Mittwoch, April 24, 2024
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„Gott ist tot“ – Hat Religion im Abendland ausgedient?

Stirbt das Christentum in Deutschland aus? Der Anteil der konfessionslosen Bevölkerung ist mittlerweile weit größer, als die einstige Spitzengruppe der Katholiken – Tendenz steigend. Vor allem junge Menschen suchen sich andere Vorbilder, auch Geld spielt dabei eine Rolle. Der aktuelle Kirchentag gilt bei vielen Experten deshalb als bedeutungslos.

Im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchentags kommt erneut die Frage auf: Welche Zukunft hat Religion in der heutigen Gesellschaft? Im Jahr 2015 beispielsweise lag der Anteil der konfessionsfreien Menschen hierzulande bei 36,0 Prozent. Erst dahinter lagen die römisch-katholische Kirche mit 28,9 und die evangelische Kirche mit 27,1 Prozent. Das besagen Daten der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland. Doch was ist der Grund dafür? Laut dem Journalisten und Religionsexperten Carsten Frerk liegt eine Erklärung auch in der Kirchensteuer:

„Als Berufstätiger stellte man fest, dass einem die Kirchensteuern abgezogen wurden. Dann gab es einen Prozess der Überlegung und wer sich dann nicht sonderlich mit den Kirchen verbunden fühlte, fragte sich dann: Warum soll ich das tun?“

Als weiteren Grund nennt der Experte auch die Missbrauchsskandale bei der katholischen Kirche in dessen Zuge auch evangelische Kirchenmitglieder ausgetreten seien. Dem will Ulrich Kloos, katholischer Dekan von Ulm, nur bedingt zustimmen. In einem Interview mit der Südwest Presse betonte er:

„Es gab immer Gründe, weshalb jemand der Kirche den Rücken kehrt. Wenn sie finanzieller Art sind, hat das nichts mit einem Abfall vom Glauben zu tun. Für viele Austritte haben aber die Missbrauchsfälle gesorgt.“

Deshalb habe man viel Energie auf die Aufarbeitung dieser Fälle verwendet und zahlreiche Maßnahmen zur Prävention gefasst, so der Katholik.

Weniger Einnahmen durch Kirchensteuern müssen die beiden großen deutschen Kirchen jedenfalls nicht befürchten. Christliche Kirchen nahmen 2015 so viel Geld ein wie noch nie. Trotz sinkender Mitgliederzahlen erreichten die Kirchensteuereinnahmen mit mehr als 11,46 Milliarden einen neuen Rekord. Der Hauptgrund für den Einnahmerekord liegt laut Experten in der guten Entwicklung der Löhne. Es gibt also weniger Anhänger christlicher Kirchen in Deutschland, die aber immer besser verdienen.

Allerdings ist diese Kirchenmitgliedschaft in den meisten Fällen nicht das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, sondern eine durch die Eltern bei der Taufer herbeigeführte Begebenheit. Ein zusätzlicher Fakt: Über eine Million Menschen arbeiten hierzulande in kirchlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Krankenhäusern oder Pflegeheimen und könnten deshalb aus beruflichen Gründen selbst dann nicht aus der Kirche austreten, wenn sie es wollten, so der Autor Carsten Frerk:

„Außerdem wissen wir aus Studien, dass nur noch eine Minderheit der Kirchenmitglieder überhaupt im klassischen Sinne als Christen zu verstehen ist, das sind ungefähr 25 Prozent. Rund 40 Prozent der Kirchenmitglieder glauben nicht speziell an Gott, sondern an höhere Mächte und höhere Kräfte.“

Vor allem die Generation der unter 35-Jährigen hat sich laut Umfragen von der christlichen Kirche in Deutschland abgewendet. Diese seien laut Experten deutlich pragmatischer orientiert, als ältere Generationen. Eine kirchliche Weltanschauung könne heute nicht mehr überzeugen, so Carsten Frerk:

„Diese Menschen haben für sich die Einsicht formuliert: Im Mittelpunkt stehe ich, mein Freundeskreis und meine Bekannten. Und mit denen zusammen diskutiere ich über ethische Normen, dafür brauche ich weder den Staat, noch die Kirche, noch eine weitere Institution. Das regeln wir unter uns.“  

Dem wollen sich die großen christlichen Kirchen in Deutschland stellen. Der Bischofskonferenzvorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm betonen, die Kirchen stellten immer noch eine wichtige Kraft in Deutschland dar. Marx zeigt sich zuversichtlich, dass die Kirchen auch heute den unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen gerecht werden und den Glauben überzeugend weitergeben könnten.

Forscher sind sich jedoch einig: Schon in zehn Jahren wird die Hälfte der Deutschen konfessionslos sein. Ist der in dieser Woche gefeierte Deutsche Evangelische Kirchentag dann überhaupt noch zeitgemäß? Die Generalsekretärin des Kirchentages, Ellen Ueberschär, rührte im Deutschlandfunk noch einmal die Werbetrommel:

„Wer das Programmheft aufschlägt, wird sehen, dass genau die Themen, die alle Menschen umtreiben – wie erfüllen wir die Nachhaltigkeitsziele? Was ist mit diesem Genderkram? Was passiert in Syrien? – all diese Dinge werden auf dem Kirchentag verhandelt und jede und jeder ist herzlich eingeladen, daran zu partizipieren.“

Inhaltlich ist den Organisatoren des Kirchentages ein Coup gelungen: Der ehemalige US-Präsident Barack Obama wird einen gemeinsamen Auftritt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel haben. Der Autor und Journalist Carsten Frerk glaubt ebenfalls, dass der Kirchentag für aktive Mitglieder der Kirche ein wichtiges Fest des Glaubens ist. Gesellschaftliche Auswirkungen sieht er aber nicht:

„Dort kommt man zusammen, bestärkt sich gegenseitig in seinem Glauben und sucht Anregungen für die eigene Gemeindearbeit. Für diese Leute ist der Kirchentag sehr wichtig und auch sehr nützlich. Für die Gesellschaft ist der Kirchentag relativ unerheblich, weil davon keine Impulse mehr ausgehen.“

Deshalb sei laut Frerk auch die öffentliche Finanzierung des Kirchentags problematisch. Mit 23 Millionen Euro ist dieser 36. Evangelische Kirchentag der bisher teuerste. Die Hälfte des Geldes zahlen die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund.

Ob der Kirchentag auch in zehn Jahren noch eine breite Unterstützung erfahren wird, ist angesichts der zahlreichen Kirchenaustritte unklar. Man könnte von einer Atheisierung des Abendlandes sprechen, denn dieser Trend ist bereits seit den 70er Jahren erkennbar. Zu dieser Zeit lag die Anzahl der konfessionslosen Menschen in der Bundesrepublik bei gerade einmal 3,9 Prozent. (Ende)

Marcel Joppa

Quelle: https://de.sputniknews.com/religion/

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