Dienstag, April 23, 2024
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Jusos kämpfen gegen GroKo: „ Kultur der Einstimmigkeit muss aufhören“

In der SPD regt sich massiver Widerstand gegen eine neue GroKo. Besonders kämpferisch geben sich die Jusos, die sich schon vor den Sondierungen gegen eine weitere Zusammenarbeit mit der Union ausgesprochen hatten.

Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert reist nun durch Deutschland, um mit Delegierten und Funktionären seiner Partei zu sprechen – mit Erfolg.

Am 21. Januar wird die SPD auf einem Sonderparteitag in Bonn um die Frage ringen, ob sie Koalitionsgespräche mit der Union aufnehmen soll. Während Parteichef Martin Schulz und weitere Vorsitzende der Sozialdemokraten dafür sind, brodelt es innerhalb der Parteibasis. Solch eine Diskussionslage habe er in den 13 Jahren seiner Mitgliedschaft bei der SPD noch nicht erlebt, sagt der Bundesvorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert. Er ist in dieser Woche unterwegs, um gegen eine neue GroKo mobil zu machen und die Stimmung bei SPDlern im ganzen Land einzufangen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärte er:

„Die Rückmeldungen sind auf allen Ebenen sehr ähnlich: Es gibt einen Verdruss, dass die SPD seit vielen Jahren nicht in der Lage ist, sich neue Mehrheitsoptionen zu erschließen. Das ist auch eine Aufarbeitung von grundsätzlichen strukturellen Problemen, die diese Partei seit zehn bis fünfzehn Jahren vor sich her schiebt. Und dieses Gefühl ist bei vielen Mitgliedern tief verankert.“     

Keine SPD-Positionen im Sondierungspapier
Die Jusos, also die „Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD“, hatten sich schon seit Wochen skeptisch geäußert. Nach den Sondierungsgesprächen und dem daraus entstandenen 28-seitigen Sondierungspapier habe sich diese Meinung gefestigt, so Kühnert.

„Denn viele zentrale Punkte der SPD konnten darin nicht verankert werden. Eines der prominentesten Beispiele ist sicherlich die Bürgerversicherung. Die SPD ist schon mit einer defensiven Forderung nach drei Prozent mehr Spitzensteuersatz in den Wahlkampf gegangen. Davon findet sich jetzt gar nichts im Sondierungspapier, auch kein Kompromiss.“

Deshalb, so Kühnert weiter, sind die Jusos davon überzeugt: Die Gemeinsamkeiten von Union und SPD seien in den letzten Jahren aufgebraucht worden. Besonders kritisch sehen die Jungsozialisten den Stil, mit dem die große Koalition in den vergangenen acht Jahren regiert habe. Dies sei ein Stil gewesen, in dem wichtige Zukunftsfragen nicht beantwortet und auf die kommenden Legislaturperioden verschoben worden seien. Das werde sich laut Kühnert nun fortsetzen:

„Wir finden jetzt bereits auf diesen 28 Seiten diverse Evaluationen, Prüfaufträge und Kommissionen, die sich um wirklich wesentliche Politikfelder kümmern sollen. Das heißt, hier sind die Gesprächspartner nicht übereingekommen. Es ist zu befürchten, dass beispielsweise beim Thema Rente, beim Klimaschutz, bei der Demokratisierung unserer Gesellschaft eben wieder keine wegweisenden Entscheidungen in den nächsten vier Jahren getroffen werden.“ 

Merkel scheut den Widerspruch
Die ablehnende Haltung der Jusos kommt in der Parteispitze nicht sonderlich gut an. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles warf den GroKo-Gegnern in dieser Woche vor, das Sondierungsergebnis „mutwillig“ schlechtzureden. Eine grundsätzliche Verweigerungshaltung weisen die Jusos jedoch zurück. Sie machten sogar konkrete Vorschläge für Alternativen:

„Wir wollen, dass mit der Union über eine Minderheitsregierung gesprochen wird. Weil es die Möglichkeit gibt, dort, wo die Politik in Deutschland funktionieren muss – zum Beispiel beim Beschließen eines Haushaltes – da kann man die Zusammenarbeit suchen. Aber wo Union und SPD seit Jahren nicht zusammenkommen, in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, auch in der Flüchtlingspolitik, da könnte eine Minderheitsregierung den Kontrast stärker herausarbeiten.“ 

Damit müsste sich die Kanzlerin von Fall zu Fall ihre Mehrheiten im Deutschen Bundestag neu sichern. Davor schrecke die CDU-Chefin aber zurück, so Kühnert. Jedoch könne sich die Politik in Deutschland nicht an den Befindlichkeiten von Angela Merkel orientieren.

