Freitag, April 19, 2024
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Holocaust im Comic: Leidig, lästig, anmaßend?

Deutsche als Wölfe, US-Amerikaner als Bisons, Russen als Bären und Franzosen als… Kaninchen: „Das Beast ist tot“ von Edmond Calvo erzählt die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Tierbildern. Heute ist der Comic im Pariser Mémorial de la Shoah zu sehen, in der Ausstellung „Holocaust und Comic“. Die Zeitung „Kommersant“ berichtet.

Erschienen ist „Das Beast ist tot“ 1944 gleich nach der Befreiung von Paris, vorbereitet wurde es noch während der Okkupation. Gleich daneben wird in der Pariser Ausstellung ein bislang ungekanntes Stück präsentiert: „Mickey im KZ Gurs“, ein Bilderalbum über das Leben der fiktiven Maus im echten KZ Gurs im Süden Frankreichs – jenem Konzentrationslager, in dem auch Hannah Arendt und Ernst Busch eingesperrt waren.

Auf ganzen vier Sälen vereint die Pariser Schau Bilderfolgen von Comiczeichnern, die seit den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts versuchten, die europäische Katastrophe in Bilder zu fassen.

Der Autor von „Mickey in Gurs“, Horst Rosenthal, hatte, was er zeichnete, am eigenen Leib erfahren. 1933 floh er als Jude aus Deutschland, 1939 wurde er in Frankreich als Deutscher in Gurs inhaftiert und kehrte ein Jahr später dorthin als Jude zurück. 1942 wurde er in Auschwitz getötet.

Als Klassiker des Holocaust-Comics gilt Art Spiegelmanns „Maus“. Diese Zeichnung ist unter den Comics das, was „Schindlers Liste“ unter den Filmen ist. Auch Spiegelmann versucht der Tragödie des Holocausts durch die Tierwelt gerecht zu werden: Nachdem er die Juden als Mäuse, die Nazis als Katzen und die Polen als Schweine gezeichnet hatte, erhielt er nicht nur den Pulitzer-Preis (ein Jahrzehnt später), sondern erntete auch heftige Kritik – von den Katzen, den Schweinen und den Mäusen auch.

Holocauste : la bande dessinée planche pour la mémoire http://dlvr.it/NCZzsH 

Der Zeichner erzählt in seinem 1986 erschienen Comic nicht nur über KZs, sondern auch über seinen Vater: einen Auschwitz-Überlebenden, der seiner Jugend, seines älteren Sohns, seiner Ehe, seiner Lebenskraft und seines Glaubens an die Menschheit in dem KZ beraubt wurde. Spiegelmanns Vater blieb selbst in seinem New Yorker Appartement ein Häftling, bis ans Lebensende.

Eines der schillerndsten Exponate der Pariser Ausstellung: das Titelblatt einer Charlie-Hebdo-Ausgabe von 1978. Darin verarbeitete Georges Wolinski die damaligen Appelle von Alt-Nazis, endlich mal „die menschliche Seite an Hitler zu erkennen und endlich mit der Holocaust-Lüge aufzuhören“. Wolinski zeichnete den Führer mit den Überschriften: „Endlich darf man wieder sagen, dass Hitler ein Prima-Kerl war“ und „Gib mal Gas!“. 37 Jahre später wurde der Comiczeichner mit seinen Kollegen in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo massakriert.Die Direktoren des Mémorial de la Shoah hatten erst gezögert, seine Comics auszustellen, sagten die Kuratoren der Ausstellung laut dem Blatt. Ironie sei in dieser Schau unangemessen, sagten die Verantwortlichen zunächst.

Eine häufige Reaktion. Genau so reagierte man auf den italienischen Regisseur Roberto Benigni, nachdem er 1996 ein Vernichtungslager in einen Vergnügungspark verwandelt hatte. Aus Lego-Steinen baute er ein KZ nach, mit all den Gas-, Folter- und sogar Wäschekammern – ein echter Skandal.

Holocaust and the Comics, Expo – exposition SHOAH & BANDE DESSINEE à Paris http://dreisteine.net/2017/02/12/holocaust-and-the-comics-expo/ @AmadeuAntonio@PaniniVerlag

Die Pariser Ausstellung ist jedenfalls lehrreich. Nur eines scheinen die Organisatoren vom Mémorial de la Shoah nicht berücksichtigt zu haben: Die Comics über den Holocaust haben keine Leser. Davon zeugen unvollendete Comicauflagen, die ebenfalls auf der Ausstellung präsentiert werden. Sie wurden schlicht nicht gekauft. Der Durchschnittseuropäer will von diesem Thema nichts hören und nichts wissen: zu schwer, zu unangenehm, zu unangemessen…
Beitragsbild: comic-report.de
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