Donnerstag, April 25, 2024
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„Putin-Feind“ tot mehr wert als lebend: Blick in Abgrund des deutschen Journalismus

Ein Held, ein Feind Putins, ein Märtyrer: Der getötet geglaubte Journalist Arkadi Babtschenko ist von den Toten auferstanden. Was man allerdings nicht von einigen Journalisten und Medien behaupten dürfte. Ein kleiner Exkurs in die verwahrloste Landschaft des medialen Jenseits.

Der russische TV-Journalist Arkadi Babtschenko, dessen angebliche Ermordung in Kiew am Dienstag weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat, ist am Leben. Am Mittwoch erschien der 42-Jährige auf einer Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdienstes SBU und erzählte, dass das Attentat nichts weiter als Theater gewesen sei.

Putin-Feind – tot mehr wert als lebend

Arkadi Babtschenko. Einst bekannter Kriegskorrespondent für renommierte russische Zeitungen und Begründer der modernen Kriegsprosa in Russland.

2017 kehrte er mit seinem weit verbreiteten ukrainischen Nachnamen aber seinem Heimatland den Rücken. Wegen Drohungen gegen ihn, wie er selbst behauptete.

Arkadi Babtschenko (i.d.Mitte) bei Pressekonferenz in Kiew
© REUTERS / Valentyn Ogirenko – Kiew: Für tot erklärter russischer Journalist erscheint plötzlich auf Pressekonferenz
Seit August 2017 hielt sich Babtschenko in Kiew auf, moderierte eine wohl eher unbekannte Sendung im krimtatarischen TV-Sender ATR. In seiner Freizeit sammelte der heute 42-Jährige über Crowdfunding-Plattformen Geld für „freien Journalismus“. Darunter verstand er hauptsächlich das Schreiben von Facebook-Posts, die jedoch zu wenig Likes brachten, um ihm außerhalb des russischsprachigen Raums mediale Bekanntheit zu verschaffen.Babtschenko übte heftige Kritik an Russland, an seiner Regierung, befürwortete den Gewalteinsatz Kiews im Donezbecken. Die Art, seine Kritik gegen den Kreml zu äußern, war (und ist) umstritten.

Im Dezember 2016 hatte die Reaktion Babtschenkos auf die Tu-154-Katastrophe in Sotschi für großes Aufsehen gesorgt. Damals kamen alle Insassen ums Leben – Besatzungsmitglieder, Mitglieder des Alexandrow-Ensembles, Journalisten. Das Flugzeug war auf dem Weg zum russischen Stützpunkt Hmeimim in Syrien abgestürzt.

„Ich habe weder Mitleid noch Erbarmen. Ich drücke den Verwandten und Angehörigen nicht mein Beileid aus… Ich habe nur ein Gefühl – scheiß drauf“, schrieb Babtschenko.

Später änderte er sein Posting. Er fügte hinzu, dass Beileidsworte an Angehörige russischer Verunglückter in der Ukraine nicht verstanden würden. Die Drohungen, die er bei seiner Abreise erwähnte, stammen offenbar aus dieser Zeit.

Kurz nach seiner Ausreise aus Russland, im August 2017, versprach er, nach Moskau zurückzukehren. „Ich habe da noch eine Angelegenheit. Im ersten Abrahams-Panzer, der die Twerskaja-Straße entlangrollen wird, werde ich mich mit einer Nato-Flagge aus der Panzerluke herausstrecken“, schrieb er in seinem Account.

Wirklich bekannt wurde Babtschenko nur nach seinem angeblichen Tod, dafür innerhalb weniger Stunden.

Trauermesse in der deutschen Medienlandschaft

Um bekannt zu werden, muss man tolle Musik spielen und jung sterben. Oder eben ein Putin-Kritiker sein. Innerhalb weniger Stunden wurde ein Mensch, zu dessen Lebzeiten ihn kaum jemand kannte, auf den Altar der elitären Journalistik emporgehoben, sodass man den Eindruck bekommen könnte, dass ein Putin-Feind für die deutschen Medien tot mehr wert ist als lebend.

In gewisser Weise bestätigte dies nach dem vermeintlichen Ableben von Babtschenko auch gleich der Deutsche Journalisten-Verband: „Prominenter regierungskritischer Journalist #ArkadiBabtschenko in Kiew erschossen — Spätestens jetzt sollen die EU-Staaten ernsthaft über einen Boykott der #WM2018 nachdenken“, hieß es in einem Tweet der Organisation, den diese noch vor Abschluss der noch nicht einmal begonnenen Ermittlungen, die sich zudem kurz darauf als vorgetäuscht entpuppten. Der Tweet ist mittlerweile gelöscht.

Journalisten-Verband
© Foto : Screenshot – Journalisten-Verband

Der Meinung schloss sich auch der politische Redakteur der „Bild“ Julian Röpcke an: „Putins Regime mordet und mordet und mordet“, twitterte er.

