Donnerstag, März 28, 2024
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Flüchtlingspaten fühlen sich vom Land getäuscht

Sie haben als Paten Bürgschaften für syrische Asylbewerber übernommen. Jetzt erleben Flüchtlingshelfer in Mittelhessen eine böse Überraschung: Sie sollen viel länger zahlen als gedacht.

Eine gute Tat mit unerwarteten Folgen: Der Gießener Psychotherapeut Ulrich Breidert-Achterberg hat für eine vierköpfige syrische Familie eine Bürgschaft übernommen – in Form einer Verpflichtungserklärung. Jetzt soll er für einen seiner vier Flüchtlinge rund 500 Euro an das Jobcenter Gießen zahlen.

Andere Bürgen trifft es härter. Der Gießener Stadtverordnete Klaus-Dieter Grothe (Grüne), der auch als Bürge für eine syrische Familie eintrat, berichtet von Fällen, bei denen für ein Vierteljahr schon mal eine Rechnung von 6.000 Euro vorgelegt worden sei. „Rechnet man das hoch, wenn das noch zwei oder drei Jahre geht, kommt man dann auf 50.000 bis 70 000 Euro, mindestens.“

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Geld für Lebensunterhalt

Der Hintergrund:

  • Breidert-Achterberg hatte wie die rund 30 weiteren Bürgen aus Mittelhessen für syrischen Flüchtlinge eine sogenannte Verpflichtungserklärung unterschrieben. Er verpflichtete sich damit, für den Lebensunterhalt der Flüchtlinge aufzukommen, bis sie einen Status erhalten.

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Über die Flüchtlingshilfe Mittelhessen hatte er erfahren, dass christliche Syrer, die schon länger in Hessen leben, ihre in der Heimat verfolgten Angehörigen nachholen wollten. Den Nachzug möglich machte ein spezielles Landesprogramm, dass Hessen im Herbst 2013 aufgelegt hatte.

Böses Erwachen für 30 Paten

Meist allerdings fehlten den hier lebenden Flüchtlingsfamilien die Mittel, um nachweisen zu können, dass sie den Lebensunterhalt ihrer Angehörigen – wie vom Programm gefordert – selbst unterhalten können. „Das konnten sie alleine nicht stemmen und brauchten jemanden, der für sie bürgt“,  sagt Breidert-Achterberg. Er erklärte sich bereit, in die Bresche zu springen. Zumal das finanzielle Risiko für ihn recht gering schien: „Es war absehbar, dass die Menschen nach kurzer Zeit einen Flüchtlingsstatus erhalten.“

Breidert-Achterberg stützte sich dabei wie die anderen Bürgen auf mündliche und schriftliche Bestätigungen aus dem hessischen Innenministerium. Darin hieß es, dass „nach Zuerkennung der Asylberechtigung im Asylverfahren und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis […]  nach hiesiger Rechtsauffassung keine Erstattungspflicht“ mehr besteht.

Jobcenter: Bürgen müssen weiter für Kosten aufkommen

Die meisten der nachgeholten syrischen Flüchtlinge haben inzwischen die Anerkennung und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und meldeten sich folglich, wie in diesen Fällen üblich, bei den Hartz-IV-Behörden an. Diese zahlten den arbeitslosen Flüchtlingen die Beträge aus.  Als dem Gießener Jobcenter aber bekannt wurde, dass es für mehrere Flüchtlinge Bürgen gibt, forderte es von diesen die gezahlten Leistungen zurück. Das Gießener Jobcenter begründet dies damit, keinen Ermessensspielraum zu haben.

Außerdem werde durch eine Ergänzung im Paragraph 68 des Aufenthaltsgesetzes klargestellt, „dass eine Verpflichtungserklärung nicht durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder durch die Zuerkennung internationalen Schutzes hinfällig wird.“ Damit müssten die sogenannten Verpflichtungsgeber auch über die Asylanerkennung hinaus die Kosten für die Menschen tragen.

„Wir fühlen uns gelinkt“

Die Bürgen fühlen sich daher vom Land Hessen hinters Licht geführt. „Das Innenministerium hat uns im letzten Jahr mehrfach zugesichert, wie die Rechtslage ist und will jetzt davon nichts mehr wissen“, ärgert sich der Flüchtlingshelfer Grothe. „Da fühlen wir uns natürlich gelinkt.“

Das Innenministerium erklärt dazu, seit Juli 2016 habe sich die Rechtslage geändert. Danach müssen Bürgen für fünf Jahre für Flüchtlinge bürgen. Die Auswirkungen dieser Gesetzesänderung auf die Altfälle würden nun geprüft. Allerdings: „Nach hiesiger Auffassung ist diese Prüfung primär Aufgabe der für die Erstattung zuständigen Jobcenter“, heißt es in der Erklärung auf hr-Anfrage.

  • Die Bürgen wehren sich dagegen, Spielball zwischen den Behörden zu sein. Sie haben deswegen inzwischen Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.

In Wetzlar bleiben Bürgen verschont

Ärgerlich für die Gießener Bürgen ist dabei besonders, dass in der Nachbarstadt Wetzlar die dortigen Bürgen von hohen Forderungen des Jobcenters verschont bleiben.So hat der frühere mittelhessische DGB-Chef Ernst Richter zum Beispiel bisher keine Aufforderung erhalten. Er betreut mit seiner Frau und einem bekannten Ehepaar eine sechsköpfige syrischen Familie, für die die Bürgen insgesamt bisher schon einen fünfstelligen Betrag investierten.

Auch Richter hatte sich auf die Angaben aus dem Innenministerium im letzten Jahr verlassen. Er hat Glück. In Wetzlar bewertete Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD) die Verpflichtungserklärung der Bürgen aufgrund der früheren  Angaben aus dem Innenministerium als erloschen.

In der Stadt Gießen konnten sich die verantwortlichen Politiker bisher dazu aber noch nicht durchringen. Deswegen werden ihnen weiterhin die Kosten der Hartz-IV-Behörde aufgelastet. Der Gießener Stadtverordnete Grothe kann dabei vor allem eines nicht verstehen: „Wie kann eine Gesetzänderung rückwirkend gelten. Nach meiner Rechtsauffassung darf nur ab dem Zeitpunkt der Gesetzesänderung danach gehandelt werden.“

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