Donnerstag, April 25, 2024
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Kirchenasyl für Flüchtlinge: Fluch oder Segen?

Etwa 500 Menschen in Deutschland nehmen derzeit das Kirchenasyl in Anspruch: „Jeder dieser Fälle ist Rechtsbruch“, sagt die AfD. Sie fordert die konsequente Abschiebung der Flüchtlinge. Die Kirche hält dagegen: „Es gibt Härtefälle, in denen neu entschieden werden muss.“

In Mecklenburg-Vorpommern nahmen nach Angaben der Landesregierung Mitte Juni 55 Menschen das Kirchenasyl in Anspruch. Laut AfD waren 49 davon sogenannte „Dublin-Fälle“. Das Dublin-Abkommen legt fest, dass jener EU-Staat für den Asylbewerber zuständig ist, den dieser als erster betreten hat. Furch die Kirchenasylanten bedeutet das rein rechtlich Abschiebung.

„Im Grunde ist jeder einzelne Fall von Kirchenasyl ein  Rechtsbruch“, sagt Dr. Matthias Manthei (AfD) gegenüber Sputnik. „In unserer Rechtsordnung ist ein Kirchenasyl nicht vorgesehen.“

Wenn es nach der Meinung dem früheren Richter und heutigem parlamentarischen Geschäftsführer seiner Partei im Schweriner Landtag ginge, müsste die Landesregierung alle Dublin-Fälle konsequent in ihre zuständigen Dublin-Länder abschieben. „Es geht ja nicht darum, dass diese Menschen in ihr Heimatland abgeschoben werden, sondern dass der zuständige Rechtsstaat, zum Beispiel Norwegen oder Österreich das Asylverfahren durchführen soll“, ergänzt Manthei.

500 Kirchenasylanten, Zahl der Anfragen „viel, viel höher“

Das Dublin-Abkommen haben aber nicht nur Norwegen und Österreich, sondern auch Bulgarien und Ungarn unterschrieben. Diese Staaten nennt Manthei nicht. Dort seien die Zustände in den Asylunterkünften oft menschenunwürdig, wie Diethild Jochims berichtet: „Uns haben Menschen geschildert, was sie dort an Inhaftierungen und körperlichen Misshandlungen erfahren haben.“ Dorthin wollten die Flüchtlinge um keinen Preis zurück und stellen Kirchenasyl in Deutschland.

Jochims ist Pastorin und gleichzeitig Beauftragte für Migrations-, Asyl- und Menschenrechtsfragen bei der evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland. Nach ihren Angaben leben derzeit in Deutschland etwa 500 Menschen in etwa 300 Kirchenasylen. „Die Zahl der Anfragen ist viel, viel höher, weil es für jeden Menschen schwer ist, eine bevorstehende Abschiebung hinzunehmen“, erklärt Jochims. Ein Gremium aus mehreren Leuten entscheide letztlich über das Kirchenasyl. Häufig mit einem negativen Ergebnis für die Bewerber: „Weil nicht hinter jeder Anfrage eine solche Härte oder Menschenrechtsverletzung steht, dass die Gemeinden sagen: Hier ist Kirchenasyl angebracht. Wenn das der Fall wäre, hätten wir mehrere Tausend Menschen im Kirchenasyl.“ Die meisten Kirchenasylanten kommen laut Jochims aus Afghanistan, Eritrea, Somalia, dem Jemen, dem Iran, dem Irak und auch aus Syrien.

Undemokratisches Verständnis von Rechtsstaat

Sputnik will wissen, was die Pastorin zur AfD-Forderung nach konsequenter Abschiebung sagt: „Am liebsten würde ich immer nur seufzen darüber“, sagt sie, um dann ihre Meinung deutlich zu äußern: „Das ist ein grob vereinfachtes und undemokratisches Verständnis von Rechtsstaat.“ Wenn man sage: Eine Entscheidung steht und wenn sie steht, dann muss sie auch akzeptiert werden, dann gebe es auch keine Härtefall-Kommission und keine anderen Möglichkeiten. Darum habe sich 2015 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit den Kirchen eine Vereinbarung über Kirchenasyl getroffen. „Nach dieser Vereinbarung verfahren wir seitdem. Wir melden jedes Kirchenasyl den Behörden und besprechen jeden einzelnen Fall. Es wäre doch erstaunlich, wenn die Meinung – dieses Verfahren sei ein Rechtsbruch – weiter verbreitet wäre als über die Kreise der AfD hinaus.“

Auch in Bayern gibt es Widerstand gegen das Kirchenasyl. Hier sehen sich Pastoren sogar mit staatsanwaltlichen Ermittlungen konfrontiert. Es gibt mehrere Strafanzeigen. Der Vorwurf lautet: Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Auf die Frage, wer die geistlichen Vertreter bei den Behörden anschwärzt, kann Jochims nicht beantworten. Wohl aber, die Konsequenzen für gewährtes Kirchenasyl: „Die Staatsanwaltschaften müssen dem nachgehen. Aber in allen mir bekannten Fällen wurden die Ermittlungen eingestellt.“ Der Vorwurf der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt habe sich in keinem einzigen Fall bewahrheitet. „Man könnte auch sagen: Es ist pure Zeitverschwendung“, schließt die Pastorin.

Die Interviews finden Sie hier:

Diethild Jochims, Beauftragte für Migrations-, Asyl- und Menschenrechtsfragen bei der Nordkirche

Beitragsbild: © AFP 2017/ Christof Stache

Quelle: Sputnik Deutschland

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