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Neues Gesetz will «Normalitätstest» für Menschen

Am 5. Juni 2016 kommt das Fortpflanzungsmedizingesetz in der Schweiz zur Abstimmung. Es sieht erstmals einen «Normalitätstest» für Embryos vor: Wer den Test nicht besteht, wird liquidiert!

Der Bundesrat schlug dem Parlament im Jahr 2013 nur vor, Gentests für jene 50–100 Paare pro Jahr zuzulassen, die von einer schweren Erbkrankheit betroffen sind (sogenannte Präimplantationsdiagnostik, PID).

Doch das Parlament erweiterte die Zulassung auf alle Paare mit künstlicher Befruchtung – und handelte sich damit ein enormes ethisches Problem ein.

Auf die eindringlichen Warnungen des Bundesrates wollten die Parlamentarier im Herbst 2014 nicht hören, zumindest in ihrer Mehrheit nicht. Sie beschlossen, das Chromosomen-Screening für alle 6000 und mehr Paare zuzulassen, die sich künstlich befruchten lassen, also auch für jene, die nicht von einer schweren Erbkrankheit betroffen sind.

Bei den Embryos dieser Paare sucht man nicht mehr nach einer bestimmten Krankheit, sondern kontrolliert, ob sie «normal» sind.

Wenn sie den «Normalitätstest» anhand einer immer länger werdenden Liste von Kriterien bestehen, dann gut für sie, ansonsten werden sie vernichtet (Ultraschall-Untersuchung während der Schwangerschaft schadet dem Ungeborenen).

Bundesrat Alain Berset hatte in seiner Botschaft ans Parlament und während den Verhandlungen in den Räten noch eindringlich vor dem Chromosomen-Screening gewarnt.

Er schrieb: «Damit verschiebt sich auch in ethisch signifikanter Weise die Perspektive, von der Suche nach einem isolierten, klar krankheitsverursachenden Merkmal hin zu einem pauschalen ‹Normalitätstest›, was in der Folge die Rechtfertigung der PID und ihrer Risiken und Nachteile durch die Annahme einer unzumutbaren Belastungssituation angesichts einer schweren Krankheit des Kindes hinfällig machen würde.» (Botschaft des Bundesrates zum Fortpflanzungsmedizingesetz, S. 5903).

Doch der Bundesrat unterlag für einmal dem übermütig gewordenen Parlament. Heute, vor der Volksabstimmung, spielt er allerdings die Eskapaden des Parlaments mit – und setzt noch eins oben drauf.

Vom Bundesgesetz über die politischen Rechte dazu verpflichtet, keine Parolen zu vertreten, die von jenen des Parlaments abweichen, gibt er sich nun mehr als obrigkeitshörig und widerspricht sogar seinen eigenen früheren Aussagen diametral: In der Botschaft vom Juni 2013 hatte er noch geschrieben: «In der Summe sehe der Bundesrat davon ab, die PID für die Behandlung der Unfruchtbarkeit zuzulassen. (…) Dadurch würde eine Grenze überschritten, die der Bundesrat nicht überschreiten will.» (S. 5903f.) An der Pressekonferenz vom 11. April 2016 sagt Alain Berset jetzt, die Erweiterung des Gesetzes sei «absolut akzeptabel».

In der Botschaft hatte er vor dem Chromosomen-Screening gewarnt: «Die Schweiz würde die PID wesentlich liberaler regeln als Nachbarstaaten wie etwa Deutschland und Frankreich, ja diesbezüglich sogar zu den Staaten mit der liberalsten Regelung überhaupt aufschliessen.» (Botschaft, S. 5900). An der Pressekonferenz vom April dieses Jahres sagte er, die Voraussetzungen für die PID seien «streng».

Auf die Frage, um wie viele Fälle es pro Jahr gehe, erklärte er im Nationalrat: «Die Situation ist schwierig abzuschätzen. Es werden zwischen 1000 und 2000 Fälle pro Jahr sein, aber es ist schwierig genauere Voraussagen zu machen (Smartphones & Tablets schädigen Hoden, Spermien und Embryos (Video)).

Dennoch ist das eine beträchtliche Ausweitung der Zugänge zum Screening, was der Bundesrat nicht wünscht.» (Nationalratsprotokoll vom 3. Juni 2014, S. 828). An der Pressekonferenz vom April sagte er beschönigend: «500 bis 1000 Paare» würden die PID pro Jahr in Anspruch nehmen.

Zum «Tourismus ins Ausland» sagte er den Ständeräten noch Ende 2014: «Obwohl wir in der Schweiz noch keine PID und keine Kryokonservierung haben, und also die künstliche Befruchtung etwas komplizierter ist als in den Staaten rings um uns, nehmen bereits heute über 6000 Frauen die künstliche Befruchtung in Anspruch. Darunter sind ungefähr 20% aus dem Ausland, die in die Schweiz einreisen, um sich künstlich befruchten zu lassen.» (Ständeratsprotokoll vom 8. September 2014, S. 713). An der Pressekonferenz vom April meinte er, «der PID-Tourismus ins Ausland» soll mit der Gesetzesänderung reduziert werden (Horizontaler Gentransfer, ist der Mensch mehr als nur der Mensch?).

Der Bundesrat muss nun die Parole des Parlaments vertreten. Das führt dazu, dass er seine ursprüngliche Absicht ins Gegenteil verkehrt.

  

Der «Normalitätstest» für Embryos, vor dem er noch vehement gewarnt hatte, soll nun Gesetz werden. Nur das Stimmvolk kann ihn noch von diesem Wahn erlösen, indem es ein Nein auf den Stimmzettel vom 5. Juni zum Fortpflanzungsmedizingesetz schreibt (Mensch 2.0: Wie uns die schöne neue Cyborg-Welt schmackhaft gemacht werden soll (Videos)).

Wird das Gesetz abgelehnt, muss das Parlament nochmals über die Bücher und auf den Vorschlag des Bundesrates zurückkehren. Dazu hilft die Losung: «Nein zum Gesetz – Stop und zurück auf die ursprüngliche Bundesratslösung!»

Pascal Bruderer, SP-Ständerätin (AG): «Wollen wir eine Entwicklung wirklich akzeptieren, wonach Menschen immer mehr einer gewissen ‹Norm› zu entsprechen haben? Nein. Das Parlament soll nochmals über die Bücher gehen und die PID jenen Paaren vorbehalten, die in besonderem Masse darauf angewiesen sind.» (Nun ist es soweit: Chinesische Wissenschaftler klonen Menschen)

Literatur:

Superintelligenz: Szenarien einer kommenden Revolution von Nick Bostrom

Posthumanes Menschsein?: Künstliche Intelligenz, Cyberspace, Roboter, Cyborgs und Designer-Menschen – Anthropologie des künstlichen Menschen im 21. Jahrhundert von Bernhard Irrgang

Lebende Maschinen: Cyborgs, Roboter und deren Menschlichkeit in I,Robot von Alexander Täuschel

Quellen: PublicDomain/basel-express.ch am 03.05.2016

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