Samstag, April 20, 2024
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Gaddafis Viagra, Assads Sarin und Sputniks Brexit: Was macht Fake-News aus?

Wir hören und lesen ständig von Desinformationen und Fake-News zu den furchterregenden Waffen des Kreml, mit denen er die weltweite Demokratie in den Abgrund treibt. Doch manchmal ist unklar, was tatsächlich gemeint ist. Der jüngste Bericht „Desinformation und Fake-News“ von einem Ausschuss des britischen Parlaments gibt Nachhilfe zu diesem Thema.

Kurz gefasst wird unter den Begriffen „Desinformation“ und „Fake-News“ die Äußerung von Positionen gemeint, die mit der Position des Ausschusses nicht übereinstimmen. Doch gehen wir näher ins Detail.

Im Bericht des Ausschusses des britischen Parlaments für Kultur, Medien und Sport steht unter anderem:

„Der Ausschuss machte sich mit den Bezeugungen einer koordinierten, andauernden Kampagne vertraut, die von der russischen Regierung mit dem Ziel geführt wurde, auf die Wahlen und das Referendum in Großbritannien Einfluss zu nehmen.“

Laut den Verfassern des Berichts „nutzten die Russen eine raffinierte Technologie zur Auswahl der Ziele (für die eigene Propaganda) und bildeten ein individualisiertes Publikum, um die extremen Standpunkte in der Kampagne (die der Abstimmung vorausging) zu festigen, besonders hinsichtlich solcher sensiblen Themen wie die Beziehungen zwischen verschiedenen Rassengruppen und Immigration“.

Desinformation werde immer dann genutzt,  wenn es in der Medienwelt darum geht, Störungen zu schaffen, zu verzerren und zu übertreiben. Unter Berufung auf die Forschungsgemeinschaft „89up“ behaupten die Verfasser, dass die Medienagenturen RT und Sputnik vom 1. Januar bis zum 23. Juni 2016 exakt 261 Artikel zum britischen Referendum veröffentlicht hätten, die eine negative Haltung zur EU zum Ausdruck brachten.

Die Autoren betonen zwar, dass sie sich unter anderem auf Informationen stützen, die auf Facebook gesammelt wurden, beschimpfen aber das Internetunternehmen wegen mangelnder Kooperation – „Facebook zieht es vor, auf unsere schriftlichen und mündlichen Fragen nicht zu antworten“.

Allerdings ist in dem Bericht genau zu erkennen, was unter „Desinformationskampagne“ und „Fake-News“ verstanden wird. Und zwar überhaupt nicht das, was wir mit diesem Begriff beschreiben würden.

Bei Desinformation handelt es sich sowohl in der russischen, als auch in der englischen Sprache um die Verbreitung von falschen Informationen mit dem Ziel, Verwirrung zu stiften.

Wenn beispielsweise die „New York Times“ und andere führende englischsprachige Medien Berichte verbreiten, dass in der syrischen Stadt Duma der blutrünstige Diktator Baschar al-Assad Nervengas gegen sein Volk einsetzte und auf Basis dieser Berichte offizielle Regierungserklärungen veröffentlicht, Raketenangriffe versetzt werden und die OPCW-Experten anschließend keine Spuren des eingesetzten Nervengases finden – das ist ein gutes Beispiel für Desinformationskampagne.

Bei Fake-News handelt es sich um Meldungen, die nicht der Realität entsprechen.

Nehmen wir den C-Waffen-Angriff in Duma als Beispiel. Oder ein weiteres Beispiel: Mitteilungen darüber, dass Gaddafi Viagra unter seinen Soldaten verteilte, damit sie stundenlang Frauen vergewaltigen. Vor dem Angriff auf Libyen wurde diese Meldung von den Medien und der politischen Elite verbreitet. Nach dem Sturz Gaddafis untersuchten Vertreter mehrerer internationaler Organisationen diese Meldungen in Libyen und fanden keine Bestätigung.

„Störungen schaffen“, „verzerren“, „übertreiben“ bzw. „extreme Standpunkte festigen“ – das ist etwas anderes.

Bei Desinformationen (bzw. Fake-News) kann man klar konstatieren – es handelt sich um Berichte über ein Ereignis, später stellt sich aber heraus, dass es dieses Ereignis gar nicht gab. Assad vergiftete weder sein Volk mit Sarin, noch verteilte Gaddafi Viagra an seine Soldaten. Wenn es um „Verzerrungen“ und „Übertreibungen“ geht, befinden wir uns im Bereich von Einschätzungen und Präferenzen.

Wir können einen Artikel über die Lage in Russland als voreingenommen bezeichnen – wenn der Autor beispielsweise nur negative Ereignisse hervorhebt (bei einer alten Frau wurde die Tasche gestohlen), aber die positiven Ereignisse ignoriert (die Zahl der Diebstähle ist im Ganzen gesunken). Dabei handelt es sich jedoch nicht um Desinformationen und Fake-News. Die Tasche wurde der Frau tatsächlich gestohlen.

Eine gewisse Selektivität ist bei allen Medien unvermeidlich – niemand kann alle Fakten und Einschätzungen anführen, es muss ausgewählt werden. Diese Wahl wird natürlich von der politischen Ausrichtung der Medien beeinflusst. Das lässt sich nun einmal nicht verhindern.

Wer sich von den meisten englischsprachigen Medien informieren lässt, weiß viel über die zivilen Opfer in Aleppo – wo die syrische Armee eine Offensive mit russischer Unterstützung führte –, weiß aber fast nichts über die größere Opferzahl in Mossul, wo lokale Verbündete der USA mit aktiver Unterstützung der US-Luftwaffe vorgingen.

Die in den Medien bereitgestellten Informationen durchlaufen unvermeidlich einen Filter und stellen eine bestimmte Position dar. Jedes Pressefoto erzeugt eine eigene Aussagekraft – entscheidend dabei sind Blickwinkel, Moment der Aufnahme etc.

Die Position gewisser Medien mag uns nicht gefallen. Vieles davon mag verzerrt und übertrieben sein (als ob bei uns Willkür herrscht und eine Frau mit Tasche nicht auf die Straße gehen kann). Wir mögen meinen, dass dies „extreme Standpunkte festigt“. Doch das ist eben ein anderer Standpunkt – und nicht Desinformation.

Wenn RT und Sputnik auf die Fakten aufmerksam machen, die andere Medien einfach nicht anführen bzw. unter einem anderen Blickwinkel darstellen – das ist keine Desinformationskampagne. Eine Desinformationskampagne ist das, wovon wir bereits gesprochen haben. Wenn Fakten einfach gefälscht werden und zum Gegenstand eines medialen Shitstorms werden.

Britische Medien können behaupten, dass die russischen Medien verzerren und übertreiben. Wir haben, ehrlich gesagt, ähnliche Eindrücke von den britischen Medien. Doch das ist noch keine Desinformation.

Das heißt „freier Medienmarkt“.

Bereits zu Sowjetzeiten erklärten die Kurzwellen-Radiosender, dass er eine notwendige Eigenschaft der Demokratie ist. Doch irgendwie scheinen sie das nicht dem britischen Parlamentsausschuss für Kultur, Medien und Sport erklärt zu haben.

Sergej Hudijew, Publizist und Theologe

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