Mittwoch, April 24, 2024
StartPolitikAsien"Im Hintergrund weiter enge Kooperation" – Weitere EU-Milliarden für Türkei

„Im Hintergrund weiter enge Kooperation“ – Weitere EU-Milliarden für Türkei

Trotz Streits zwischen EU und Türkei fließen weiterhin Milliarden Euro Hilfsgelder von Brüssel nach Ankara. Der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Andrej Hunko, fordert deshalb: Die Beitrittsverhandlungen stoppen! Trotz böser Worte auf beiden Seiten gibt es im Hintergrund weiterhin eine enge Kooperation, so der Abgeordnete.

Die EU-Kommission hat die Türkei vor wirtschaftlichen Folgen angesichts der anhaltenden Spannungen gewarnt. Der Konflikt schade der türkischen Gesellschaft und der türkischen Wirtschaft, hieß es. Für den Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke Andrej Hunko geht das nicht weit genug:

„Es gab ja keine wirklichen Taten von Seiten der EU-Kommission oder der deutschen Regierung. Das bleibt sozusagen alles immer noch auf einer verbalen Ebene und das beeindruckt Erdogan nicht.“

Hunko fordert Taten statt Worte. Aktuell treffen sich türkische Minister in Brüssel mit EU-Vertretern, um über weitere Kooperationen zu beraten. Dies dürfe aber keine Gespräche über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei beinhalten, so der Linken-Abgeordnete. Wenn sich die EU ernst nehmen wolle, müsse sie die Beitrittsverhandlungen an die selbst aufgestellten Kriterien koppeln: „Das sind die Kopenhagener Kriterien und da geht es im politischen Teil um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Und es weiß ja nun jeder, dass das in der Türkei gegenwärtig genau in die entgegengesetzte Richtung geht.“

„EU-Gelder helfen Erdogan – gegen die Demokratie“

An den Beitrittsverhandlungen hängt gleichzeitig viel Geld: Für die damit verbundenen sogenannten Vorbeitrittshilfen im Zeitraum 2014 bis 2020 sind von der EU über vier Milliarden Euro für die Regierung in Ankara eingeplant. Dabei sei in vielen Bereichen nicht bekannt, wofür die Gelder in dem Land tatsächlich verwendet werden. Damit werde der Kurs von Staatspräsident Erdogan unterstützt, kritisierte Hunko:

„Zum Beispiel sind für die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit seit 2014 über 190 Millionen Euro geflossen. Das ist ja nun wirklich zynisch, weil in genau diesem Zeitraum Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abgebaut worden sind.“

Am 24. Juli ist in der Türkei der jährliche Tag der Pressefreiheit. Gleichzeitig war an diesem Datum in diesem Jahr der Prozessauftakt im Verfahren gegen 17 Journalisten und Manager der Zeitung „Cumhuriyet“. Den Angeklagten drohen im schlimmsten Fall Haftstrafen von über 40 Jahren. An einen Zufall bei der Wahl des Datums glaubt Andrej Hunko dabei nicht:

„Das ist eine bestimmte Form des Zynismus der türkischen Regierung. Es geht ja darum, dass die ‚Cumhuriyet‘ unangenehme Sachen gegen Erdogan und die türkische Regierung aufgedeckt hat. Zum Beispiel türkische Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien. Das ist der eigentliche Grund, der dahinter steckt.“

Berlin mit Symbolpolitik

Aber hat Deutschland überhaupt einen gewissen Einfluss auf innenpolitische Prozesse in der Türkei? Immerhin: Die Türkei hat die umstrittene Liste mit knapp 700 Unternehmen, die Ankara der Terrorismusfinanzierung bezichtigt hatte, zurückgezogen. Offiziell sei das Ganze ein „Missverständnis“ gewesen, so die türkische Regierung. Für Hunko ist klar, das Gegenteil war der Fall:

„Es war ja interessant, dass, nachdem diese Liste bekannt wurde, dann doch der deutsche Außenminister deutlicher reagiert hat als bislang. Das heißt, dass es in Ankara doch eine gewisse Druckempfindlichkeit gibt. Natürlich ist die Wirtschaft in der Türkei gegenwärtig nicht sehr rosig.“

Wenn Investitionen aus Deutschland gestoppt würden und wenn die Touristenzahlen weiter zurückgingen, so Hunko weiter, wäre dies ein Problem für Staatspräsident Erdogan. Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Woche einen Kurswechsel in der Türkei-Politik verkündet. Außenminister Sigmar Gabriel hatte von Investitionen in der Türkei abgeraten und außerdem die Reisehinweise für Touristen verschärft. Für Hunko hätten die Maßnahmen drastischer ausfallen müssen: „Das war ja leider keine Reisewarnung. In dem Fall würde man auch die Reisekosten erstattet bekommen, wenn man beim Reiseveranstalter gebucht hat. Es waren nur Reisehinweise. Aber es war trotzdem ein Zeichen, dass es der deutschen Regierung ernster ist.“

Nur verbale Spannungen

Von Harmonie jedenfalls dürften Begegnungen zwischen Brüssel und Ankara auf absehbare Zeit kaum geprägt sein. Es gebe „Auffassungsunterschiede“ um gewisse rechtsstaatliche Fragen, heißt es seitens der EU-Kommission. Auch Hunko kann sich nicht erinnern, dass die Spannungen jemals so groß waren. Was Deutschland betrifft, sei aber genau hinzuschauen, meinte der Linken-Politiker:

„Wir reden ja hier nicht von Sanktionen gegen die Türkei, wie zum Beispiel gegen Russland. Wir reden über eine extrem enge Kooperation und auch über eine massive Unterstützung für die Türkei, die es bis heute gibt. Zum Beispiel durch Waffenlieferungen, oder durch eine geplante Panzerfabrik in der Türkei, an der Rheinmetall jetzt beteiligt werden soll.“

Die Spannungen seien zwar auf der verbalen Ebene sehr groß, so der Bundestagsabgeordnete, aber sie seien auf der faktischen Ebene nach wie vor nicht vorhanden. Im Hintergrund gebe es weiterhin eine enge Kooperation. Diesen Widerspruch der verbalen Rhetorik auf der einen Seite und der realen Kooperation auf der anderen Seite muss laut Hunko dringend aufgelöst werden.

Marcel Joppa

Das komplette Interview mit MdB Andrej Hunko zum Nachhören:

Beitragsbild: © Sputnik/ Michail Kutuzow

Quelle: Sputnik Deutschland

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