Mittwoch, April 24, 2024
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Frankreich: die politische Bombe nach dem Attentat

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Polizei und Geheimdienste fahnden nach den Tätern; die öffentliche Diskussion über gewalttätige Islamisten wird neu aufgeladen.

Der französische Staatspräsident Hollande hat für heute einen nationalen Trauertag ausgerufen. Bei dem gestrigen Anschlag auf die Redaktion des Magazins Charlie Hebdo (Terroranschlag in Paris mit “Allahu Akbar”-Rufen) sei die ganze Nation angegriffen worden. Die Opfer des barbarischen Aktes seien für eine fundamentale Idee Frankreichs gestorben, für die Idee der Freiheit, so der Präsident in einer landesweit übertragenen Ansprache, in der er die Franzosen dazu aufrief, Einheit zu bewahren: “Alle sollen sich versammeln.” Er kündigte einen verstärkten Schutz öffentlicher Einrichtungen an und eine Reaktion, die dem Verbrechen angemessen sei. 100.000 demonstrierten in mehreren französischen Städten.

In der aktuellen Ausgabe des Magazins ist eine Zeichnung veröffentlicht, die von einem bei dem Massaker ermordeten Zeichner stammt, von Charb. Sie ist überschrieben mit der Feststellung: “Noch immer keine Attentate in Frankreich” und zeigt einen bärtigen Kämpfer mit einer Pakul, einer paschtunischen Kopfbedeckung, die als zeichnerisches Symbol für radikale islamistische Gruppen nach dem Vorbild der Taliban steht, und einer Kalaschnikow auf dem Rücken.

Es ist ganz offensichtlich die Karikatur eines islamistischen Kämpfers. In der Sprechblase sagt der Mann, dessen verdrehte Augen auf Trunkenheit, Verrücktheit oder Entrücktheit, auf fehlenden Durchblick und Irrationalismus deuten: “Man hat ja noch den ganzen Januar, um seine Neujahrswünsche zu präsentieren.”

“Wir haben den Propheten gerächt” – Großfahndung nach den Tätern

Man habe sich in letzter Zeit sicher gefühlt, wird ein Redaktionsmitglied zitiert. Man hatte keine Befürchtung. Drohungen waren dem Magazin seit Jahren bekannt. Die Redaktion wurde schon einmal verwüstet.

Ob die beiden Täter, die 12 Personen töteten und 11 verletzten, davon vier so schwer, dass sie sich laut Meldungen um 20 Uhr noch immer in einem kritischen Zustand befinden, einer militanten islamistischen Gruppierung angehören, darüber gibt es noch keine Auskünfte. Die Polizei – und die Geheimdienste – fahnden mit einem Großaufgebot von über 3.000 Polizisten nach dem flüchtigen Trio (einer saß mutmaßlich nur am Steuer). Sie hat eine strikte Informationssperre über die Fahndung verhängt, ist den französischen Medien zu entnehmen.

Laut Zeugenaussagen, die unterschiedlichen Berichten zu entnehmen sind, sollen zwei der Männer sehr gutes Französisch gesprochen haben. Berichtet wird, dass die beiden, die sofort  mehrere Salven abschossen, als sie das Zimmer  betraten, in dem sich die Redaktion und Mitarbeiter des Magazins sowie mindestens ein eingeladener Gast befanden, den Tatort, der einer Schlachterei geglichen haben soll, mit den Worten verlassen haben: “Nous avons vengé le prophète. Charlie Hebdo est mort.” (zu deutsch: “Wir haben den Propheten gerächt. Charlie Hebdo ist tot.”)

Eine Zeichnerin des Magazins namens Coco sagt aus, dass sich die Täter ihr gegenüber auf al-Qaida berufen hätten. Nach ihrem Bericht, der in mehreren Medien wiedergegeben wurde, war sie es, die schwer bedroht, den Zahlencode für die Eingangstür eingegeben hat, da sie sich zufällig dort befunden hat. Sie hatte Glück und kam mit ihrem Leben davon, die Frau am Empfang wurde erschossen.

Der Bericht des Staatsanwalts

Im Bericht, den der Staatsanwalt François Molin am frühen Abend gegenüber der Presse abgab, wird dies nicht erwähnt. Dort heißt es nur, dass sich die Eindringlinge mit Gewalt Zutritt verschafft haben. Er bestätigt, dass die Täter “Allahu Akbar” gerufen haben. Nach den Ausführungen des Staatsanwaltes sind die Täter bei ihrer Flucht kurz nach dem Anschlag auf drei Polizeistreifen getroffen, jedesmal kam es zu einem Schusswechsel, zwei verliefen ohne Verletzte, bei dem dritten Zusammentreffen tötete ein Attentäter einen Polizisten, der verwundet auf dem Boden lag, mit einem gezielten Schuss, wie in einem Video dokumentiert.

