Donnerstag, April 25, 2024
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„Finanztsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“: Buch von Ernst Wolff

Der Finanzexperte und Spiegel-Bestseller-Autor Ernst Wolff hat ein Buch geschrieben, das in selten klarer Sprache den Aufstieg der Finanzindustrie zur treibenden Kraft der Weltwirtschaft erzählt. Während Zentralbanken das Geld drucken, denken sich Wall Street & Co immer kompliziertere Mechanismen aus, die Welt zu verschulden bis die Blase platzt.

Herr Wolff, Sie vergleichen in Ihrem Buch das Finanzsystem mit einem Patienten. Wie sieht die Krankenakte aus?

Die sieht nicht gut aus. Der Patient ist ungefähr 75 Jahre alt. Unser Finanzsystem wurde im Prinzip in den USA in Bretton Woods 1944 gegründet. Und der Patient ist in großen Schwierigkeiten, weil er einmal 1998 beinahe gestorben wäre und 2007/2008 ein zweites Mal. Seit dieser zweiten Krise wird er eigentlich nur noch künstlich am Leben erhalten. Das Finanzsystem liegt auf der Intensivstation.

Der Patient ist also schon recht alt. Sie gehen weit zurück in die Geschichte in Ihrem Buch. Warum ist heute noch relevant, was irgendwelche Banker vor hundert Jahren beschlossen haben?

Bei einem Patienten stellt man ja auch nicht nur eine Diagnose, sondern auch eine Anamnese, eine Vorgeschichte der Krankheit. Man muss also erst einmal die Macht der Federal Reserve, der amerikanischen Zentralbank, verstehen, die vor gut hundert Jahren gegründet wurde. Viele Leute wissen bis heute nicht, dass die Federal Reserve keine staatliche Institution ist, sondern sich in privater Hand befindet. Das ist ein Bankenkartell, das in der Hand mehrerer großer, sehr reicher Familien liegt. Diese Tatsache ist im Laufe der Geschichte verschleiert worden.

Sie behaupten, dass Kriege immer auch die Wirtschaft und vor allem die Finanzindustrie angekurbelt haben. Das klingt erst einmal wie ein Widerspruch, wo doch im Krieg Dinge zerstört werden.

Die Zerstörung führt ja anschließend zum Wiederaufbau. In von den USA geführten Kriegen wird dieser Wiederaufbau dann meist an amerikanische Firmen bzw. Firmen, die mit dem Kriegsgewinner zusammengearbeitet haben, vergeben.

Im Falle Deutschlands haben doch aber die USA nach dem 2. Weltkrieg uneigennützig geholfen mit dem Marshall-Plan?

Der Marshall-Plan war alles andere als uneigennützig. Das war die erste gigantische Geldumverteilung von den Steuerzahlern zu den großen Konzernen in den USA. Das Geld, was nach Deutschland kam, war amerikanisches Steuergeld und deren Ausgabe war an die Bedingung geknüpft, damit Aufträge an amerikanische Firmen zu vergeben. Dieses Märchen, dass der Marshall-Plan so eine große Hilfsaktion der USA gewesen sei, ist genauso falsch wie die Tatsache, die in den letzten Jahren Herr Schäuble verbreitet hat, dass die Gelder, die nach Griechenland gehen, Hilfsgelder sind. Hier ging es darum, mit diesem Geld die Schulden bei europäischen und amerikanischen Banken zu bedienen. Das ist das gleiche Muster.

Der Schlüssel zur Weltwirtschaft ist noch immer der Dollar. Wie sehen Sie die Zukunft der Weltwährung No.1?

