Donnerstag, April 25, 2024
StartRechtKriminalitätIndustrie erkauft sich Redezeit: Kritik an Europäischem Polizeikongress in Berlin

Industrie erkauft sich Redezeit: Kritik an Europäischem Polizeikongress in Berlin

Innere Sicherheit und Cyber-Kriminalität: Das sind Themen des Europäischen Polizeikongresses, der aktuell in Berlin tagt. Kritiker sehen dabei eine massive Einflussnahme von EU und Lobbyverbänden.

Der linke Bundestagsabgeordnete und Europaexperte Andrej Hunko sagt: Rüstungskonzerne diktieren den Sicherheitsbehörden ihren Kurs.

Herr Hunko, rund 1500 Vertreter der Kriminal-, Sicherheits- und Nachrichtendienste im In- und Ausland nehmen aktuell am Europäischen Polizeikongress teil. Ist diese Veranstaltung ein wichtiger Beitrag zur internationalen Vernetzung, oder hat er eher symbolischen Charakter?

Zweifellos ist der Polizeikongress eine wichtige Veranstaltung zur Vernetzung. Allerdings bezweifle ich den europäischen Charakter. „Europäisch“ meint hier vielmehr, jene Beschlüsse, die über die Europäische Union eingefädelt werden, in Deutschland umzusetzen. Gerade im Bereich des Ausbaus polizeilicher Datensammlungen oder der Einführung neuer, digitaler Überwachungsmethoden ist das deutsche Bundeskriminalamt tonangebend in Brüssel. Zahlreiche Richtlinien, Verordnungen oder andere EU-Maßnahmen kommen aus der Feder des Bundesinnenministeriums.

Wie ist es aktuell um die Vernetzung der europäischen Sicherheitsbehörden bestellt?

Das kommt darauf an: Manche Länder nutzen die Möglichkeiten der Europäischen Union, andere nicht. Mitgliedstaaten wie etwa Griechenland oder Portugal setzen im Polizeibereich beispielsweise mehr auf eigene Mechanismen als auf die europäische Vernetzung. Trotzdem schafft die Europäische Union immer mehr Netzwerke, bei denen sie selbst auch immer mehr Macht erhält. Das finden wir übrigens eine bedenkliche Entwicklung.

Tatsächlich ist es aber eher ein Problem, die bestehenden Strukturen mit Leben, also tatsächlicher Zusammenarbeit zu füllen. Deshalb plädieren wir auch dafür, die bestehenden Richtlinien und Verordnungen zu evaluieren, bevor neue erlassen werden. Nach 9/11 hat die Europäische Union über 300 Anti-Terror-Maßnahmen beschlossen. Die gehören eigentlich alle auf den Prüfstand. Viele haben sich als wirkungslos erwiesen oder werden jetzt einfach zur Überwachung anderer Phänomene genutzt.

Große Themen auf dem Kongress sind auch die Digitalisierung und die Cyber-Kriminalität. Ist Deutschland in diesen Bereichen für die heutigen Herausforderungen gewappnet?

Glaubt man den Expertinnen und Experten, die sich jährlich auf dem Chaos Computer Club vernetzen: Nein. Weder die Bundeswehr noch das Bundeskriminalamt finden genügend IT-Sachkundige, um ihre neuen Cyberzentren in Schwung zu bringen. Eigentlich finde ich das aber gar nicht schlecht, denn das gibt uns Zeit, diese Anlagen zu kritisieren und ihre Arbeitsweise öffentlich zu machen. Das BKA will beispielsweise mehr und mehr Trojaner einsetzen, um private Rechner zu infiltrieren. Die Bundeswehr möchte Rechner hacken, auch ohne angegriffen worden zu sein. Regelmäßig fragen wir Zahlen zu digitalen Ermittlungsmethoden ab. Die Ergebnisse sind äußerst bedenklich. Methoden wie die Nutzung von Telefonen als Ortungswanzen nehmen beträchtlich zu.

Und hier kommt der Polizeikongress ins Spiel, der seit seinem Bestehen einen Schwerpunkt auf digitale Ermittlungstechnik legt. Solche Veranstaltungen behaupten, eine Balance von Freiheit und Sicherheit herzustellen. Doch die wird immer weiter zugunsten letzterer verschoben. Das geht auf Kosten von Bürgerrechten und Datenschutz.