Dass der Mann derart kaltblütig, schnell und gezielt tötete, wird als Anzeichen dafür gewertet, dass es sich um militärisch ausgebildete Männer handelte. Bis auf eine kurze Unsicherheit am Anfang des Attentats, als die Männer angeblich einen falschen Treppenaufgang nahmen, wird der Ablauf des Attentats von Fachleuten, die von France Inter interviewt wurden, als “professionell und präzise” bezeichnet.

Der Staatsanwalt enthielt sich solcher Wertungen und der Bestätigung von Zeugenaussagen. So berichtete er davon, dass die Täter bei der Flucht zweimal das Auto gewechselt hätten, aber er ging nicht auf eine weitere Zeugenaussage ein, die von France Inter berichtet wurde, wonach die Täter bei einem der Fluchtwagenwechsel ebenfalls von al-Qaida im Jemen gesprochen hätten. Offiziell gab es bislang kein Bekenntnis irgendeiner Terrorgruppe.

Vorwurf an Medien: Gewalttätige Strömungen des Islam zu wenig beachtet

Doch gibt es gegenwärtig aufgrund der Allahu-Akbar-Rufe im Blutrausch der Attentäter in der öffentlichen Berichterstattung und den Diskussionen keinen Zweifel an islamistischen Motiven hinter dem Massaker. Das Attentat hat Frankreich emotional in einer besonderen Tiefe getroffen, ist aus Medienberichten, aus Berichten von Kollegen der getöteten Journalisten, aus Kommentaren und von Befragten auf der Straße zu hören.

Die getöteten Zeichner, allen voran Wolinski, werden als Familienmitglieder einer nationalen, republikanischen Kultur verstanden, die für Grundwerte der gegenseitigen Selbstverständigung stehen, für Freiheit, Meinungsfreiheit, Witz und Esprit. In vielen Haushalten stehen deren Werke in den Bücherregalen.

Der Anschlag birgt enorme politische Sprengkraft. Den französischen Medien wird – ähnlich wie hierzulande – vorgeworfen, dass sie eine bestimmte Realität nicht wahrnehmen wollen oder aussprechen. Was gemeint ist, wird an den Worten des ehemaligen Chefredakteurs von Charlie Hebdo, Philippe Val, deutlich. Hörbar bewegt äußerte er heute Nachmittag vor dem Mikrophon von France-Inter nach einigem Zögern und Wortesuchen, dass man nicht umhinkomme, “ohne Rassist zu sein”, darauf zu verweisen, “dass es im gegenwärtigen Islam eine Tendenz gibt, die verrückt (i.O. “fou”) ist”.

Es habe sich das Gefühl verbreitet, so ein Journalist von Radio Hérault, dass eine bestimmte Realität von den Medien nicht oder nicht genug wahrgenommen wird. Jemand wie Houllebecq, dessen Buch “Soumission” heute in Frankreich erschien (der auf dem aktuellen Titel von Charlie Hebdo verulkt wird), würde als einer der Wenigen versuchen, das “Unsagbare” zu formulieren. In den Medien würden bestimmte Sentiments nur an der Oberfläche behandelt und häufig mit Umfragen zugedeckt.

Der Konflikt mit einer Art des Islamverständnisses, das Werte der Republik ablehnt und Gewalt im Namen der Religion legitimiert, werde von Medien tunlichst vermieden; daraus resultiere ein Schweigen, von dem hauptsächlich der Front National profitiere. Das Attentat könnte eine rigidere Spaltung in Lager zur Folge haben, differenzierte Standpunkte würden es künftig schwerer haben, sich durchzusetzen.

Man kann nur hoffen, dass sich das öffentliche Leben auf die französische Hochschätzung des Esprit besinnt. Mit Charlie Hebdo wurde nicht nur ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit ausgeübt, sondern auch auf die Freiheit zum Lachen, hieß es heute, mitten in der Trauer über die feige hingemordeten Satiriker.

Nachtrag Donnerstag:

Die Regierung in Frankreich hat verkündet, dass es Festnahmen nach dem tödlichen Anschlag auf die französische Satirezeitung “Charlie Hebdo” gegeben habe. Das sagte Ministerpräsident Manuel Valls am Donnerstagmorgen im Radiosender RTL. Zur Frage, um wie viele Festnahmen es sich handle, wollte sich der Premier nicht äußern.

“Le Monde” berichtet von sieben Personen, die in Gewahrsam seien. Es soll sich um Menschen aus dem Umfeld und vermutlich Angehörige der mutmaßlichen Täter des tödlichen Anschlags auf die französische Satirezeitung “Charlie Hebdo” handeln.

Als Hauptverdächtige gelten die beiden Brüder Cherif Kouachi, 32, und Said Kouachi, 34. Sie sollen schwer bewaffnet sein. In Polizeikreisen hieß es, einer der Männer sei identifiziert worden, weil er seinen Ausweis im Fluchtwagen habe liegen lassen.

Cherif Kouachi saß früher bereits für 18 Monate im Gefängnis, weil er in den Dschihad ziehen wollte (Lesen Sie hier mehr über die mutmaßlichen Attentäter). Er soll damals angegeben haben, dass ihn die Bilder gefolterter Menschen im US-Gefängnis Abu Ghuraib radikalisiert hätten.

