Donnerstag, März 28, 2024
StartPolitikEU„Gelebter politischer Schwachsinn!“ – Willy Wimmer zu europäischen Zukunftsplänen

„Gelebter politischer Schwachsinn!“ – Willy Wimmer zu europäischen Zukunftsplänen

Mit Sorge erfüllt Willy Wimmer die zunehmende Militarisierung Europas unter dem Einfluss der Nato. Die Bundesregierung habe mit ihrer Politik das Projekt Europa vor die Wand gefahren und die europäischen Nachbarn brüskiert. Statt einer europäischen Armee wünscht sich Wimmer Unabhängigkeit von der Nato und Friedenspolitik gegenüber Russland.

Verwundert zeigt sich Willy Wimmer darüber, dass die Bundeswehr eine eigene Studie zu möglichen Zukunftsszenarien hat erstellen lassen. Das sei seiner Ansicht nach die Aufgabe der Bundesregierung und der Kanzlerin. Außerdem fällt dem Ex-Staatssekretär die zeitliche Nähe zur Herbsttagung der Nato-Verteidigungsminister auf.

„Die Bundeswehr ist ja außerstande, eine sicherheitsmäßige oder militärische Beurteilung der Situation zu erstellen, ohne die Dinge aus der Nato übernehmen zu müssen. Ein eigenständiges Denken ist mir bei der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten eigentlich überhaupt nicht untergekommen – mich wundert das in hohem Maße.“

Die düsteren Prognosen der „Strategischen Vorausschau 2040“ zielen nach Meinung des Politprofis darauf ab, das eigene Tun zu verschleiern.

„Die Situation, in der wir uns heute befinden, ist ja von der Nato im Wesentlichen selbst hergestellt worden. Ich muss ja nur daran erinnern, dass die verhängnisvolle Entwicklung in Europa erstens mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien begonnen hat und zweitens damit, dass sich der Westen außerstande gesehen hat, der Russischen Föderation gegenüber das einzuhalten, was bei der deutschen Wiedervereinigung Grundlage des 2+4-Vertrages und aller internationalen Übereinkommen gewesen ist. Vor diesem Hintergrund ist es ganz merkwürdig: Man beklagt Umstände, wo man selbst die Ursache gewesen ist. Das ist inzwischen offensichtlich Methode in der Nato.“Für das im Strategiepapier skizzierte Worst-Case-Szenario eines Auseinanderbrechens der EU sieht Wimmer bereits Anzeichen. Das europäische Projekt sei bisher nur deswegen erfolgreich gewesen, weil Deutschland seine Nachbarn pfleglich behandelt und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Dies habe sich seit Beginn der Flüchtlingskrise geändert:

„Bei der Migrationsentwicklung im Herbst 2015 hat die Bundeskanzlerin deutlich gemacht, dass sie weder auf die europäischen Nachbarn gehört hat, noch auf den eigenen Bundestag oder gar auf das, was die deutsche Bevölkerung in diesem Zusammenhang gesagt hat. Da muss man sich natürlich nicht wundern, wenn die anderen europäischen Staaten nach dem Brexit sagen: So geht das nicht weiter. Wir sehen doch in Warschau, in Prag, in Budapest und in Bratislava, dass die Staatsführungen sich deshalb Gedanken machen, weil das nicht der europäische Weg sein kann, den die Bundeskanzlerin vorgegeben hat.“

Wie eine zerbröckelnde EU mit der Idee einer europäischen Armee, wie im Strategiepapier vorgeschlagen, zusammenpassen soll, kann Wimmer nicht nachvollziehen.

„Das ist gelebter politischer Schwachsinn, wenn man auf der einen Seite den Zerfall Europas prognostiziert, und dann gegensteuern will durch eine gemeinsame europäische Aggressionsarmee. Das kriegt man politisch gar nicht auf die Reihe und es macht deutlich, dass das alles verzweifelte Bemühungen sind, im Zusammenhang mit der Politik der eigenen Regierung für die Streitkräfte noch etwas übrig zu lassen. Wenn wir uns die heutigen Entscheidungsmöglichkeiten der Bundeswehr und der deutschen Verteidigungspolitik in der Nato ansehen, sind wir unter dem Zustand, den die rumänischen Streitkräfte bei der Wehrmacht hatten.“

Sorge machen dem Experten die Militarisierung des Schengen-Raums, die mit dem derzeit diskutierten PESCO-Projekt Form anzunehmen scheint. Dieses soll am kommenden Montag vom Außen- und Verteidigungsministerrat der EU beschlossen werden und beinhaltet gegenwärtig 47 einzelne Projektvorschläge zur Kooperation der europäischen Streitkräfte.

„Wir müssen heute feststellen: Die europäischen Verteidigungsüberlegungen, wie sie derzeit auch durch die Europäische Kommission  angestellt werden, haben dasselbe Aggressionsmodell gegenüber allen unseren Nachbarn zum Inhalt, wie wir es bei der Nato haben. Die Nato ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Übereinstimmung mit dem eigentlichen Nato-Vertrag unter einer reinen Verteidigungsüberlegung tätig, und das gleiche Aggressionsverhalten will auch die Europäische Union mit ihren Verteidigungsüberlegungen, die zweifellos in amerikanischem Interesse sein werden. Die Europäische Kommission legt etwas auf den Tisch, was die Welt erschaudern lassen muss.“

Auch für die Bürger der EU-Staaten bedeute eine solche Entwicklung nichts Gutes.

„Wir sehen in diesen Tagen Überlegungen, den Nato-Raum zu einem militärischen Schengen-Raum zu machen. Das geht nur, wenn die Reste europäischer Souveränität, die ja mit den staatlichen Grenzen verbunden sind, so zugrunde gefahren werden, wie die Bundeskanzlerin das in der Migrationskrise gemacht hat. Das ist für unsere Nachbarn nichts Gutes und das verheißt auch für die Bürger in Europa selbst überhaupt nichts Gutes.“

Wenn man das ganz nüchtern sehe, was in der Nato läuft, müsse man befürchten, dass man demnächst einen amerikanischen Befehlshaber für Europa bekomme. Und der werde dann eines seiner künftigen Hauptquartiere in Deutschland haben, resümiert Wimmer.

Wimmer wünscht sich, dass deutsche Streitkräfte künftig nur unter deutschem Befehl und keinesfalls unter dem Oberbefehl fremder Streitkräfte stehen. „Und dass wir dann eine friedensgeneigte deutsche Politik in Europa betreiben, eine Politik der guten Nachbarschaft und nicht der von den Vereinigten Staaten hochgezogenen Aggressionsbereitschaft gegenüber der Russischen Föderation oder anderen Völkern auf diesem Globus.“

Ilona Pfeffer

Beitragsbild: © Sputnik/ Wladimir Pesnya

Quelle: https://de.sputniknews.com/politik/20171110318244282-wimmer-interview-pesco/

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