Freitag, März 29, 2024
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EXKLUSIV: NEOPresse aus Lesbos – das Tor nach Europa

Gekentertes Schiff auf vor Lesbos

Lesbos kannte man bis Mitte 2015 als eine kleine griechische Touristeninsel in der Ägäis, an manchen Stellen keine 10 Kilometer vom

türkischen Festland entfernt. Die Urlaubsdestination Lesbos wurde aufgrund des eher ruhigeren Nachtlebens insbesondere von

Familien geschätzt, die aus ganz Europa jeweils vom Frühling bis zum späten Herbst zu Besuch weilten.

Besucher wie Einheimische liebten diese Insel, die der Oberbürgermeister Spyros Galinos selbst als „Punkt auf der Landkarte“ bezeichnete, gerade weil das Leben hier ein angenehm gemächliches Tempo aufwies.

Für viele Touristen wurde die gewünschte Idylle im Sommer 2015 plötzlich gestört, als statt die bekannten Touristenboote und riesige Meeresdampfer tausende Menschen auf Schlauchbooten und allerlei anderen mehr oder weniger reisetauglichen Booten an den Stränden im Norden der Insel an Land gingen. Sehr viele Touristen zeigten sich schockiert über das Ausmass einer, in ihren Augen plötzlichen, Flüchtlingskrise und verbrachten ihre Urlaubstage mit Hilfeleistungen. Es gab aber auch die andere Seite, und nicht zu wenige davon, die sich angewidert zeigten ob den überlaufenen Stränden von Menschen, die so ganz und gar nicht dem Bild entsprechen wollten welches man auf Lesbos erwartet hat.

 

Mitte Juni schliesst Griechenland die Landgrenze zur Türkei für Flüchtlinge, die bis dahin von den ihnen genutzt wurde um nach Europa zu gelangen. So blieb nur noch der Weg über das Meer übrig um auf eine der griechischen Inseln zu gelangen. Unklar ist, weshalb die griechische Regierung die Landgrenze für Flüchtlinge geschlossen hat, wenn sie sie später dann doch wieder auf eigenem Staatsgebiet hat nachdem sie über das Meer gekommen sind.

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So ist die Insel Lesbos im Jahr 2015 für 450`000 Flüchtlinge und Migranten aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt zum Tor nach Europa geworden. Der Grossteil von ihnen hat diese Meerenge oben auf dem Bild (ca. 7 Kilometer) zwischen der Türkei und Lesbos auf Schlauchbooten überquert. Eine Überfahrt von etwa zwei Stunden, die für 50 Menschen die bei Tagesanbruch von ihren Schleppern für durchschnittlich 1200 US-Dollar auf die Reise geschickt werden.

Zwei Stunden voller Angst, da die wenigsten von ihnen schwimmen können. Zwar haben ausser den Säuglingen alle Personen Rettungswesten an die sie für teures Geld auf türkischen Märkten gekauft haben, doch niemand kontrolliert ob sie korrekt angezogen sind oder ob es im Ernstfall überhaupt den Zweck erfüllen wird.

 

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Rettungsweste gefunden am Strand von Lesbos

Organisationen wie deutsche Sea Watch oder die spanische PROACTIVA, die vor Ort wertvolle Arbeit leisten indem sie die Küste mit eigenen Schnellbooten patrouillieren und die Gummiboote entweder an Land zu den Auffangsstationen lotsen oder im Notfall Rettungsmassnahmen einleiten, bestätigten mir das sie viele Rettungswesten gefunden haben die nicht für den eigentlichen Zweck tauglich waren. Ein Aktivist auf der Insel Kos gab sogar an, dass Flüchtlingen im türkischen Bodrum „fake“ Rettungswesten verkauft werden.

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Diese Tatsache von, nennen wir es vorsichtshalber qualitativ fragwürdigen Rettungswesten, und natürlich die Überfüllung der Schlauchboote, sowie der Umstand das viele Flüchtlinge nicht schwimmen können, sorgte dafür, dass in dem halben Jahr mehr als 800 Menschen ihr Leben auf dieser Route verloren haben. Weltweit gesehen bezahlten im Jahr 2015 nur im östlichen Mittelmeer 21% der sich auf der Flucht nach einem besseren Leben befindlichen Menschen mit dem Leben.