In der Nacht hatte sich der jüngste Verdächtige der Polizei gestellt. Der 18-jährige Hamid M. meldete sich auf der Polizeistation in der nordfranzösischen Stadt Charleville-Mézières und wurde dort festgenommen.

Der Schwager der Hauptverdächtigen soll seine Unschuld beteuern. Die Sicherheitskräfte hatten ihn als obdachlos bezeichnet. Die Rolle des jungen Mannes ist unklar. Bisher steht nur fest, dass er während des Attentats in der Schule war und sich stellte, nachdem sein Name in den sozialen Netzwerken zirkulierte.

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12.00 Uhr: Ganz Frankreich gedenkt nun, um 12 Uhr, den Opfern des Anschlags mit einer Schweigeminute. Das Leben in den Großstädten steht still.

11.44 Uhr: Nach unbestätigten Berichten sind in Arcueil, wo die Spezialeinheit der Polizei operiert, Schüsse gefallen.

11.28 Uhr: Die Tatverdächtigen des Massakers von “Charlie Hebdo” sind aufgespürt. Das meldet die Nachrichtenagentur AFP unter Verweis auf Ermittler. Die Kouachi-Brüder sollen an einer Tankstelle in Villers-Cotteret aufgetaucht sein. Nach Informationen der Lokalzeitung L´Union überfielen die Brüder die Tankstelle im Departement Aisne. Es sollen Schüsse aus einer Kalaschnikow gefallen sein.

Außerdem soll es Fotos von einer Mautstelle geben, die die beiden Männer passiert hatten. Die beiden Männer sind in einem weißen Renault Clio unterwegs. Einem Bericht der Zeitung „Le Parisien“ zufolge entsprechen die Männer der Beschreibung der Brüder Kouachi, das Nummernschuld des Wagens ist verdeckt. Im hinteren Teil des Wagens seien lange Waffen sichtbar.

10.51 Uhr: Eine Polizistin, die bei einer Schießerei im Pariser Süden verwundet wurde, ist ihren Verletzungen erlegen. Das schreibt die französische Zeitung “Le Figaro”.

10.42 Uhr: Nach Informationen von „20min.fr“, die aus dem Innenministerium kommen sollen, wurden die Vorwürfe gegen den 18-jährigen Mourad H. fallengelassen. Immer mehr Mitschüler von H. hatten sich auf Twitter zu Wort gemeldet. Unter dem Hashtag #MouradHamydInnocent posteten sie, dass ihr Klassenkamerad zu dem Zeitpunkt des Anschlags in der Schule war und somit nicht am Terrorakt beteiligt sein konnte.

10.34 Uhr: Der Schütze des Angriffs auf zwei Polizeibeamte ist nach wie vor auf der Flucht. Innenminister Bernard Cazeneuve: “Die Staatsanwaltschaft arbeitet eng mit uns zusammen und setzt einen Aktionsplan in Kraft, um den Täter möglichst schnell zu identifizieren und zu stoppen.”

10.19 Uhr: Bereits gestern Abend soll es in einer weiteren französischen Stadt Gewalt im Umfeld einer Moschee gegeben haben. Wie die Zeitung „Midi Libre“ berichtet, hat ein Unbekannter gegen 20 Uhr Schüsse auf einen muslimischen Gebetsraum in Port-La-Nouvelle abgefeuert.

09.49 Uhr: Es gibt angeblich keinen Zusammenhang zwischen der Schießerei heute Morgen und dem Attentat auf „Charlie Hebdo“. Dies berichtet „20 Minutes“ in Berufung auf Polizeikreise.

09.33 Uhr: Nach Informationen der Zeitung „Le Progrès“ gab es in Villefranche-sur-Saône eine Explosion in der Nähe einer Moschee. Die Detonation in dem Ort nahe Lyon soll sich bereits um 06.00 Uhr morgens ereignet haben. Demnach ist die Schaufensterscheibe eines Imbisses neben der Moschee explodiert. „Ich fürchte, dass das etwas mit den dramatischen Ereignissen von gestern zu tun hat“, sagt Bürgermeister Bernard Perrut.

09.26 Uhr: Der Mann, der nach der neuerlichen Schießerei heute Morgen festgenommen wurde, trug eine kugelsichere Weste. Er hatte mit einem Maschinengewehr auf Polizisten gefeuert. Einer der beiden verletzten Polizisten muss wiederbelebt werden. Hintergrund ist offenbar ein Autounfall, in dessen Folge die Polizei anrückte.

08.57 Uhr: Nach neuen Informationen wurden zwei Polizisten bei dem Angriff verletzt, einer von ihnen schwer. Offenbar hatten zwei Männer mit automatischen Waffen aus einem Kleinwagen das Feuer auf die Beamten eröffnet. „Le Monde“ berichtet unter Berufung auf Ermittlungskreise, dass einer der Schützen angeblich festgenommen wurde.

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