Dienstag, April 23, 2024
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Keine Marktlogik im Gesundheitswesen!

Foto: Pillen / ParentingPatch / cc-by

Erstmals in der Menschheitsgeschichte ist der Kranke wirtschaftlich wertvoller als der Gesunde. Kein Wunder, man spricht heute auch von der florierenden Branche der ‘Gesundheitswirtschaft’ (oder soll ich sagen ‘Krankheitswirtschaft’?!). So ist für ein Krankenhaus beispielsweise ein HIV-Patient ein unheimlich lukrativer ‘Kunde’. Da fragt man sich, wer, außer den Kranken selbst, ein Interesse daran haben könnte, den Kranken aus dem ‘Krankheitsmarkt’ heraus zu bringen.

Der Krankheitsmarkt zählt in den meisten

kapitalistischen Staaten mittlerweile zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren. Es wird offenbar immer lukrativer, Kranke und Gesunde zu untersuchen und zu behandeln. Ein Interessengeflecht von

Berufsverbänden und Lobbygruppen der Versicherungen, Krankenhäuser und der florierenden Pharmaindustrie lässt allerdings eine nachhaltige Lösung innerhalb des Systems als unwahrscheinlich erscheinen.  Mit der Krankheitswirtschaft entstand nämlich eine historisch neue Dimension des gesamtgesellschaftlichen Umgangs mit Kranksein und Gesundheit. Aber das war nicht immer so.

Noch am Anfang des 18. Jahrhundert galt die Gesundheit als Selbstzweck. Nur wenige Ärzte wurden an Universitäten ausgebildet und waren vor allem für die reiche Oberschicht im Einsatz. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts und mit der Bildung von Nationalstaaten in Europa änderte sich diese Situation. Es bildeten sich allmählich feste politische Gebilde heraus, die ihre Stärke einerseits einer gesunden schlagkräftigen Armee und andererseits einer produktiven Industrie verdankten.

Ab der Zeit der Französischen Revolution war allen militärischen Strategen der Wert der nationalen Begeisterung der jungen Menschen, die sie in den Kampf schickten, wichtig. Diese jungen Soldaten mussten kräftig und gesund sein, um ihren Zweck zu erfüllen.

Aber nicht nur für den militärischen, auch für den Produktionswettbewerb war die Gesundheit der Arbeiter wichtig. Schnell wurde den Mächtigen klar, dass die Gesundheit der Arbeiter der Grundstein für eine starke Industrie ist. Wenig später wurde für die militärische, wie für die wirtschaftliche Konkurrenz der europäischen Staaten der Gesundheit aller, gleich welcher sozialen Schicht, eine wichtige Rolle zugewiesen.

Doch dann kam die Wende. Die Gesundheit des einzelnen war nicht mehr Selbstzweck; Gesundheit wurde für die Politik Mittel zum Zweck eines starken Nationalstaats. Allerdings sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diese Beweggründe entfallen. Die in den mehr als 150 Jahren zuvor die Gesundheitspolitik bestimmende Prinzip der Gesundheit für alle, entfiel.

Die Staaten benötigen nicht mehr Millionen kräftiger junger Männer, um sie in den Krieg zu schicken. Die Politik setzt, zur Verfolgung ihrer Interessen heutzutage Berufssoldaten ein. Auch das Ziel, der Industrie gesunde Arbeiter zur Verfügung zu stellen, hat für die Politik an Bedeutung verloren. Eher sieht die Situation heute so aus, dass es zu viele gesunde Arbeiter gibt, die nach Arbeit suchen, aber keinen Platz mehr in den herkömmlichen Produktionsstätten finden, da diese gar nicht mehr existieren.

Politisch ist die Gesundheit als Mittel zum Zweck des starken Nationalstaats heute irrelevant. Der politische Druck, die Gesundheit aller Gesellschaftsmitglieder zu gewährleisten, ist gesunken. Deshalb ist es naiv zu glauben, dass die Gesundheit der Bevölkerung weiterhin im Zentrum politischer Bestrebungen steht.

Gesundheit entwickelt sich wieder immer mehr in Richtung Selbstzweck. Jedem steht es frei, seinen privaten Mitteln entsprechend diese Gesundheit zu erkaufen. Hier liegt der Kern des kapitalistischen Grundgedankens: Gesundheit als Ware, die auf dem Gesundheitsmarkt zu erwerben ist. Diese Branche schafft sich allerdings ihre eigenen Strukturen und Prioritäten. Wie in jeder anderen Branche sind Umsatz und Gewinn auch in der Gesundheitsbranche durch Absatz fördernde Maßnahmen stetig auszuweiten.

Man kann eine kontinuierliche Verdrängung, oder besser gesagt Entmündigung, der Ärzte und Apotheker in Deutschland beobachten. Ärzte und Apotheker stören, weil sie ausgebildet wurden, ihre fachliche und ethische Kompetenz in den Dienst des Patienten zu stellen, nicht aber im Dienst der Gesundheitsbranche. Die Gesundheitsbranche (Krankheitsbranche) ist in Deutschland die größte Branche, sowohl nach Umsatz als auch nach Zahl der Beschäftigten. Zwar macht die Medizinwissenschaft weiter große Fortschritte aber die meisten Innovationen stammen schon lange nicht mehr aus den kapitalistischen Ländern.

Krebspatienten können heute geheilt, Herzen, Leber und Nieren können verpflanzt werden. Galt die Diagnose Aids früher als Todesurteil, leben die Patienten inzwischen oft Jahrzehnte mit dieser Diagnose. All diese Arzneien und Therapien stammen immer häufiger aus dem Ausland. Deutschlands Gesundheitssystem hat gierbedingt seine Innovationskraft eingebüßt.

Dieses System gilt vielen als ungerecht, weil es die Arbeiter einseitig belastet. Wer hauptsächlich von Miet- und Zinseinnahmen lebt, muss kaum in das Gesundheitssystem einzahlen. So sehen viele auch nicht ein, wieso in unserem ‘solidarischen’ Gesundheitssystem Arme für ganz Arme mitbezahlen, während sich die Reichsten der Gesellschaft aus der Solidarität verabschieden dürfen. Für viele ist es auch schwer zu verstehen, warum sich die Politik mit ihrer Durchsetzung so schwer tut. Allerdings haben wir auf der einen Seite gewaltige Budgeteinnahmen aus der Gesundheitswirtschaft, auf der anderen Seite die Auseinandersetzung mit einer der mächtigsten Lobbys unserer Republik.

Nicht nur Gesundheit, auch die Krankheit hat sich zu einem ansteckenden Markt entwickelt. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, haben wir eine kranke Gesellschaft. Eine kranke Gesellschaft bildet zwar für ein kapitalistische System das Ideal. Eine kranke Gesellschaft aber hat nicht den Menschen und sein Wohl im Mittelpunkt. Denn Krankheit ist kein Produkt wie jedes andere. Eine eingebildete Gesundheitswirtschaft ist die wahre unheilbare Krankheit unserer Gesellschaft. Die Marktlogik hat im Gesundheitswesen nichts zu suchen.

Verteiler: Neopresse

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