Der Dollar ist seit 1944 als Leitwährung die wichtigste Währung der Welt und seit Mitte der Siebziger Jahre auch noch die wichtigste Reservewährung, seitdem Öl, die wichtigste und meist gehandeltste Ware der Welt, nur in Dollar gehandelt werden darf. Aber der Dollar ist angeschlagen, weil die USA angeschlagen sind. Es gibt große Konkurrenz auf dem Weltmarkt, vor allem von China. Es braucht aber Zeit, so eine Leitwährung abzulösen. Diejenigen, die sich bisher gegen den Dollar gewandt haben, haben ein böses Schicksal erlitten. Saddam Hussein war der Erste, der versuchte, sein Öl in Euro zu verkaufen, und ist hingerichtet worden. Dann hat Gaddafi in Libyen das Gleiche versucht, und wir wissen, wie das geendet ist. Der Konflikt mit dem Iran hat auch damit zu tun, dass der Iran angekündigt hat, sein Öl in Euro verkaufen zu wollen. Und jetzt haben wir den nächsten Konfliktherd dieser Art in Venezuela.

Die Dollar-Ära ist noch nicht vorbei, aber sie geht zu Ende.

Das Absurdeste an der Finanzindustrie scheint zu sein, dass die geschaffenen Werte gar nicht real sind. Und doch generieren sie Geld in Größenordnungen, die Millionen Arbeiter nicht erwirtschaften können. Wie kann das sein?

Die Finanzwirtschaft ist unendlich viel größer als die Realwirtschaft und hat sich von der Realwirtschaft vollkommen gelöst, indem sie keine Werte produzieren. Sie ist in den letzten dreißig Jahren zu einem riesigen Casino geworden, in dem einfach nur Geld hin und her geschoben wird. Da das System auf Krediten aufgebaut ist, die bedient werden müssen, muss immer mehr Geld in das System reingepumpt werden. Das tun die Zentralbanken wie IWF oder EZB und sind damit die größten Manipulatoren des Finanzsystems. Sie drucken immer mehr Geld, das sie inzwischen sogar für Null- oder Negativzinsen anbieten.

Im zweiten Teil Ihres Buches geht es um aktuelle Finanzmethoden: Hedgefonds, Derivate  — da sieht keiner mehr durch. Ist vielleicht genau das das Gefährliche daran?

Na klar und dahinter steckt ja Absicht. Finanzleute sprechen heute eine Sprache, die ein normaler Mensch nicht mehr verstehen kann. Sie verstecken sich dahinter. Schon Georg Orwell nannte das in seinem Buch „1984“ Double Speak. Es ist wichtig, trotzdem zu versuchen, diese Dinge zu durchschauen. Im Grunde ist es  nicht so schwierig. Man darf sich nur nicht in den Einzelheiten verlieren. Man muss die großen Zusammenhänge sehen. Bei den Derivaten gibt es zum Beispiel alles Mögliche — Puts, Options, Calls, Swaps. Man muss hier aber gar nicht alle Unterschiede kennen. Man muss eigentlich nur wissen, dass es sich bei Derivaten um Finanzwetten handelt. Und dieses riesige Wettbüro bedroht uns alle.

Darum gibt es wahrscheinlich auch keine Revolutionen gegen die Machenschaften der Finanzwirtschaft, weil es kaum jemand versteht.

Das größte Problem ist, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, wo die meisten Probleme im Moment herrühren. In Europa wird zum Beispiel viel über die Flüchtlinge geredet. Dabei ist auch das ein Produkt der Dinge, die in der Finanzindustrie vor sich gehen. Die zwei primären Ursachen der Flüchtlingskrise sind die soziale Ungleichheit und die Kriege. An beiden ist die Finanzindustrie schuld. Im Hintergrund verdienen die großen Investoren an den Kriegen und nehmen auch noch die dritte Welt aus wie eine Weihnachtsgans.

Herr Wolff, ich schätze Sie als Experten, aber warum sind Sie immer so pessimistisch? Haben wir denn gar keine Chance, der Finanzapokalypse zu entgehen?

Ich glaube, wir haben sogar eine große Chance im Moment, weil die Kommunikationsmöglichkeiten heute viel größer sind. Ich setze auf Aufklärung. Um die Zustände zu verändern, muss man sie zuerst verstehen. Und ich hoffe, dass mein Buch zu diesem Zweck beiträgt.

Armin Siebert

Das Buch „Finanztsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“ ist im Verlag edition e. Wolff erschienen und im Handel erhältlich. Quelle!

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