Donnerstag, März 28, 2024
StartWissenschaftAstronomieNahtoderfahrungen: 250 Jahre alte medizinische Beschreibung

Nahtoderfahrungen: 250 Jahre alte medizinische Beschreibung

Menschen, die bereits kurz davor standen, das irdische Dasein hinter sich zu lassen oder teils sogar für hirntot erklärt wurden, dann aber doch wieder ins Diesseits zurückkehrten, haben zuweilen Erstaunliches zu berichten.

An der Schwelle zum Tod verlassen sie ihren Körper, sehen sich selbst und ihre Angehörigen am Sterbebett, beobachten das Geschehen am Unfallort, während sich Notärzte um ihre Wiederbelebung bemühen und scheinen sogar in die »andere Welt« zu gleiten, um dort fremdartige Umgebungen, Lichter oder Musik wahrzunehmen, ja vielleicht sogar bereits verstorbenen Angehörigen zu begegnen.

Weltbekannt wurde der relativ aktuelle Fall des Neurochirurgen Dr. Eben Alexander, der für eine ganze Woche in ein tiefes Koma fiel. Die Ärzte waren überzeugt: Würde er überleben, dann nur schwerstbehindert.

Was allerdings wirklich geschah, war ein echtes medizinisches Wunder, Dr. Alexander wachte aus dem Koma auf und kehrte sogar recht bald ins normale Leben zurück. Auch sein Fachwissen war erhalten geblieben (Am Abgrund zur Hölle: die dunkle Seite von Nahtoderfahrungen).

Nun aber hatte er selbst erlebt, was ihm Patienten zuvor wiederholt geschildert hatten, Menschen an der Schwelle zur Ewigkeit. Sie hatten dem ursprünglichen Skeptiker von jenen berühmten gleißenden Lichtern am Ende des Tunnels erzählt, von unfassbaren Klängen und Begegnungen mit Verstorbenen, eben vom gesamten Repertoire typischer Nahtoderfahrungen (»Near Death Experience«, NDE).

Dr. Alexander ging zwar wohlwollend mit diesen Patienten um, doch der wissenschaftlich in ihm kultivierte Unglaube bestimmte seine ganze innere Haltung. Für ihn blieben diese vermeintlichen Phänomene potenzielle Schutzmechanismen des Gehirns, die den Übergang in den Tod naturgegeben erleichtern sollten, alles also lediglich Projektionen und Fantasien.

Durch sein eigenes Erleben wurde Dr. Alexander gleichsam vom Saulus zum Paulus. Er beschrieb diese Erfahrungen in einem vielbeachteten Buch – Blick in die Ewigkeit. Erklären kann er letztlich nicht, was ihm widerfuhr, doch betrachtet er das Phänomen nun mit ganz anderen Augen. Wie jeder, der Vergleichbares selbst erlebt hat.

Und NDEs sind nicht ganz so selten, wie mancher zunächst meinen würde. Doch viele behalten ihr Erlebnis für sich, wissen sie doch: Urteile sind schnell gefällt, und wer möchte sich schon gerne lächerlich machen lassen? Eine Gefahr, die so manch ungewöhnlicher Wahrheit droht.

Dr. Alexander zitiert im Kapitel über »Das Ultra-Reale« den Philosophen Søren Kierkegaard: »Man kann sich auf zwei Arten irren. Indem man glaubt, was nicht wahr ist. Oder indem man sich weigert zu glauben, was wahr ist.« Kierkegaard ging bereits mit 42 Jahren in die »andere Welt«.

Auch dem Verfasser eines wenig bekannten, mit Blick auf NDEs aber interessanten Buches waren nur recht wenige Jahre im Diesseits vergönnt: Pierre-Jean du Monchaux, ein Militärarzt aus Nordfrankreich, starb im Alter von 33 Jahren.

Wie sein Werk Anecdotes de Médecine belegt, unternahm du Monchaux den Versuch, einen NDE-Fall wissenschaftlich zu erklären. Das Buch soll erstmals gegen 1740 erschienen sein, die Daten weichen allerdings ab, so finden sich vor allem Ausgaben aus den Jahren 1762 und 1766.

Der bekannte französische Arzt Philippe Charlier stieß in einem Antiquariat auf ein Exemplar jener »medizinischen Anekdoten« und konnte es für nur einen Euro erwerben. »Ich war einfach an Medizingeschichte und den medizinischen Praktiken vergangener Tage interessiert, und zwar insbesondere aus der Zeit des 18. Jahrhunderts«, so Charlier, der in Frankreich vor allem wegen seiner forensischen Untersuchungen historischer Persönlichkeiten bekannt ist.