Ein freiwilliger Helfer der deutschen Organisation Sea Watch beschrieb die Situation ziemlich trefflich:

„Es ist wie früher mit den Burgen. Europa ist eine Burg die die Brücken hochzieht. Wer es schafft auf die Brücke zu springen und sich festhalten kann, hat Glück gehabt. Wer nicht, der fällt in den Burggraben.“

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Um bei dieser Metapher zu bleiben: genau dieses Glück und Freude liest man in den Gesichtern der Menschen die nach der gefährlichen Überfahrt endlich wieder Boden unter den Füssen haben, europäischen Boden!

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Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern aus Afghanistan

Was viele der Menschen machen wenn sie wieder festen Boden unter den Füssen haben, ist ihre Angehörigen die in den Heimatländern zurückgeblieben sind anzurufen. Sie danken Gott das sie es geschafft haben und trösten die Mutter, den Vater oder die Grosseltern am anderen Ende der Leitung, die sich tagtäglich bange fragen ob es ihre Kinder und Enkeln schaffen werden.

Die Helfer von Ärzte ohne GrenzenBootvluchtelingSCM Medical MissionIRS, und viele andere verteilen den Menschen Wasser und erklären ihnen, wohin sie nun gehen müssen. Während die Polizei keine 200 Meter entfernt dem Schauspiel zusieht und auch auf dem Meer ein türkisches Marineschiff die Flüchtlinge auf dem Meer gesehen hat, griff doch niemand ein oder leistete irgendeine Art von Hilfe. Die komplette Logistik wird von Hilfsorganisationen geleistet.

Auf meine Frage hin ob sie denn keine Hilfe von der örtlichen Polizei erhalten, wollte mir eine niederländische Studentin nicht antworten. Sie meinte nur, dass die Polizei darauf aufpasst das niemand von den Helfern hier die Flüchtlinge im Auto mitnimmt, was unter strenger Strafe steht. Dennoch scheint es aber so etwas wie ein ungeschriebenes Abkommen zu geben: Alte, Kranke, Frauen und Kinder dürfen in den Autos der Hilfsorganisationen vom Strand mitgenommen werden um sie zur ersten „Sammelstelle“ zu bringen die über einen sandigen und steilen Weg etwa zwei Kilometer entfernt ist. Alle anderen müssen erst einmal wieder weiter zu Fuss.

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Sie befinden sich auf einer Reise, deren wirkliches Ziel sie nicht kennen. Deutschland, Niederlande, Belgien, Frankreich, Schweden. Das sind Wunschziele. Aber ob sie wirklich so weit kommen und ob der grundlegende Wunsch nach einem besseren Leben in Erfüllung gehen wird, das kann niemand beantworten. Das sind die Gedanken die mich auf diesen zwei Kilometer beschäftigt haben und ich mich gefragt habe, ob diejenigen die mir freundlich zuwinken oder mich finster anblicken, auch solche Gedanken hegen. Ich weiss es nicht.
An der „Sammelstelle“ angelangt, erhalten die Menschen etwas Verpflegung und Wasser. Es gibt sogar einen ärztlichen Dienst der sich in einem Restaurant eingerichtet hat, um medizinische Hilfe leisten zu können wo es nötig ist. Hier erhalten die Flüchtlinge und Migranten auch das erste Mal einen kleinen Vorgeschmack der europäischen Bürokratie (notwendigen!), wo das Recht des Stärkeren nicht mehr gilt. Die Hilfsorganisationen verteilen je nach Ankunft an der Sammelstelle nach Farben getrennte Zettelchen, die immer in 50-iger Schritten verteilt werden um den Zugang zum Bus zu regeln.

Das Flüchtlingscamp OXY, das etwa 7 Kilometer entfernt ist, ist eigentlich das erste Ziel für sie. Von dort aus werden sie dann in die Registrierungskamps von Kara Tepe und Moria gebracht, wo sie sozusagen den legalen Flüchtlingsstatut erhalten um ihre Reise offiziell in Griechenland fortsetzen zu können.

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