Freitag, März 29, 2024
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Für den Staat existieren sie nicht: Die illegalen Bewohner der Tschernobyl-Sperrzone

Verlassene Gebäude und der Wind sind die einzigen Zeugen, die in der ukrainischen Stadt Prypjat nach dem Atomunfall im Kernkraftwerk Tschernobyl geblieben sind. Die Stadt scheint totenstill zu sein, aber tatsächlich leben dort auf eigenes Risiko Einsiedler, und es ist sogar möglich, eine Reise in die Sperrzone zu unternehmen.

Der russische Blogger und Abenteurer Alexander Belenki ist im Januar in die Ukraine gereist und hat hautnah erlebt, wie Prypjat und der Reaktor heutzutage aussehen:

„Seit zehn letzten Jahren  wollte ich die Tschernobyl-Zone besuchen. Dieser  Ort ist sehr ungewöhnlich und von mehreren Mythen und Legenden umwoben. Ich wollte einen eigenen Eindruck davon bekommen.“ 

Besuch der Todeszone

Seit mehr als 30 Jahren habe Prypjat quasi im Murmeltiertag festgesteckt. Die Zeit  sei hier  1986 für immer stehengeblieben: Die Sowjetunion sei hier nie zusammengebrochen, das Internet und das Satellitenfernsehen seien hier nicht aufgetaucht, und in den Geschäften herrsche heute das gleiche Defizit wie damals im ganzen Land.

Ein Besuch der Tschernobyl-Zone sei definitiv nichts für schwache Nerven. Bis heute sei es verboten, dort allein zu wandern. Die Willigen könnten aber entweder mit einer Touristengruppe oder mit einem privaten Begleiter, der eine spezielle Genehmigung habe, einen Ausflug  dorthin machen.

Eines der wichtigsten offiziellen Verbote bestehe auch  darin, keine Gebäude zu betreten.  Das sei gefährlich, weil akute Einsturzgefahr bestehe.

Prypjat
© Alexander Belenki
Prypjat

„Mit der Registrierung von Ausweisen, mit Mittagessen und Übernachtung  kostet die Reise etwa  100-150 US-Dollar, wobei das meiste Geld von der Sperrzone für die Bearbeitung von Dokumenten genommen wird.  Für die Ukrainer  ist ein Tschernobyl-Besuch viel billiger als für Ausländer“, so Belenki.

Knapp 32 Jahre nach der Katastrophe: Ist die Strahlung noch gefährlich?

In der Tschernobyl-Zone gebe es noch immer radioaktiv verseuchte Stellen, auch wenn die Strahlung nur ein Bruchteil dessen betrage, was in den ersten Monaten und Jahren nach dem Unfall gemessen wurde. Im Allgemeinen sei die Stadt von der gefährlichen Strahlung befreit — ihre Intensität in der gesamten Region gelte nicht mehr als gefährlich für Leben und Gesundheit.

Ein Mann mit einem Messgerät, Prypjat
© Foto: Alexander Belenki
Ein Mann mit einem Messgerät, Prypjat

„An einem Tag der Reise durch die Sperrzone würden Sie ungefähr die gleiche Strahlungsdosis abbekommen wie während eines einstündigen oder zweistündigen Fluges“, behauptet Belenki.

ber natürlich seien einige besonders stark verstrahlte Stellen erhalten geblieben  – je näher Sie dem Atomkraftwerk kommen, desto heftiger reagiere das Messgerät.

Strahlungsniveau um die Sperrzone, Tschernobyl
© Foto: Alexander Belenki
Strahlungsniveau um die Sperrzone, Tschernobyl

Bemerkenswert ist auch, dass in der Tschernobyl-Zone schon längst ein Biosphärenreservat geschafft worden sei – die Natur erhole sich allmählich. Die Tiere und Pflanzen, die in der 30-Kilometer-Zone rund um Tschernobyl leben würden, wiesen eine höhere Sterblichkeit, geringere Fruchtbarkeit und oft überdurchschnittliche genetische Mutationen auf, doch im Allgemeinen hätten sie sich erstaunlicherweise ziemlich gut an die dort herrschende Radioaktivität gewöhnt.

Prypjat
© Foto: Alexander Belenki
Prypjat

Dieser mächtige, etwa 15 Meter hohe Doppelbaum sei durch eine Kanalluke gewachsen und strecke sich dem Himmel entgegen. Er befinde sich im Hof einer ehemaligen Schule.

Ein Doppelbaum, Prypjat
© Foto: Alexander Belenki  Ein Doppelbaum

Wer lebt nun in der Geisterstadt?

Wie Belenki ferner erzählt, ist es durchaus möglich, Immobilien in den Gebieten zu erwerben, die an die Sperrzone angrenzen:

„Die Preise sind niedrig, manche Leute kaufen hier Häuser, aber nicht etwa, weil sie Geld einzusparen beabsichtigen, sondern weil sie sich für diese Zone interessieren und sie erkunden wollen.“

Zeitweise würden im Kraftwerk und in der Zone selbst bis zu 1000 Menschen arbeiten,allerdings unter besonderen Bedingungen.

Die wenigen Bewohner sind, wie Belenki erzählte, zumeist ältere Menschen um die 80, die dauerhaft in der Sperrzone leben und fast alle Lebensmittel selbst anbauen.

Prypjat
© Foto: Alexander Belenki

Nach der Katastrophe seien sie evakuiert worden, der Staat habe ihnen eine neue Unterkunft zur Verfügung gestellt, aber wie echte Patrioten seien sie zurückgekehrt.

Prypjat
© Foto: Alexander Belenki

Diese sogenannten Einsiedler, von denen etwa 150 in den ehemaligen Dörfern in der 30-Kilometer-Zone wohnen, tun dies auf eigenes Risiko und werden nur geduldet.

„Diese Menschen haben ihre Wahl getroffen. Für den Staat existieren sie nicht.“

Sofija Martjanowa   Quelle!

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