Ursprünglich wollte die SPD „ergebnisoffen“ in die Sondierungsgespräche gehen und auch über die Möglichkeit einer Minderheitsregierung verhandeln. Das war das Ergebnis des vergangenen Bundesparteitages Anfang Dezember in Berlin. Davon findet sich nun im Sondierungspapier nichts wieder: Die gewählte Form der Zusammenarbeit soll eine Koalition sein. Die Jusos waren erstaunt. Kevin Kühnert fragte daraufhin den SPD-Vorstand, warum man zu diesem Ergebnis gekommen sei:

„Der Antwort ist eine Weile lang ausgewichen worden. Dann hat Malu Dreyer irgendwann sehr ehrlich darauf geantwortet. Und sie hat zwei Dinge gesagt: Erstens hatte die Union sehr schnell klar gemacht, dass sie an einer anderen Form der Zusammenarbeit nicht interessiert ist. Das finde ich wenig überraschend. Aber der zweite Aspekt war, dass dieser Verhandlungspunkt sehr schnell beendet war. Das kann ich nur so erklären, dass auch die Mehrheit der SPD-Verhandler eigentlich vielmehr an einer Koalition interessiert war.“

Zustimmung zu GroKo im SPD-Vorstand bröckelt
Allerdings sei es ein vorsichtiger Hoffnungsschimmer, dass selbst innerhalb des SPD-Vorstands sechs Parteimitglieder jüngst gegen das Sondierungsergebnis gestimmt haben. So unter anderem die ehemalige Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann und der bayerische SPD-Generalsekretär Uli Grötsch. Eine kontroverse Debatte, da ist Kühnert überzeugt, werde den Sozialdemokraten eher nutzen als schaden:

„Ich habe in den letzten Tagen häufig kritisiert, dass die Kultur der Einstimmigkeit auch in unserem Parteivorstand aufhören muss. Weil ich ganz fest davon überzeugt bin, dass politisch interessierte Menschen keine Parteien wollen, in denen alles einstimmig beschlossen wird. Es ist auch keine Schwäche für eine politische Partei, deren Job es doch eigentlich ist, um Positionen zu ringen.“

Insofern bewerten es die Jusos als Erfolg, dass nicht nur der linke Flügel der Partei gegen Koalitionsverhandlungen mit der Union ist, sondern dass diese Stimmung quer durch die Partei zu finden sei. Nach dem SPD-Landesverband in Thüringen meldet nun auch der Berliner Landesvorstand der SPD große Zweifel an einer neuen GroKo an. Auch ein Verdienst von Kevin Kühnert, der vorher ausgiebig mit den Genossen aus der Hauptstadt diskutiert hatte.

Zwischen Jusos und Wagenknecht liegen Welten
Auf die Frage, was er von einer linken Sammelbewegung in Deutschland halte, wie es Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht vorgeschlagen hatte, winkt der Juso-Chef ab. Aber man müsse genau auf die Arbeit von rot-rot-grünen Landesregierungen schauen und solch eine Zusammenarbeit auch auf Bundesebene nicht ausschließen, so Kühnert weiter:

„Linke Mehrheiten müssen auch vorbereitet werden. Es darf nicht passieren, dass wir immer wieder auf Bundestagswahlen zulaufen und die Parteien im linken Spektrum sich gegenseitig Vorwürfe machen, warum es nun diesmal wieder nicht miteinander geht. Wer links regieren möchte, der wird auch miteinander gesprächs- und koalitionsfähig sein müssen. Dafür muss gesorgt werden.“ 

Doch so weit ist es noch lange nicht. Erst einmal werden die rund 600 SPD-Delegierten auf dem Sonderparteitag am kommenden Sonntag darüber abstimmen, ob sie dem Parteivorstand die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen genehmigen. Teilnehmer ist dann auch wieder Kevin Kühnert mit seinen Jusos. Er ist optimistisch, dass er in den kommenden Tagen noch zahlreiche Parteimitglieder von einem Nein überzeugen kann. Einstimmig wird das Ergebnis in Bonn definitiv nicht ausfallen, doch auch eine knappe Mehrheit würde reichen, um zwischen GroKo oder NoGroKo zu entscheiden.

Marcel Joppa

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