Zum Auftakt des Kongresses hat der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, vor einer großen Gefahr durch den radikalen Islam in Deutschland gewarnt. Ist das Panikmache oder ein reales Problem?

Ich möchte das Problem der sogenannten ausländischen Kämpfer nicht kleinreden, sicherlich müssen wir die Auswüchse des „Islamischen Staat“ auch in Europa bekämpfen – erst Recht, wenn diese aus Ländern wie der Türkei unterstützt werden. Ich würde aber auch sagen, dass dies zuallererst ein außenpolitisches Problem ist. Die europäische Innenpolitik betreffend glaube ich nicht, dass wir dies mit mehr Überwachung lösen können. Der Ausbau des Sicherheitsapparates trifft dann im Übrigen alle Europäerinnen und Europäer.

Wie sind die Europäischen Sicherheitsbehörden in diesem Punkt aufgestellt?

Die Bundesregierung hat mir jüngst Zahlen genannt, wonach im Europol-Informationssystem 36.850 Personen gespeichert seien, bei denen Europol davon ausgeht, dass diese ausländische Kämpfer oder deren Unterstützer sind. Das Problem der EU-Polizeiagentur ist aber, dass sie über zu viele Daten ausländischer Kämpfer verfügt und nicht unbedingt über zu wenige. Es handelt sich dabei um Verdachtsdateien der Staatsschutzabteilungen aus den Mitgliedstaaten, in die auch Kontakt- oder Begleitpersonen aufgenommen werden. Selbst ahnungslose Reisebüros, bei denen eine Reise ins syrische Kampfgebiet gebucht wurde, können gespeichert werden.

Aussagekräftiger wären die Angaben zu von Europol bestätigten ausländischen Kämpfern, wobei auch hier die Kriterien unklar und selbst dem Bundesinnenministerium nicht bekannt sind. Die gleiche Unsicherheit gilt für die sogenannten „Gefährder“, für die es EU-weit keine einheitliche Definition gibt. Deshalb sind die Statistiken zu Europols Datenbanken, die aus den Mitgliedstaaten gespeist werden, mit Vorsicht zu genießen.

Sie kritisieren, dass der Kongress vor allem eine Verkaufsmesse mit zahlreichen Lobby-Vertretern ist. Welchen Einfluss hat die Industrie auf die Innere Sicherheit und die politischen Entscheidungsprozesse?

Der Name „Polizeikongress“ soll darüber hinwegtäuschen, dass sich private Sponsoren Redezeit im Hauptprogramm oder in Workshops kaufen. Dort werden Themen behandelt, die gerade im Bereich der inneren Sicherheit ganz auf der Agenda stehen. Für eine Demokratie ist es aus meiner Sicht höchst bedenklich, wenn Rüstungskonzerne, Drohnenhersteller und die Überwachungsindustrie auf diese Weise Einfluss auf die staatliche Sicherheitspolitik nehmen.

Erwarten Sie dann überhaupt handfeste Ergebnisse vom diesjährigen Kongress?

Die Ergebnisse stehen doch längst fest. Jetzt sollen sie von den Besucherinnen und Besuchern des Kongresses – nämlich den Behörden – umgesetzt werden. Hierzu werben die Firmen auf der Verkaufsmesse für ihre Technologien. Es verwundert deshalb nicht, dass sich unter den Sponsoren Hersteller von Videokameras, biometrischen Systemen, Abhörtechnologien und Vorhersagesoftware tummeln. Denn in allen Bereichen stehen lukrative Beschaffungen an.

Im Eröffnungsblock spricht die Geschäftsleitung von Microsoft, die ein Gesamtpaket zum sogenannten „Smart Policing“ verkaufen will. Weitere Veranstaltungen widmen sich der „Rolle und Zukunft der Spezialeinheiten“ oder einer „Bewältigung von Demonstrationslagen“. Eingeladen ist unter anderem der Hamburger Polizeiführer Hartmut Dudde. Es ist deshalb zu befürchten, dass sein quasi-militärischer G20-Einsatz bundesweit Schule machen soll.

Quelle!

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »