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Geschäft mit Samen: Die Saat des Bösen

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„Wer das Saatgut kontrolliert, beherrscht die Welt.“ Henry Kissinger, früherer US-Außenminister.

In der Saatgutindustrie findet ein nie dagewesenener Konzentrationsprozess statt. Immer weniger Konzerne kontrollieren einen immer größeren Teil des Marktes. Für die Biobranche wird die Kontrolle des Saatguts zur Überlebensfrage – und die Zeit drängt.

95 Prozent. Diese Zahl sandte im Frühjahr 2014 eine Schockwelle durch die Medienlandschaft und die Kreise derer, die sich für

gesunde Ernährung und unabhängige Landwirtschaft interessieren: 95 Prozent des in Europa verkauften Gemüse-Saatguts, so ergab eine Studie im Auftrag der Grünen im Europäischen Parlament, werden inzwischen von nur fünf Firmen geliefert. Allein Monsanto beherrscht 24 Prozent des Marktes – zum Beispiel in Gestalt der bei Tomaten-, Paprika- und

Gurkensaatgut führenden niederländischen Firma De Ruiter, die Monsanto 2008 gekauft hat.

Bei anderen Kulturen sieht es ähnlich aus. Beim Maissaatgut kontrollieren die fünf größten Firmen 75 Prozent des Marktes; bei Zuckerrüben machen gar nur vier Firmen 86 Prozent unter sich aus. „In der Saatgutbranche findet ein noch nie dagewesener Konzentrationsprozess statt“, sagt Gebhard Rossmanith, Vorstandsvorsitzender der Bingenheimer Saatgut AG, die vor allem für Erwerbsanbauer, aber auch für Hobbygärtner ökologisches und nachbaufähiges Saatgut produziert; „und die Einkaufstour der großen Konzerne geht immer weiter“. Erst kürzlich kaufte Monsanto die Roggen- und Raps-Sparte des mittelständischen Agrarunternehmens Dieckmann Seeds, um auch in diesem Bereich mitmischen zu können.

Der Verbraucher merkt von der Machtkonzentration nichts

Der Verbraucher merkt davon meist nichts. Auf den Samentütchen, die er im Supermarkt oder Gartencenter sieht, grüßt ihn meist weiterhin das Logo der alteingesessenen Firma. Samen Hild in Marbach am Neckar zum Beispiel, ein mittelständisches Unternehmen, das neben konventionellem auch Öko-Saatgut anbietet, gehört längst zu Bayer CropScience, der Agrartochter des Chemieriesen Bayer. Und es ist in der Branche ein offenes Geheimnis, dass auch manche Biobauern sich nach wie vor bei De Ruiter eindecken. „Der Saatgutmarkt ist für den Konsumenten komplett intransparent“, bestätigt Toralf Richter vom schweizerischen Forschungsinstitut für biologischen Landbau.

Die Konzentration hat – abgesehen von den grundsätzlichen Gefahren solcher Oligopole, die nach Belieben die Preise diktieren können – dramatische Konsequenzen: Die Züchtung und die Züchtungsforschung liegen in immer weniger Händen, und damit auch die Kontrolle über die Sortenvielfalt, und beispielsweise auch über Resistenzen. Für die Chemiekonzerne, die weltweit zunehmend den Markt dominieren, hat das Saatgut vor allem eine Funktion: Es bahnt den Weg für ihre anderen Produkte, für all die maßgeschneiderten Kunstdünger und Pestizide, ohne die ihr patentiertes Hochleistungssaatgut nicht funktioniert; und es macht die Bauern komplett von ihnen abhängig. Schon bald wird eine Handvoll globaler Konzerne tatsächlich darüber entscheiden können, was die Menschheit zu essen bekommt. Henry Kissinger, der frühere US-Außenminister, fasste den Zusammenhang bereits vor Jahren in die lapidaren Worte: „Wer das Saatgut kontrolliert, beherrscht die Welt.“

Was all das auf Dauer für unser Verständnis von Landwirtschaft und überhaupt für die Versorgung mit Lebensmittel bedeutet, ist kaum absehbar. Saatgut ist von Natur aus – und in der Menschheitsgeschichte seit Erfindung des Ackerbaus – ein Teil des Lebenszyklus der Pflanze. Eine Pflanze bringt Samen hervor, und die dienen der Pflanze dazu, sich fortzupflanzen. Wer Pflanzen anbaute, ob als Groß- oder Kleinbauer, ob im Kloster- oder Bauerngarten, der erzeugte fast automatisch auch Saatgut.

Getreide kann man zu Mehl vermahlen, man kann es aber auch aussäen und daraus neues Getreide gewinnen. Wer aus seinen süßesten Tomaten, aus seinen größten Kürbissen immer wieder die Samen herausholt und wieder aussät, zieht im Lauf der Zeit seine eigene Sorte heran, die sich nebenbei an die örtlichen Verhältnisse anpasst. Im Lauf der Geschichte entstand so, durch das ungeplante Zusammenwirken von Menschen überall auf der Welt, die Fülle unserer Kulturpflanzen. Die stehen auf einer breiten genetischen Basis – und die ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass die Pflanzen sich weiterentwickeln und an veränderte Verhältnisse anpassen können.

Die Bauern sind immer abhängiger von den Konzernen

Was aber in den letzten Jahrzehnten (und verschärft in den letzten Jahren) passiert, ist das genaue Gegenteil davon. Die Erzeugung von Saatgut ist vom Anbau der Pflanzen größtenteils getrennt worden. Die Bauern sind nicht nur bei Kunstdünger und Pestiziden, sondern auch beim Saatgut von den Konzernen abhängig: Die Hybridsorten, die längst die Masse etwa des Gemüsesaatguts bilden, bringen meist kein geeignetes Saatgut mehr hervor und sind nur für den einmaligen Anbau gedacht.

Der sogenannte Nachbau, jahrtausendelang eine grundlegende bäuerliche Technik, wird unmöglich gemacht. Dazu kommt: Die Hochertragssorten bringen ihren hohen Ertrag nur unter optimalen Bedingungen, also bei ausreichender Bewässerung und auf nährstoffreichen beziehungsweise stark gedüngten Böden. Dabei war es gerade eine Stärke vieler regional angepasster Sorten, dass sie auch unter ungünstigeren Bedingungen zurechtkamen – auch wenn sie dafür weniger Ertrag lieferten.

Manchen Biobauern ist schon vor Jahrzehnten klargeworden, dass die Frage nach der Kontrolle über das Saatgut entscheidend für die Zukunft des Biolandbaus sein würde. Ohne eigenes Saatgut keine unabhängige und konsequent biologische Landwirtschaft. Zu den Leuten, die schon in den achtziger Jahren von diesen Fragen umgetrieben wurde, gehört Ludwig Watschong, der mit einigen Mitstreitern 1986 den Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) gründete, aus dem 1993 die Firma Dreschflegel entstand (siehe Reportage): „Uns war damals schon klar, dass die Großkonzerne einen immer stärkeren Zugriff auf das Thema kriegen würden.“

Die Zwänge des Marktes haben sich seither immer wieder verschoben. Anfangs, in den achtziger Jahren, trieb die Ökobauern vor allem die Frage um, wie sie an chemisch nicht behandeltes Saatgut kommen. Erst allmählich traten andere Probleme in den Vordergrund: die Abhängigkeit von den Hybridsorten, die neuen Züchtungsverfahren, die Gentechnik und die Bedrohung der Sortenvielfalt.

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(Klassische Züchtung: Begutachtung von Möhren)

„Die konventionelle Züchtung beeinflusst auch den Biolandbau“

Heute, so konstatiert Gebhard Rossmanith, sind die Biobauern abhängiger denn je von der konventionellen Züchtung. „Die konventionelle Züchtung rast derart mit Vollgas voran, und sie ist vordergründig so erfolgreich, dass sie die Maßstäbe am Lebensmittelmarkt bestimmt – zum Beispiel durch die immer makelloseren Früchte. Diesem Sog kann sich der Biolandbau im Moment nicht entziehen. Das ist aber eine Sackgasse. Es darf beim Biolandbau nicht nur um das Produkt gehen, sondern um den ganzen Prozess. Es muss darum gehen, welche Qualitäten das Saatgut haben soll, welche die Pflanze, wie der Landwirt arbeiten soll, wie sich das auf die Landschaft auswirken soll.“

Die Initiativen zum Erhalt der alten Sorten und zur Bekämpfung der bürokratischen Überregulierung seien wichtig und notwendig, meint Rossmanith – aber das wird die Unabhängigkeit des Biolandbaus nicht retten können. Vielleicht, sinniert Rossmanith, „brauchen wir eine grundlegende Diskussion darüber, was der Biolandbau sein will. Ein breites Nachdenken über die Züchtungsproblematik und über die Zukunft des Biolandbaus. Dazu braucht es aber Mut und Interesse bei den Verbrauchern. Bei denen muss es anfangen.“

Der in diese Richtung geht, ist gerade bei dem Göttinger Naturkostgroßhändler Elkershausen zu beobachten. Unter dem Motto „Labor? No more!“ hat Elkershausen eine Öko-Saatgutinitiative gestartet, die in beide Richtungen wirken soll, zum Verbraucher und zum Erzeuger hin. „Wir bieten bestimmte Produkte nur noch aus Öko-Saatgut an“, sagt Geschäftsführer Hermann Heldberg. Um herauszufinden, bei welchen Produkten das überhaupt möglich ist, haben sie sich vorher mit den Samenhändlern von Bingenheimer sowie mit ihren Erzeugern, den Gärtnern und Jungpflanzenerzeugern, an einen Tisch gesetzt.

Es stellte sich heraus, dass sie Kohlrabi, Zucchini und Rote Beete bereits überwiegend aus samenfesten Sorten anbieten können – und dass die Gärtner bereit sind, sich auf das Experiment einzulassen, wenn der Großhändler ihnen die Abnahme garantiert.

„Das machen wir aber schon immer so“, sagt Heldberg; „wir arbeiten viel mit Festpreisen, damit unsere Erzeuger Planungssicherheit haben“. Sein Credo: „Die Wertschöpfungskette muss auf dem Acker anfangen und nicht an der Ladenkasse.“ Damit sie dort allerdings enden kann und nicht ins Leere läuft, müssen die Läden und die Verbraucher auch mitspielen – was diese auch tun. „Wir bekommen viel positive Resonanz“, sagt Heldberg; „den meisten ist klar, dass es hier um eine politische Haltung geht, und dass man da ansetzen muss, wo sich Bewusstsein und Handeln verbinden.“

Literatur:

Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen von Udo Pollmer

Saat der Zerstörung. Die dunkle Seite der Gen-Manipulation von F William Engdahl

Mit Gift und Genen: Wie der Biotech-Konzern Monsanto unsere Welt verändert von Marie-Monique Robin

Quellen: PublicDomain/bioland.de vom 21.05.2015

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