagt auch, dass sie keine Absichten erkennen könne seitens der russischen Regierung, irgendeinen Nato-Staat anzugreifen. Insofern verstehe ich die ganze Hysterie nicht.“

„Militär-Manöver sind Muskelspiele“ – Nato-Russland-Rat wiederbeleben

„Wir sehen“, fuhr Linken-Politiker Neu fort, „dass es eine Vielzahl von Militär-Manövern gibt. Sowohl von der Russischen Föderation als auch von der Nato. Zwischen 2014 bis 2018 gab es viermal so viele Nato-Manöver im Vergleich zu Manövern der Russischen Föderation.“ Das seien auch immer „Muskelspiele und Provokationen. Das ist die falsche Sprache. Wir brauchen jetzt De-Eskelation.”

Zudem forderte er eine Reaktivierung des nach der Krim-Krise eingeschlafenen Nato-Russland-Rats. „Dieser Rat kann ein wichtiger Kommunikationskanal sein. Der Zugewinn kommt hier zustande, wenn der Nato-Russland-Rat mindestens auf der Ebene der Außen- und Verteidigungsminister stattfindet.“ Diese Konstellation müsse nun das Ziel aller Beteiligten sein. „Bisher ist das noch nicht der Fall.“

Das Gremium sei zwar auf Betreiben der deutschen und russischen Regierung vor kurzem reaktiviert worden, „aber eben nur auf Botschafter-Ebene“. Das sei zu wenig.

Zivilgesellschaft in der Pflicht

Regierungsforen seien zwar bedeutend, aber noch wichtiger sei zivilgesellschaftliches Engagement wie der deutsch-russische Jugendaustausch. Das betonte Kerstin Kaiser, Büroleiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Russland.

„Man muss wissen“, erklärte Kaiser, Leiterin des Regionalbüros in Moskau, vor Ort gegenüber Sputnik, „dass über 80 Prozent der Bevölkerung Deutschlands nicht der Auffassung sind, dass die Russische Föderation ein feindlich-gesinnter Staat ist. Im Gegenteil, für über 80 Prozent der Leute sind friedliche und gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Russland wichtig. Leider hat die Politik unter Kanzlerin Merkel dies offensichtlich noch nicht bemerkt. Hier muss man ganz klar sagen, zivilgesellschaftliches Engagement und Friedensbewegungen über Parteigrenzen hinweg sind heute Gebote der ersten Stunde, um einem neuen Krieg und der Kriegsgefahr zu begegnen.“

Lange Historie deutsch-russischer Verbundenheit

„Es gibt eine mehr als tausendjährige Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen“, erklärte Panel-Teilnehmer Wladislaw Below vom Moskauer Europa-Institut auf der Veranstaltung. Er gab einen kurzen historischen Abriss. Der frühere russische Präsident Boris Jelzin habe die Ost-Erweiterung der Nato einfach akzeptiert. Die Reden des aktuellen Präsidenten Wladimir Putin 2001 vor dem Bundestag und 2007 bei der Münchner Sicherheitskonferenz habe der Westen realpolitisch ignoriert. Dann erfolgte 2008 die russische Intervention in Georgien: „Ich verwahre mich gegen das Wort Angriff. Tatsächlich hat Russland damals die Region Südossetien in Schutz genommen.“

Der russische Sozialwissenschaftler wehrte sich gegen die immer wieder vom Westen hervorgebrachten Anschuldigungen, dass Russland angeblich versuche, die EU zu spalten. „Wir brauchen neue multilaterale Instrumentarien, um Sicherheit und Vertrauen zu garantieren.“ Er warnte vor einem drohenden „direkten Krieg“ im Donbass. „Heute befinden wir uns bereits im globalen Hybriden Krieg. Im Informations-Krieg. In der psychologischen Kriegsführung.“

Das Schlimmste daran sei „das vollständige Fehlen von gegenseitigem Vertrauen“. Das jüngste Scheitern des INF-Vertrags sei dafür das aktuellste Beispiel.

