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Justizminister will Homosexuellen-Vorstrafen nur auf Antrag tilgen

Homosexuelle früherer Generationen riskierten jahrelange Haft, wenn sie ihre Liebe offen lebten. Bis heute sind eine Reihe einschlägiger Vorstrafen ungetilgt.

Menschenrechtsgericht verlangt Lösung, Ministerium arbeitet an Gesetz

Wien – Auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) reagiere Österreich normalerweise

vorbildlich rasch, sagt Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser. Umso erstaunlicher sei, dass seit einem EGMR-Entscheid von November 2013, laut dem es menschenrechtswidrig ist, wenn Urteile wegen der abgeschafften homosexuellenfeindlichen Strafbestimmungen weiter als

Vorstrafen gelten, nichts passiert sei: "Inzwischen sind eineinhalb Jahre vergangen".

Konkret geht es um 211 Verurteilungen von vor 2002. Damals hat der Verfassungsgerichtshof das letzte allein gegen Homosexuelle verwendete Strafgesetz aufgehoben: das Mindestalter von 18 Jahren für schwulen Sex mit Erwachsenen laut Paragraf 209 StgB. Alle Urteile stehen nach wie vor als gerichtliche Vorstrafen in den Akten der betroffenen Männer: 108 Vorstrafen wegen des Mindestalters, 34 wegen gleichgeschlechtlicher Prostitution, die bis 1989 strafbar war.

Noch 51 Vorstrafen wegen Totalverbots

Weitere 65 Vorstrafen betreffen gar noch Urteile wegen des 1971 außer Kraft gesetzten Paragrafen 129. Neben "Unzucht mit Tieren" (14 nach wie vor Vorbestrafte) umfasste diese Bestimmung auch "Unzucht mit Personen desselben Geschlechtes" (51 weiterhin Vorbestrafte). Betroffene, so der Wiener Anwalt und Homosexuellenaktivist Helmut Graupner, seien Männer, die seither immer wieder aus anderen Gründen straffällig wurden, weshalb es bei ihnen nie zu einer Vorstrafentilgung kam.

Um Konkretes über die Gründe der Verzögerung zu erfahren, stellte Steinhauser im Dezember 2014 an Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) eine parlamentarische Anfrage. Mitte Februar bekam er als Antwort eine (dem STANDARD vorliegende) Zusage: Vor dem Hintergrund des EGMR-Urteils sei es ihm "ein besonderes Anliegen", eine "generelle Tilgung" der Vorstrafen zu erreichen, antwortete Brandstetter. "Aufträge zur Ausarbeitung eines Gesetzesvorschlags" seien im Ministerium bereits ergangen.

Richter sollen entscheiden

Dort erklärt Christian Pilnacek, Leiter der Strafrechtssektion, Näheres. Geplant sei nicht etwa ein allgemeines Außerkraftsetzen aller Homosexuellen-Vorstrafen, sondern die Einführung eines neuen Verfahrens vor Einzelrichtern: Auf Antrag Betroffener soll über die Tilgung von Vorstrafen entschieden werden.

Gestrichen werden sollen sie, wenn festgestellt wird, dass die Eintragung aufgrund einer inzwischen als menschenrechtswidrig anerkannten Regelung erfolgte: ein Prozedere, das über den Anlassfall hinaus Anwendung finden würde.

Anwalt Graupner: "Inakzeptabel"

Laut Pilnacek ist die Verfahrenslösung notwendig, weil ausgeschlossen werden solle, dass Männer, die neben Mindestalter-Verstößen einst etwa auch Missbrauchsdelikte setzten, in den Genuss der Vorstrafenstreichung kommen. Für Anwalt Graupner ist ein solches Vorgehen nicht akzeptabel: Der EGMR verlange die Tilgung der Vorstrafen, nicht die Einführung einer neuen diesbezüglichen Entscheidungsinstanz.

(Irene Brickner, DER STANDARD, 4.3.2015)

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