Dienstag, April 16, 2024
StartPolitikEU„Kurz ist machtbewusst“: Was der Rechtsruck in Österreich für EU bedeutet

„Kurz ist machtbewusst“: Was der Rechtsruck in Österreich für EU bedeutet

Mit einem deutlichen Abstand zu der Konkurrenz hat sich bei den österreichischen Nationalratswahlen der 31jährige Kanzlerkandidat der ÖVP durchgesetzt. Doch was macht Sebastian Kurz aus, wie konnte er die angestaubte und zuvor bei etwa 20 Prozent herumdümpelnde konservative Partei zu neuem Leben erwecken?

„Er ist extrem arbeitsam, dürfte nicht sehr viel schlafen. Hat auch die letzten zehn bis 15 Jahre alles beiseitegelegt, was seiner Karriere nicht dienlich war. Er hat schon mit 15 Jahren die Junge Volkspartei kontaktiert und gemeint, er würde gerne dort mitarbeiten. Man hat ihm gesagt, er sei zu jung, und seine spontane Antwort darauf war: Dieses Problem wird von Jahr zu Jahr geringer. Das zeigt eigentlich schon seinen Drang, politisch tätig zu sein, aber auch seinen Ehrgeiz und seine Arbeitsamkeit“, charakterisiert der österreichische Journalist vom medienpolitischen Magazin promedia, Hannes Hofbauer den aufstrebenden ÖVP-Politiker. Sebastian Kurz habe sich im Wahlkampf kaum Fehler erlaubt und der Sieg sei verdient.

Kurz sei ein großes politisches Talent, stimmt Baron Norbert Van Handel zu, einflussreicher Unternehmer und selbst langjähriges Mitglied der ÖVP.

„Er war bereits sieben Jahre Minister und hat das recht gut gemacht. Wenn Jugend in der Politik zum Nachteil zählt, dann wäre es noch ärger, als es eh schon aussieht. Kurz ist charismatisch, schaut gut aus, hat ein sehr geschicktes Netzwerk aufgebaut und ist durchaus machtbewusst. Das alles zusammen führt wohl dazu, dass die Alten in der Partei sich nicht unbedingt alle freuen. Das ist eine Sache, mit der man leben muss“, so Van Handel.

Die Jugend des ÖVP-Kandidaten könne ihm in der Position an der Spitze des Landes zum Nachteil gereichen, meint hingegen Hofbauer.

„Ein Staatsführer mit 31 Jahren ist nicht nur positiv. Die Erfahrung fehlt und im Großen und Ganzen würde man jemanden an der Spitze des Landes erwarten, der schon viel gesehen hat und eine gewisse Lebenserfahrung mit sich bringt.“

Beide Experten sind sich einig, dass Kurz seinen Wahlerfolg auch der politischen Positionierung rechts der Mitte in Fragen der Migration, der sozialen Gerechtigkeit und der Wirtschaft zu verdanken hat.

„So wie es aussieht, wird er mit der FPÖ einen noch rechteren Partner mit in die Regierung nehmen, sodass wir eine große Wende in Österreich erleben“, so Hofbauer.

Bundeskanzler Christian Kern und seine SPÖ hätten sich jedoch auch selbst ein Stück weit ins Aus befördert.

„Es gab das Negativbild, weil sich die SPÖ als extrem unglaubwürdig erwiesen hat – im Wahlkampf, aber auch in jahrzehntelanger politischer Führerschaft. Sie hat immer wieder Versprechen auf Verbesserungen der sozialen Verhältnisse ausgesprochen und nichts durchgesetzt. Ich erinnere z.B. an die Abstimmung zum CETA-Abkommen, wo Kanzler Kern die Umfrage in Auftrag gegeben hat, eine große Mehrheit der Sozialdemokraten dagegen gestimmt hat und wenige Tage darauf Kern diese CETA-Geschichte unterschrieben hat. Es gibt einen großen Vertrauensverlust in der Partei und darüber hinaus.“

Bezüglich der Regierungsbildung sehen die Experten eine Koalition aus ÖVP und FPÖ als wahrscheinlich an und Van Handel kann sich vorstellen, dass eine konstruktive Zusammenarbeit auf Basis der sich in vielen Punkten überschneidenden Positionen zwischen Kurz und Strache möglich sein wird. Auch was die EU-Politik angeht, sieht der ÖVP-Mann, der offen mit der FPÖ sympathisiert, Potential für eine gute Zusammenarbeit.

„Ich würde sagen, Strache ist zu Recht europakritisch. Kurz ist auch kein Typ wie ein Herr Juncker oder ein Herr Asselborn. Strache ist für eine EU, aber ganz stark für eine Reform der EU in Richtung Vaterland der Vaterländer. In Richtung einer Außenpolitik, die nicht diese idiotische Politik gegenüber Putin macht. Das sind alles Dinge, wo sich Beide finden können.“

Es sei auffällig, dass sich zum Zeitpunkt des Interviews am Montagmittag die Spitzen der Europäischen Union noch nicht mit Glückwünschen bei Kurz gemeldet hatten, sagte der Journalist Hannes Hofbauer im Sputnik-Gespräch.

„Bei Merkel war es sofort nach wenigen Stunden oder sogar Minuten. Bei Kurz haben sich bis jetzt weder Jean-Claude Juncker noch Donald Tusk gemeldet, um dem Wahlsieger zu gratulieren – was selbstverständlich wäre. Ich nehme an, es wird demnächst erfolgen, aber es zeigt doch eine gewisse Verunsicherung in den Spitzen der Europäischen Union. Ich persönlich finde diese Verunsicherung gut, weil die Europäische Union geführt von der deutschen Bundeskanzlerin eine Politik macht, die in verschiedenster Hinsicht kritikwürdig ist. Kurz und Strache drücken diese Kritik auf der Rechten aus, es wäre notwendig, so etwas auch auf der linken Seite auszudrücken.  Da fehlt in Österreich allerdings die Partei dazu.“

In Bezug auf Russland sei Österreich weitaus freundlicher eingestellt als der Rest der EU, so der Experte.

„Wenn Österreich alleine die Russland-Politik bestimmen könnte, dann wäre sie eher freundlich, und zwar nicht nur von der bürgerlichen oder konservativen Seite, sondern auch von der Sozialdemokratie. Österreichs größter Konzern OMV ist von Managern geleitet, die der Sozialdemokratie zum größten Teil nahe stehen. Der Konzern selbst ist sehr stark mit Gazprom verbunden. Es gibt immer wieder Stimmen aus der Wirtschaft und der Politik, die Sanktionen zurückzufahren oder ganz einzustellen. Aber Österreich ist in der EU eines der kleinen Länder und nicht stimmkräftig genug, diese Position durchzusetzen.“

Ilona Pfeffer

Beitragsbild: © REUTERS/ Heinz-Peter Bader

Quelle: https://de.sputniknews.com/politik/20171016317891295-experten-zu-wahlergebnis-in-oesterreich/

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