Das Buch schien zwar allgemein nicht sonderlich bedeutsam und aufschlussreich, doch eine Passage erwies sich als ungewöhnlich. Charlier stieß hier ganz unerwartet auf die recht modern anmutende Beschreibung einer Nahtoderfahrung, die ein zu jener Zeit bedeutender Apotheker in Paris gemacht hatte.

Dieser Schilderung zufolge verlor der Betroffene zeitweilig sein Bewusstsein und berichtete später davon, ein so reines und helles Licht gesehen zu haben, dass er absolut überzeugt war, im Himmel zu sein. Anstelle einer religiösen Deutung suchte Monchaux eine alternative, eher nüchtern-wissenschaftliche Erklärung. Er verglich die Darstellung seines Patienten zunächst mit ähnlichen Erfahrungen, die durch Beinahe-Ertrinken, Unterkühlung oder Erhängen ausgelöst worden waren.

Wie er schließlich spekulierte, hatten sich die Patienten allesamt in einem Zustand befunden, bei dem nur wenig Blut unter der Haut übrig geblieben war, während die Gefäße im Gehirn hingegen viel zu stark mit Blut versorgt wurden. Das hätte dann auch jene lebhaften, heftigen Empfindungen und Visionen ausgelöst. Wie Charlier feststellt, werden NDEs heute als »tiefgreifende psychologische Ereignisse mit transzendentalen und mystischen Elementen betrachtet, die nach einer lebensbedrohlichen Krise eintreten«.

In den späten 1970er Jahren gründeten Mediziner wie Raymond A. Moody, John Audette, Michael Sabom und Bruce Greyson sowie weitere Fachleute die Association for the Scientific Study of Near-Death Phenomena. Sie versuchten, das Phänomen auf eine wissenschaftlichere Plattform zu stellen.

Die akademische Welt wurde aufmerksamer, darüber hinaus erzielten populärwissenschaftliche Bücher deutliche Breitenwirkung. In den 1980er Jahren entwickelte der als Psychiater tätige Greyson eine Skala, um den Grad einer NDE besser bestimmen und möglichst einheitlich untersuchen zu können.

Die Greyson-Kriterien schließen die verschiedenen Wahrnehmungen während einer NDE ein, um ihre Tiefe zu bestimmen. Erreicht eine Erfahrung mindestens sieben von 32 möglichen Punkten, gilt sie als echte NDE. Aus den leider eher spärlichen Angaben, wie sie im Buch des Pierre-Jean du Monchaux zu finden sind, glaubt Charlier auf eine »Zwölf« schließen zu können. Demnach beschrieb der französische Arzt im 18. Jahrhundert eine auch nach moderner Sichtweise als authentische NDE zu verstehende Erfahrung.

Die Forschung hat auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren einige Fortschritte gemacht. Natürlich gab es immer wieder Versuche, die Nahtoderlebnisse im Rahmen bekannter Wissenschaft aufzuklären. 2010 wurde eine Studie slowenischer Mediziner bekannt, bei der 52 Überlebende eines Herzstillstandes untersucht wurden. Nach Auswertung der Daten hatten rund 20 Prozent der anonymisierten Teilnehmer eine echte NDE hinter sich. Zalika Klemenc-Ketis, Janko Kersnik und Stefek Grmek glauben aufgrund ihrer Analysen einen Zusammenhang zwischen NDEs und der Kohlendioxidkonzentration im Blut gefunden zu haben (Der Todesirrtum: Jeder stirbt aber keiner ist tot).

Kurz gefasst: Ein hoher Wert könne solche Erfahrungen auslösen. Doch ganz so einfach scheint die Sache nicht erklärbar zu sein. Auch das Ärzteblatt hielt sich angesichts der Studienergebnisse zurück. So gab es unter anderem keine klaren Aussagen dazu, wann die eigentliche NDE in den jeweiligen Fällen einsetzte – was natürlich für die momentane CO2-Konzentration und damit auch für die gesamte

Studie entscheidend war. Letztlich waren sich die slowenischen Mediziner selbst keineswegs sicher, was eine Erklärung und die Aussagekraft ihrer Arbeit betraf. So resümierten sie damals:

»Es wird nicht für möglich gehalten, NDEs allein unter den Gesichtspunkten physiologischer Prozesse zu erklären. Höchstwahrscheinlich sind multiple physiologische Faktoren beteiligt […] Unfraglich treibt die Präsenz von NDEs das gegenwärtige Wissen über das menschliche Bewusstsein und das Geist-Gehirn-Verhältnis an die Grenze unseres Begreifens.«

So klingt Resignation. Und damit mussten die Wissenschaftler eingestehen, an der Erklärung letztlich grandios gescheitert zu sein. Als Hauptschwäche ihrer Studie bezeichneten sie damals die geringe Zahl an Patienten.

