Freitag, April 19, 2024
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Flassbeck vs. Sinn: Wer hat Recht in der Eurokrise?

Foto: Hans-Werner Sinn / CC SA 1.0

Ungeachtet der historischen Erfahrung, dass Schuldgeldsysteme dazu neigen ein Verfallsdatum zu haben, dreht sich der öffentliche Streit der Ökonomen um Konstruktionsfehler anderer Art. Für das Ringen um kurzfristige Therapien mag dieser Streit trotzdem sinnvoll sein.

Im konkreten Fall der sogenannten Eurokrise gibt es zwei erwähnenswerte Positionen, die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen, bei genauerer Betrachtung aber sich theoretisch ergänzende Lösungsansätze beschreiben. Das ist zum einen die Sichtweise von Hans-Werner Sinn, der die Ursachen der aktuellen Krise in der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Defizitländer und der Mechanik des EZB-Systems, insbesondere der sogenannten TARGET-Salden sieht. Zum anderen ist es die Position von

Heiner Flassbeck, der das sich abzeichnende Scheitern der Einheitswährung mit der Vertragsuntreue der Mitgliedsländer, eine gemeinsame Inflationsrate zu halten, begründet. Werfen wir also einen genaueren Blick auf diese Positionen:Für Sinn liegt der Anfang der Krise in der Zinskonvergenz von Staatsanleihen kurz nach der Ankündigung der

Festlegung der Wechselkurse der Währungen der Mitgliedsländer 1998. Die Zinsen konvergierten für traditionell inflationäre Währungen wie die Lire oder die Drachme auf einmalig niegrigem Niveau. Offensichtlich erwartete der Markt, dass die Länder mit den starken, d.h. kaufkraftstabilen Währungen, für die schwachen Länder in einem gemeinsamen Euro im Notfall einstehen würden. Die niedrigen Zinsen befeuerten eine Ausweitung der Staatsverschuldung der Länder mit schwacher Währung, schon bevor der Euro dann im Jahr 2002 offiziell eingefürt wurde. Im Gleichlauf mit der wachsenden Neuverschuldung stiegen Löhne und Außenhandelsdefizite dieser Staaten. Die Defizite bescherten den starken Länder (wie Deutschland) entsprechende Handelsüberschüsse, die aber eben auf Pump und nicht durch Gegenleistung finanziert wurden. Die steigenden Löhne und die schuldenfinanzierten Importe zerstörten in Folge die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche Grundlage der schwachen Länder. Ein Ausgleich über eine entsprechende Abwertung der Währung ist im Euro nicht mehr möglich.

Über die Konstruktion des EZB-Systems wurden die auflaufenden Auslandsforderungen der Überschussländer anonymisiert, sodass heute z.B. Deutschland keine direkten Forderungen an Italien oder Griechenlang hat, sondern nur Forderungen an das EZB-System in Summe. Dies drückt sich in den sogenannten TARGET-Salden aus, und wenn der Euro zerbricht, dann sind diese Forderungen gegenstandslos. Nach aktuellem Stand sind das 226 Milliarden Euro (Quelle: ifo Institut).

Fazit Sinn: Die Defizitländer sind in die Verschuldungsfalle gegangen und haben über schuldenfinanzierte Lohnerhöhungen über die eigene Produktivität hinaus ihre Wettwewerbsfähigkeit und ihre eigene wirtschaftliche Grunglage verloren. Die notwendigen Lohnanpassungen im Eurosystem sind unzumutbar und würden die Kaufkraft derart schwächen, dass auch die verbliebene Binnenwirtschaft kollabierte und diese Länder vollends in die Armut stürzen würden. Einzige Chance zum Neuanfang: Rückkehr zur eigenen Währung.

Im Zusammenhang mit Sinns Position wird oft behauptet, dass der Konstruktionsfehler des Euro darin lag, Länder mit sehr unterschiedlicher Produktivität unter ein Währungsdach zusammen zu bringen, weil so der Ausgleich über die Wechselkursbildung am Devisenmarkt abgeschafft wurde. Das ist ökonomisch erstmal plausibel, aber wenn wir uns die Argumentation von Heiner Flassbeck anhören, dann ist es nur ein Teil der Erklärung. Flassbeck erinnert daran, dass neben den geläufigen Konvergenzkriterien für den Euro (z.B. ähnliche Produktivität) die wesentliche Größe für das Funktionieren der Einheitswährung eine einheitliche Inflationsrate war und ist. Der Faktor für die Inflation schlechthin sind die Einkommen in einer Volkswirtschaft im Verhältnis zu ihrer Produktivität. Steigen die Einkommen entsprechend der Produktivität, dann ist die Inflation null. Weil im Zweifel eine leichte Inflation einer Deflation aus ökonomischer Sicht bevorzugt wird, war eines der Bedingungen der Währungsunion die Einhaltung einer geringen Inflation von 2% pro Jahr.

Wie sehen die Zahlen seit Einführung des Euro hier aus? Erstaunlicherweise ist in dieser Hinsicht Frankreich der Musterschüler im Euro. Frankreichs Inflationsrate ist seit Euroeinführung ziemlich genau bei 2%. Weniger überraschend die Tatsache, dass die Defizitländer Südeuropas über dieser Ziellinie liegen. Die größte Überraschung aber ist Deutschland. Die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre in Deutschland hat die offizielle Inflation im Lande deutlich unter die vereinbarte 2%-Linie gedrückt und so (vertragswidrig) die Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe der niedrigen Lohnkosten gesteigert (und nicht nur über die viel zitierte Qualität der Produkte). Für ein Funktionieren des Euro hätten also sowohl die Defizitländer über Lohnzurückhaltung als auch die Überschussländer über Lohnsteigerungen ihren Beitrag leisten müssen. Ich befürchte, dass es für eine Konvergenz jetzt zu spät ist. Weder ist es zumutbar, dass die Griechen ihre Löhne um 30 – 40% senken, noch ist zu erwarten, dass in Deutschland die Löhne um 20% steigen und dass die deutsche Exportwirtschaft (hier sollte man auch mal untersuchen, wer die Eigentümer dieser Unternehmen sind) so einen Teil ihrer Exportstärke gegenüber den anderen Euroländern aufgeben wird.So lässt sich abschließend feststellen, dass sowohl Sinn als auch Flassbeck in ihrer Analyse richtig liegen und sich nicht widersprechen. Die Volkswirtschaftslehre geht aber von einer Voraussetzung aus, die so nicht gegeben ist: nämlich dass die wirtschaftlichen Akteure und vor Allem die Großeigentümer des Produktivkapitals sich über nationale d.h. volkswirtschaftliche Kategorien definieren. Ihr Selbstverständnis ist eher das einer internationalen oder globalen Elite, die über den Nationalstaaten steht. Das wusste übrigens schon der alte Marx.

Verteiler: Neopresse

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