Donnerstag, März 28, 2024
StartMedien„Politisches Roulette“ in Berlin – Hälfte der Deutschen gegen Merkel als Kanzlerin

„Politisches Roulette“ in Berlin – Hälfte der Deutschen gegen Merkel als Kanzlerin

Drei Monate nach der Bundestagswahl ist immer noch keine Regierung in Sicht. Für viele in Deutschland liegt die Schuld dafür bei der Kanzlerin Angela Merkel.

Das zeigt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Politologe Werner J. Patzelt überrascht das nicht.
Die schwierige Suche nach einem Koalitionspartner lässt den Rückhalt für Kanzlerin Angela Merkel in der deutschen Bevölkerung schwinden. Das zeigt sich in der repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur (DPA), bei der 2036 Menschen im Zeitraum zwischen vom 19. bis 21. Dezember befragt wurden.

Danach wollen nur noch 36 Prozent, dass die CDU-Vorsitzende für weitere vier Jahre Kanzlerin bleibt, falls sie erneut zur Regierungschefin gewählt wird. Fast die Hälfte der Befragten  (47 Prozent) wünscht sich dagegen, dass Merkel ihren Posten vor Ende der Wahlperiode 2021 räumt. Anfang Oktober hatten sich nur 36 Prozent für einen vorzeitigen Abgang der Kanzlerin ausgesprochen. 44 Prozent waren damals noch dafür, dass sie ihre Position behält.

Merkel habe die Hoffnungen der Menschen nach einer neuen Mitte nicht erfüllen können und zugleich dem Wahlvolk eine klare Entscheidung zwischen linker und rechter Politik verwehrt, erklärte Professor Werner J. Patzelt gegenüber Sputnik den sinkenden Rückhalt der Kanzlerin in der Bevölkerung. Das dringlichste Problem sei derzeit die Regierungsbildung.

Die gescheiterten „Jamaika“-Verhandlungen von Union, FDP und Bündnis 90/Die Grünen hätten sehr viele Wähler enttäuscht: „Es gelang zwar ein Stück weit, diese Enttäuschungen auf den FDP-Vorsitzenden umzuleiten. Im Hintergrund steht jedoch, dass die Kanzlerin es nicht geschafft hat, diejenigen an Bord zu halten, die es für eine Regierung bräuchte. So dass die Kanzlerin jetzt vor der Versuchung steht, es mit der bisherigen Großen Koalition nochmal zu probieren. Die aber ist abgewählt worden und stellt auch keine Erneuerung des Landes in Aussicht.“

„GroKo ist dümmste aller möglichen Regierungskoalitionen

Ab dem 7. Januar will die Union nun mit der SPD die Möglichkeiten einer Regierungsbildung verhandeln. Doch der Widerstand gegen eine neue Große Koalition (GroKo) in der SPD ist stark. Der YouGov-Umfrage zufolge rechnen 41 Prozent mit einer GroKo, 13 Prozent mit einer Minderheitsregierung ohne eigene Mehrheit und 24 Prozent mit einer Neuwahl.

Auch Patzelt wünscht keine GroKo: „Es müsste die SPD mit Blindheit geschlagen sein und die CDU desgleichen, wenn sich die beiden Parteien auf eine große Koalition einlassen wollten.“ Eine weitere Große Koalition würde nämlich die AfD, wenn diese sich nicht selbst durch Rechtsradikalisierung zerstöre, auf Dauer zu einer relevanten Kraft im deutschen politischen System machen. Die GroKo wirkte also für die AfD wie eine „Lebensversicherung“, betonte der Politikwissenschaftler.

„Obwohl die CDU keinerlei Interesse an einer dauerhaften AfD haben kann und die SPD ohnehin behauptet, es sei ganz schlimm, dass es die AfD überhaupt gibt, führte gerade eine Große Koalition dasjenige herbei, was beide Parteien doch vernünftigerweise vermeiden wollten.“ Doch es gehe – so der Politologe – in der Politik eben „vieles nicht gemäß der Vernunft zu“, sondern „nach Gelegenheiten, die sich bieten, oder auch nach persönlichen Karriereinteressen und Eitelkeiten“. Deshalb sei es nicht auszuschließen, „dass die dümmste aller möglichen Regierungskoalitionen, nämlich die Große Koalition, noch einmal aufgelegt wird“.

„SPD spielt politisches Roulette“

Unterdessen stellte der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in einem „Bild“-Zeitungs-Interview weitere Bedingungen für eine GroKo-Neuauflage: „Wenn das Kanzleramt alle Vorschläge zur EU-Reform weiterhin ablehnt wie bisher, wird es keine Koalition mit der SPD geben“. Das gelte auch für den Fall, dass die Union darauf bestehe, dass gesetzlich Versicherte schlechter behandelt werden als Privatpatienten. „CDU und CSU müssen sagen, was sie für Deutschland tun wollen“, fordert der frühere SPD-Chef.

Für Politikwissenschaftler Patzelt handelt es sich um „eine Art politisches Roulette, das hier gespielt wird. Der Einsatz wird immer weiter erhöht, und am Schluss wird eine der beiden großen Parteien, und schlimmstenfalls das ganze Land, zu den Verlierern gehören.“ Die SPD würde verständlich ihre Forderungen immer höher schrauben, „weil die Kanzlerin zu erkennen gegeben hat, dass sie sich nicht auf eine Minderheitsregierung einlassen möchte“. Im Grunde aber wolle die SPD gerade jetzt eine neue Regierungsverantwortung vermeiden, vermutet der Politologe.

Auch der FDP-Vize Wolfgang Kubicki machte in einem Interview mit der der Funke Mediengruppe die Kanzlerin für das Scheitern der „Jamaika-Koalition“ verantwortlich: „Der CDU-Vorsitzenden ist es nie darum gegangen, Jamaika hinzubekommen.“ Sie hätte daran gebastelt, die Fortsetzung der Großen Koalition zu erreichen, betonte Kubicki: „Das ist gelungen – die Chance liegt nun bei 80 Prozent.“

Autor: Paul Linke

Interview mit Prof. Werner J. Patzelt  Quelle!

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