Kritik an anti-russischen US-Sanktionen

Below nannte die neue Welle der anti-russischen Wirtschaftssanktionen, die die US-Regierung dem russischen Staat im November auferlegen will:“Die US-Amerikaner machen mit den Sanktionen Geopolitik“, behauptete der russische Forscher.

„Stellen Sie sich vor“, bemerkte Siegfried Fischer, Russland-Beauftragter des „Bundesforums Mittelstand“, im Sputnik-Interview vor Ort. „Jeder Unternehmer, der mit Russland – oder auch mit dem Iran – Geschäfte macht, ist jetzt verpflichtet nachzuweisen, dass alle seine Partner eine ’saubere Weste‘ haben. Bis ins dritte Glied. Das ist Sippenhaft.“ Wenn der Unternehmer dies nicht nachweisen könne, würden sich die US-Sanktionen „gegen ihn selbst wenden. Indem seine Finanzhandlungen blockiert werden. Das heißt, es werden Bankkonten gesperrt oder Ähnliches.“ Sein Wirtschaftsverband gehe dadurch von einem erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden für betroffene deutsche Unternehmen aus. „Es waren bis vor kurzem noch 6.500 deutsche Unternehmen in Russland tätig. Jetzt sind es noch 5.000. Wir reduzieren ständig unsere Investitionen in Russland.“ Dennoch sehe er Zeichen einer Trendwende.

Positionen Osteuropas: „Was will Putin?“

Vladimir Handl, Außenpolitik-Experte aus Tschechien, betonte die osteuropäische Perspektive. „Die Tschechische Republik und Polen haben eigene Sicherheitsinteressen – auch in Bezug auf Russland –, die anders gelagert sind, als die deutschen“, sagte der Lehrbeauftrage an der Karlsuniversität in Prag.

„Was will Wladimir Putin?“, fragte Bogdan Koszel, Professor an der Adam-Miskiewicz- Universität im polnischen Posen, leicht provokant in die Runde. Es gebe für Polen bisher keine Sicherheitsgarantien seitens Moskaus. Er und alle anderen polnischen Vertreter betonten, es müsse einen neuen „Trilateralen Dialog“ zwischen Russland, Polen und Deutschland geben. Warum dieser Ansatz bisher scheiterte, glaubte Krzysztof Malinowski vom West-Institut in Posen zu wissen.

„Polen ist aus Sicht Russlands ein minderwertige Partner“, behauptete er.

„Für die Regierungen der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen ist die EU-Integration wichtiger als die Nato-Integration, wenn es um das eigene Sicherheitsverständnis geht“, erklärte Holger Politt, Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau, dem Panel. „Die baltischen Länder sind die Staaten mit großen russischen Minderheiten in der EU. Die drei Balten haben mit dem Euro eine gemeinsame Währung. Daher machen sie eine andere Politik als heutzutage Visegrad-Staaten wie Ungarn.“

Deutschland und die europäische Sicherheit

„Wir müssen von der aktuellen Politik der Eskalation wegkommen, hin zu einer Kriegsverhinderungspolitik“, sagte der Berliner Politologe Erhard Crome, Mitglied im wissenschaftlichen WeltTrends-Beirat. „Demut würde der Bundesregierung in Bezug auf Russland gut zu Gesicht stehen“, empfahl er der Berliner Regierungspolitik.

Dass 80 Prozent der Deutschen laut aktuellen Umfragen ein besseres Verhältnis zu Russland befürworten, betonte auf der Veranstaltung ebenso der ehemalige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE). Dies müsse ein Auftrag für die aktuelle Bundesregierung sein, auch diplomatisch tätig zu werden. Russland-Experte Alexander Rahrnannte das jüngst von der SPD-Bundestagsfraktion verabschiedete Pro-Russland-Papier „einen guten Anfang“.

Quelle!:

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