Donnerstag, April 25, 2024
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„Man darf lügen“: Experte warnt vor Experimenten mit Fake News

„Gratis-Sex für Asylanten – Landratsamt zahlt!“ oder „Flüchtling schnappt Deutschem den Job weg“ – mit derartigen Schlagzeilen hat ein Team von der Universität Hohenheim unter Leitung von Professor Wolfgang Schweiger die Leserschaft für ihre extra eingerichtete Webseite „Volksbeobachter“ geködert.

Mit vier Fake-Profilen wurden Fake News mit rechtem Anstrich gezielt in rechtsgerichteten Facebook-Gruppen  gestreut. Seit dem Start des Experiments in April sind viele dieser Falschmeldungen scheinbar ohne inhaltliche Überprüfung von anderen Facebook-Usern geteilt worden — bis Schweiger und sein Team die Aktion als soziales Experiment enttarnten. Das Fazit der Wissenschaftler: Mit wenig Aufwand konnten recht eindeutige Falschmeldungen rasch verbreitet werden und wurden von erstaunlich vielen Menschen unkritisch gelesen und weiter verbreitet, weil sie in ihr Weltbild passten. Außerdem würden diese sogenannten „Filterblasen“, wenn sie an Bedeutung als Nachrichtenquellen gewännen,  die Polarisierung in der Gesellschaft verstärken.Den öffentlichen Diskurs über Fake News hält auch Malte Elson, Medienwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum, für richtig und wichtig, jedoch zweifelt er an dem tatsächlichen Nutzen der Studie. Das Experiment habe lediglich bestätigt, was längst bekannt war: Es gibt Fake News und sie verbreiten sich. Darüber hinaus findet Elson es aus ethischer Sicht zumindest fragwürdig, auf welche Art und Weise das Experiment durchgeführt wurde.

„Denn während der Erhebungsphase wussten die Personen, die diese Nachrichten verbreitet haben, nicht, dass es sich um Fake News handelt. Da kann man sich schon fragen, ob der Schaden, den diese Studie gebracht hat, letztlich nicht grösser ist als der Nutzen. Denn bei diesen Fake News ging es ja darum, bewusst Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, der Regierung oder anderen Institutionen zu bestärken — und das ist auch passiert. Man kann sich fragen, ob man als Wissenschaftler durch Verbreitung solcher Unwahrheiten diese Vorurteile bestärken will.“

Das Argument von Prof. Schweiger, man hätte die Quelle leicht in Frage stellen können, weil sich beim Namen „Volksbeobachter“ für jeden historisch halbwegs gebildeten Menschen die Assoziation mit dem „Völkischen Beobachter“ aufdrängen müsste, hält Elson für nicht stichhaltig. Zum einen kann man dieses historische Bewusstsein nicht grundsätzlich voraussetzen. Zum anderen würden User aus dem rechten Spektrum vielleicht gerade deswegen die Quelle als glaubwürdig heranziehen.

„Es kann auch sein, dass die Leute die Nähe sogar erkannt haben, aber daraus geht nicht automatisch hervor, dass diese Seite Falschnachrichten verbreitet, im Gegenteil. Gerade in der rechten Szene könnte es sogar gewünscht sein, dass solch eine Nähe hergestellt wird. Außerdem wenn die Absicht gewesen wäre, eine Seite zu erstellen, von der jeder erkennt, dass sie nicht echt ist, dann wäre das Experiment von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.“

Das Experiment hätte aber nach Ansicht von Elson in jedem anderen Gesellschaftsspektrum ähnliche Auswirkungen haben können.

„Fake News sind kein Phänomen des rechten Randes, sondern bedienen eine fundamentale menschliche Präferenz dafür, dass wir Bestätigung für Dinge suchen, von denen wir eh schon überzeugt sind. Ich könnte mir vorstellen, dass man z.B. eine Seite über die schädliche Wirkung von Impfungen macht – darauf würden bestimmt auch viele Leute anspringen. Ich bin überzeugt davon, dass man das mit guter Aufbereitung in allen Bevölkerungsschichten durchführen könnte.“

Auch könnten Fake News weder Wahlen entscheiden, noch überzeugte SPD-Wähler zu AfD-Wählern machen oder umgekehrt. Ihr wahrer Schaden liegt für Elson darin, dass sie die Debatte über Fakten erschweren, weil verschiedene Menschen von unterschiedlichen Sachverhalten ausgehen würden.

Neben der Studie von Schweiger und seinem Team hat es jüngst auch eine Untersuchung des Portals Buzzfeed zum Thema Fake News gegeben. Geprüft wurde, welche Meldungen über Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Facebook die meisten Klicks und Interaktionen gesammelt haben. Das Ergebnis: Unter den zehn Publikationen mit den meisten Klicks, Likes und Shares befanden sich sieben Falschmeldungen, zwei Meinungen und nur eine echte Nachricht.

Das überrascht Dr. Malte Elson nicht, jedoch warnt er davor, dieses Ergebnis zu überbewerten.

„Man kann skeptisch gegenüber einer Nachricht sein und sich einfach vergewissern wollen, dass es wirklich Quatsch ist. Mit Sicherheit würde auch ich so einen Link anklicken, einfach nur, um mich zu amüsieren. Facebook ist ja auch nicht die einzige Quelle für Nachrichten, die man nutzen kann. Wenn Buzzfeed einen Facebook-Datensatz analysiert hat, dann sind da nicht die Inhalte dabei, die die Menschen z.B. auf Google News lesen. Man muss bei dieser Datengrundlage aufpassen, ob das nicht auch schon selektiv und wenig repräsentativ ist für die Menge und Art von Nachrichten, die die Menschen rezipieren.“

Bei der Bekämpfung von Fake News rät der Wissenschaftler von übermäßigem Aktionismus ab und sieht in staatlichen Kontrollinstanzen eine große Gefahr für die Meinungsfreiheit.

„Da Fake News das Wahlverhalten von Menschen nicht wirklich beeinflussen, würde ich auch sagen, dass eine größere Gefahr davon ausgeht, dass es jetzt die Bestrebungen gibt, Nachrichten durch Behörden zu kontrollieren oder sogar zu zensieren. Man darf lügen – Lügen ist von der Meinungsfreiheit abgedeckt. So schädlich diese Lügen auch sein mögen, muss man doch aufpassen, dass man bei diesem Aktionismus nicht übereifrig wird. Dass nicht Instrumente geschaffen werden, die nicht nur „schädliche“ Fake News kontrollieren, sondern zu einer Kontrollinstanz für Nachrichten insgesamt werden. Eine Behörde, die Nachrichten in „wahr“ und „unwahr“ kategorisiert, wäre für mich eine größere Gefahr. Stattdessen muss die Bevölkerung über Indikatoren von Seriosität aufgeklärt werden und darüber, wie man individuell den Wahrheitsgehalt von Nachrichten überprüfen kann.“

Ilona Pfeffer

Das Interview zum Nachhören:

Beitragsbild: © AFP 2017/ Pool/ Soeren Stache

Quelle: Sputnik Deutschland

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