Mittwoch, April 24, 2024
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Grünen-Chef Habeck: „Vom Kreml nicht erpressen lassen!“

Wer Versöhnung mit Russland will, der wählt keine Grünen – so die weit verbreitete Meinung. Deshalb hat die Partei vor allem in Ostdeutschland Probleme. Grünen-Chef Robert Habeck gesteht nun Fehler des Westens ein, vom Kreml erpressen lassen wolle er sich aber nicht.

Dem Erstarken der AfD will er mit Kritik am deutschen Sozialsystem begegnen.

Ende Januar dieses Jahres wurde der norddeutsche Robert Habeck zum Bundesvorsitzenden der Grünen gewählt. Am Donnerstag stellte er sich nun in Berlin Fragen der ausländischen Presse. Sputnik nahm für Sie an dem Treffen mit internationalen Journalisten und Robert Habeck teil. Zu allererst musste der Lübecker dort eingestehen, dass seine Partei vor allem in Ostdeutschland große Probleme hat. Verantwortlich ist laut Habeck dafür die sozialpolitische Enttäuschung und der Frust gegenüber den etablierten Parteien:

„Wenn Sie sich anschauen, wer verdient was, wie sind die Renten, wie sind die Einkommensstrukturen, wer hat welche Jobs in Ostdeutschland. Und die Politik hat nicht das gegeben, was sie versprochen hat. Die blühenden Landschaften von Helmut Kohl sind an vielen Stellen eben nicht eingetreten. Als Reaktion darauf bildet sich aber keine sozialpolitische Bewegung aus Ostdeutschland heraus, sondern eben eine identitäre, rechte Bewegung.“

Diese Enttäuschung habe die AfD nutzen können, um Wählerstimmen für sich zu gewinnen. Habeck ist sich aber auch sicher, dass die Alternative für Deutschland keine Antworten präsentiere, sondern lediglich von dem fehlenden Vertrauen in die politischen Institutionen profitiere. Es fehle das Gefühl von Fairness, so der Grünen-Chef:

„Ich kenne das von mir selbst: Wenn ich beim Arzt warte und irgendjemand wird vor mir aufgerufen, dann denke ich nicht, der ist bestimmt schlimmer krank als ich, sondern das ist bestimmt das ungerechte deutsche Sozialsystem, der ist bestimmt privatversichert. Und wenn man das beantwortet, dann kann man den Rechtspopulismus zurückdrängen, weil er dazu einfach nichts beizutragen hat, außer den immer gleichen stumpfen Parolen.“

Deshalb begrüßt Habeck, das Gesundheitsminister Jens Spahn vor einigen Wochen mit seiner Behauptung für Aufsehen gesorgt hatte, Hartz IV bedeute nicht gleichzeitig Armut. Denn erstmals seit zwei Jahren sei nun wieder eine öffentliche und mediale Debatte über die soziale Frage geführt worden.

Habeck warnt jedoch davor, dass auch andere Parteien rechte Parolen übernähmen. Dies sei vor allem bei der CSU aktuell klar zu erkennen:

„In Bayern hat man das Gefühl, die CSU versucht in Sprache und Haltung AfD-Positionen zu übernehmen. Alexander Dobrinth macht das in einer Maß und Mitte verlierenden Art. Wenn man sich anschaut, dass er und Joachim Herrmann Demonstranten mit Lügenpropaganda beschreiben, dass Dobrinth Worte sagt, wie „Sabotage am Staat“, oder „Anti-Abschiebungs-Industrie“. Er rutscht sprachlich ab in Anleihen an düsterste Vorzeiten, die wir in Deutschland hatten.“  

Diesem Populismus wolle sich seine Partei nicht anschließen, so Habeck. Die Grünen vereine all das, was identitäre und völkische Politik hasse.

„Sportsfreunde wie Putin, Erdogan, oder Assad“

Außenpolitisch schätzt Habeck die Lage mehr als kompliziert ein. Die Aufrüstungspläne der Bundesregierung sehe er kritisch, wenn auch unter Vorbehalt:

„Wir wissen natürlich, dass wir in einer Welt leben, wo der amerikanische Schutzschirm im Grunde aufgekündigt wurde und wo auch Russland und der Nahe Osten als unmittelbarer Nachbar keine friedfertigen Regionen sind. Und man kann wahrscheinlich nicht unterstellen, dass Sportsfreunde wie Putin, Erdogan oder Assad irgendwann sagen: Weißt du was, das war alles nur ein Versuch und eigentlich wollen wir mit euch Kaffee trinken. Das wird ja nicht passieren.“

Die richtige Antwort wäre laut Habeck aber eine europäische Analyse, welches militärische Gerät wofür überhaupt gebraucht werde. Es könne nicht sein, dass beispielsweise weiterhin völlig unnötig eine deutsche Panzerarmee in der norddeutschen Tiefebene stationiert sei. Als NATO-Schutzmacht Osteuropas gegenüber Russland sei die deutsche Truppe dennoch wichtig, glaubt der Grünen-Vorsitzende:

„Ich und auch die Grünen meinen, dass Russland nicht als Partner funktionieren wird, wenn man Russland hinterherdackelt. Nord Stream 2 ist aus unserer Sicht vielleicht das wichtigste Projekt, was gestoppt werden muss. Es ist auch das Signal damit verbunden, dass es kein Erpressungspotential vom Kreml gegen Europa geben darf.“

Auf der Basis könne man dann gerne Gespräche und diplomatische Initiativen aufnehmen. Allerdings räumt Habeck auch ein, dass der Westen in der Vergangenheit nicht immer klug gehandelt habe:

„Ich würde immer einräumen, dass nach dem Fall der eisernen Mauer mit einer gewissen Überheblichkeit des Westens natürlich auch narzisstische Kränkungen gemacht wurden, die weit tragen. Also dass der Westen schuldfrei an dem miserablen Verhältnis ist, das würde ich nicht sagen.“

Habeck selbst sei daran interessiert, dass sich das Verhältnis zu Russland bessere und es zu einer Aussöhnung komme. In der aktuellen weltpolitischen Lage könne das jedoch nicht gehen. Das Fazit des Partei-Chefs: Die letzten außenpolitischen Prinzipien Deutschlands dürften nicht auch noch geopfert werden, nur um auf Moskau zuzugehen.

Die Grünen bleiben sich und ihrer jüngeren politischen Linie also treu: Prinzipien, statt Entgegenkommen. Ob das eine Richtung ist, die die Wähler unterstützen wollen, wird sich dann spätestens bei den kommenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern zeigen.

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