Skeptiker erklären unter anderem, das menschliche Gehirn arbeite nach einem Herzstillstand noch weiter, woraus paradoxe Situationen resultierten. Ein Mensch sei noch in der Lage, die plötzlich ausbleibende Kreislauftätigkeit zu registrieren: »Um Gottes Willen, mein Herz schlägt nicht mehr – ich bin tot!«

Keine Frage, der ultimative Schock! Woher dann aber die so positiven Schilderungen höchsten Glücksgefühls und einzigartiger Geborgenheit? Immer wieder berichten Betroffene, angesichts solcher und ähnlicher Empfindungen sogar regelrecht enttäuscht gewesen zu sein, wieder ins irdische Dasein zurückzukehren. Für den niederländischen Kardiologen Pim van Lommel spricht einiges dafür, dass unser Bewusstsein nach dem Hirntod weiterlebt.

Er greift unter anderem auf Erfahrungen von einigen Hundert Patienten zurück, die innerhalb der entscheidenden fünf bis zehn Minuten nach einem Herzstillstand reanimiert wurden. In seine Studie fließen aktuelle Daten zu klaren Sachverhalten ein, wie sie vordem meist fehlten, da die Fälle viele Jahre zurücklagen.

Interessant: Von 344 wiederbelebten Patienten, die für die Studie des Niederländers zur Verfügung standen, hatten lediglich 61 eine NDE. Was nach einer eher enttäuschenden Ausbeute klingt, lässt eine bemerkenswerte Folgerung zu: van Lommel schließt genau wegen dieses relativ geringen Prozentsatzes physiologische Ursachen aus, die doch mehr oder minder alle Patienten gleichermaßen betreffen müssten. Erstaunlich war noch eine weitere Beobachtung.

Als der Mediziner zwei Jahre nach seiner Studie erneut Kontakt zu den Patienten aufzunehmen versuchte, stellte sich heraus, dass von jenen, die eine besonders tiefe NDE erlebt hatten, 43 Prozent verstorben waren, und zwar bereits einen Monat nach ihrem Erlebnis. Pim van Lommel geht nicht davon aus, diesen Sachverhalt wissenschaftlich erklären zu können (Forschung bestätigt: das menschliche Bewusstsein überlebt den biologischen Tod).

 

Letzten Endes stellte er fest:

»Patienten mit der physiologischen Reaktion eines Herzstillstandes, die somit auch kein Bewusstsein mehr aufweisen konnten, zeigten dieses Bewusstsein dennoch […] So sahen sie bei ihrer eigenen Reanimation zu […] Unser Verständnis vom Bewusstsein als Produkt des Gehirns muss neu überdacht werden.«

Für manche Vorgänge gibt es eben auch ganz aktuell zumindest keine wirklich gültige, wahrhaftige Erklärung. Sie entziehen sich der Wissenschaft, was manch einen Forscher natürlich unruhig werden lässt. Pierre-Jean du Monchaux scheint einer der ersten Mediziner gewesen zu sein, die sich des Phänomens annahmen, um eine nüchterne Erklärung zu finden (Nahtoderfahrung: Krebspatientin erlebt nach Koma unerklärbare Heilung (Video)).

Die Wissenschaft ist heute unvergleichlich weiter als vor 250 Jahren, zumindest können aufgeschlossene Forscher im Fall der NDEs nun besser erklären, warum dieses Phänomen auch heute noch unerklärlich bleibt.

Spannend wird es vor allem dann, wenn ausgewiesene Fachleute teils völlig konträre Ansichten vertreten, und geradezu faszinierend, wenn – wie im Fall von Dr. Eben Alexander – einer der Experten plötzlich selbst zum Betroffenen wird und Erfahrungen macht, die sein Weltbild völlig umstürzen.

Literatur:

Das Geheimnis ewiger Energie von Andreas von Rétyi

Endloses Bewusstsein: Neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung von Pim van Lommel

Beweise für ein Leben nach dem Tod: Die umfassende Dokumentation von Nahtoderfahrungen aus der ganzen Welt von Jeffrey Long

Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen von Eben Alexander

Quellen: PublicDomain/info.kopp-verlag.de am 09.12.2016

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »