Samstag, April 20, 2024
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Millionen deutschen Rentnern droht Altersarmut – Private Vorsorge keine Alternative

Schon lange warnen Sozialverbände und Gewerkschaften vor Altersarmut für Millionen, trotz gesetzlicher Rente und privater Vorsorge. Eine aktuelle Studie bestätigt die Gefahr und macht klar, wer dafür verantwortlich ist. Es gibt Zweifel, ob das angekündigte „Rentenpaket“ dagegen hilft.

Wer in den nächsten Jahren in der Bundesrepublik in Rente geht, wird sich „im Ruhestand einschränken müssen“. So umschreibt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) den ermittelten Fakt, dass die Betroffenen nach einem langen Berufsleben im Durchschnitt 700 Euro monatlich weniger haben. Sie könnten im Alter mit der Rente ihren „aktuellen Konsum nicht abdecken“, wird die drohende Altersarmut für Millionen verharmlost.

Das trifft laut DIW für mehr als die Hälfte der gegenwärtig über acht Millionen 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen zu, den sogenannten rentennahen Jahrgängen. „58 Prozent der Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen könnten ihren Konsum nicht aus Anwartschaften aus der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge decken, wenn sie jetzt in den Ruhestand gingen. Sie hätten im Schnitt eine potentielle Versorgungslücke von monatlich rund 700 Euro.“

„Riester“- und „Rürup“-Renten verfehlen Ziel

Private Versicherungen wie die Riester- und Rürup-Rente würden laut DIW den Anteil der Betroffenen mit einer potentiellen Versorgungslücke „lediglich um zwei Prozentpunkte senken“. Privates Vermögen würde laut der Studie nur etwa 18 Prozent der rentennahen Jahrgänge helfen.

„Eine potentielle Versorgungslücke haben vor allem diejenigen, die nur Anwartschaften aus der Gesetzlichen Rentenversicherung haben: Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) wären nicht in der Lage, ihren aktuellen Konsum vollständig zu decken“, erklärt DIW-Studienautorin Anita Tiefensee. „Bestehen auch Ansprüche aus Betriebsrenten, so sinkt dieser Anteil auf 50 Prozent.“ Bei Beamten falle der Anteil mit weniger als einem Fünftel deutlich geringer aus. „Das Versorgungsniveau der Pensionen ist überdurchschnittlich“, so Tiefensee weiter.

Die DIW-Studie wurde von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Die macht in einer entsprechenden Pressemitteilung  darauf aufmerksam, dass immer noch die Hälfte der heute 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen deutliche Einbußen haben, wenn sie bis zur Rente weiterarbeiten. Die Stiftung wird auch deutlicher als die Wirtschaftsforscher: „Ein weiteres Absenken des gesetzlichen Rentenniveaus würde das Problem verschärfen.“

Politisch gewolltes Ziel

Doch genau das niedrige Rentenniveau ist Ziel der 2001 unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeleiteten Rentenreform, an der bis heute festgehalten wird. Danach soll das Netto-Rentenniveau vor Steuern im Jahr 2030 per Gesetz bis zu einer „Untergrenze“ von 43 Prozent gesenkt werden. Nur so könnte angeblich verhindert werden, dass die Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung steigen, hieß es damals.

Das Netto-Rentenniveau beschreibt, was ein sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter nach 45 Arbeitsjahren an Rente im Vergleich zu seinem durchschnittlichen Verdienst bekommt. Der Renten-Experte Johannes Steffen hat errechnet, „dass das Netto-Rentenniveau vor Steuern in den Jahren seit 1990 mehr oder minder kontinuierlich gesunken ist: von 55,1 Prozent (1990) und 52,9 Prozent (2000) auf 48 Prozent (2016).“ Nach den Vorausberechnungen der Bundesregierung werde das Niveau bis 2030 auf 44,5 Prozent fallen.Steffen warnt: „Im Ergebnis verliert die Gesetzliche Rentenversicherung dadurch ihre Funktion einer Lebensstandardsicherung.“ Das befürchten auch die Autoren der aktuellen Studie und ihre Förderer. Die Böckler-Stiftung stellt zur gesetzlichen Rente fest: „Allein reicht sie heute in der Regel aber nicht aus, um das gewohnte Konsumniveau zu halten.“

Arbeitseinkommen entscheidend

Selbst wenn die Betroffenen im Alter weniger ausgeben würden, etwa 30 Prozent im Vergleich zum Arbeitsleben, wie manche vermeintliche Experten vorschlagen, ist die Versorgungslücke der Studie nach immer „noch erheblich“. „Betroffen sind dann noch 38 Prozent der rentennahen Erwerbstätigen, bezieht man private Versicherungen ein, sind es 35 Prozent.“

Am schwierigsten sei die Lage für Geringverdiener, Frauen und Alleinlebende, aber auch für Selbständige ohne Angestellte, stellen die Forscher fest. Zudem gebe es Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland, „da Ostdeutsche nach wie vor über weniger Vermögen verfügen“. „Entscheidend  sind also die Dauer der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und die daraus erzielten Einkommen“, erklärte Dorothea Voss von der Hans-Böckler-Stiftung dazu. „Wer die Alterssicherung stärken will, muss deshalb für eine aktive Beschäftigungspolitik, bessere Löhne und Gehälter sorgen.“Die DIW-Forscher raten der Politik dazu, das Rentenniveau nicht weiter abzusenken. Stattdessen solle sich die Politik „stärker am österreichischen Modell orientieren“, das mehr auf die erste Säule der Alterssicherung setzt. Zudem empfehlen sie, Personen mit geringen Anwartschaften, so Arbeitslose und Geringverdiener, stärker zu unterstützten. Das könne geschehen, indem die Höhe der Rentenleistungen nicht mehr eins zu eins an die Einzahlungsbeiträge gekoppelt wäre.

„Rentenpaket“ reicht nicht aus

Die aktuelle Große Koalition aus Union und SPD will mit ihrem „Rentenpaket“ das Rentenniveau bis 2025 auf dem heutigen Stand von 48 Prozent festlegen. „Mit dem beschlossenen Rentenpaket bleiben Union und SPD dem von ihnen zu verantwortenden Sozialabbau der letzten Jahrzehnte treu“, erklärte Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Ende August dazu. „Mit der sogenannten Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2025 zementiert die Große Koalition die fatalen Folgen der Rentenkürzungen der letzten Jahrzehnte.“

Linken-Rentenexperte Matthias Birkwald schlägt ebenfalls vor, das deutsche Rentensystem dem österreichischen Modell anzugleichen. Er widerspricht der wiederholten Behauptung, die Älteren würden auf Kosten der Jüngeren leben, bekämen sie mehr Rente. „Die Jungen und die Mittelalten von heute sind die Rentnerinnen und Rentner von morgen. Eine IG Metall-Studie ergab, dass die Jungen gerne bereit sind, mehr in die Rentenkasse einzuzahlen, wenn sie sicher sein können, dann später im Alter selbst eine auskömmliche Rente zu erhalten.“Der Sozialverband Deutschland (SoVD) fordert eine Rückkehr zu einem Rentenniveau von 53 Prozent. Der Wertverlust der Renten dürfe „nicht länger sehenden Auges“ geduldet werden, forderte Verbandspräsident Adolf Bauer Ende August. „Es sind jedoch weitere Maßnahmen erforderlich, um in Zukunft armutsfeste Renten zu gewährleisten und das  Vertrauen in die gesetzliche Alterssicherung wiederherzustellen. Das Ziel bleibt, das Rentenniveau auf die früheren 53 Prozent netto vor Steuern anzuheben.“

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