Putins Regime mordet
und mordet
und mordet.
Warum?
Weil es weiß, dass es wie immer straffrei ausgeht und am Ende doch alles bekommt, was es will.
Der @FIFAWorldCup und @NordStream2 sind nur zwei Beispiele von unzähligen.
Ruhe in Frieden, Arkadi Babtschenko.

Auf die Frage, warum das „Regime“ das tue, hat Röpcke eine klare Antwort: „Weil es weiß, dass es wie immer straffrei ausgeht und am Ende doch alles bekommt, was es will“. Und wollen tue das Regime die kommende WM und die Nord-Stream-2-Pipeline. Dass das Ermorden von Journalisten diese Pläne in den Kamin schreiben könnte, scheint für Röpcke kein Widerspruch zu sein.

Killing an opponent and putting Ukraine under pressure with one cold-blooded murder. The Russian term for „win-win situation“ is „беспроигрышная ситуация“. via

Cui bono? Kreml sowieso schuld, egal ob Lazarus tot oder lebend

Cui bono, oder anders ausgedrückt: Wozu sollte denn Putin im Vorfeld der WM und im Hinblick auf die Nord-Stream-2-Pläne einen unbekannten Journalisten ermorden lassen? Für den „Bild“-Journalisten wirft das keine Fragen auf, im Gegenteil: „Witzig, dass die Kemlfreunde in Deutschland nie ‚Cui bono?‘ fragen, wenn die schärfsten Kritiker Putins Innen-und Außenpolitik ermordet werden“, so Röpcke, womit er offenbar auch den ebenfalls wiederauferstandenen Skripal meinte.

Bei dem Publizisten und Osteuropa-Experten Boris Reitschuster verwandelte sich Babtschenko gar in den „lautstärksten Putin-Kritiker“. „Ich habe keine Worte mehr. Nur Tränen. Leb wohl, Arkadi!“, schrieb Reitschuster in seinem Twitter-Account. In Russland würden Menschen sogar in den Knast kommen, weil sie seine Posts teilen, erinnert sich der Experte und Moskauer „Focus“-Leiter a.D. an Babtschenkos Worte. Nun sei jener tot.

Einem Julian Hans von der „Süddeutschen Zeitung“ wird sogar schlecht bei solchen Gedanken: „Mir wird jetzt schon wieder übel, wenn ich daran denke, dass wir in den nächsten Wochen wieder zig Versionen zu hören bekommen, warum dieser Mord allen genutzt hat – Kiew, ukrainischen Nationalisten, den Briten, den Amis – nur das Naheliegende kann’s nicht gewesen sein.“

Kremlkritische Wiedergeburt

In Retweets verschiedener Kollegen nach dem Comeback von Babtschenko scheint sich die Übelkeit von Julian Hans nur verschlechtert zu haben: Das Ganze sei offenbar Zirkus und Provokation, das stimmt. Doch der Kreml sei sowieso schuld, liest es sich zwischen den Zeilen: Indem die ukrainischen Behörden das Ganze nämlich nun ins Lächerliche gezogen hätten, werde den Kremlmedien ein „großes“ Geschenk gemacht.

„Indem sie Medien eine Lüge präsentierten, haben Babtschenko und die ukrainischen Behörden allen, die gestern von einem ‚Mord‘ berichteten, zum Narren gemacht“, heißt es in einem von Hans verbreiteten Tweet eines Journalisten vom kremlkritischen Portal „Meduza“. Man werde in Zukunft Berichten aus der Ukraine misstrauen.

​Nach der Wiederauferstehung des „lautstärksten Putin-Kritikers“ scheint auch der bereits erwähnte Boris Reitschuster die Schnauze voll zu haben: Er sei zwar riesig erleichtert, aber auch zutiefst irritiert über das Vorgehen der ukrainischen Behörden. „Ich hoffe, sie haben sehr, sehr gute Gründe für diese Inszenierung. Sonst würden sie großen Schaden anrichten – für ihre Glaubwürdigkeit“, betont er in einem seiner jüngsten Tweets. Was Reitschuster aber lieber außen vor lassen würde: Für seine persönliche Glaubwürdigkeit und die von Kollegen könnte dieser Zwischenfall wohl sicher auch Folgen haben.

Postskriptum post resurrectio

Die vermeintliche Ermordung von Babtschenko war wohl der erste „Mord“ an einem Journalist in der Ukraine, der außerhalb des Landes für so großes Aufsehen sorgte.

Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an Juli 2016, als der russisch-ukrainische TV-Moderator Pawel Scheremet getötet wurde. Sein Auto explodierte im Zentrum von Kiew.

Oder an April 2015, wo der ukrainische, eher kiew-kritische Publizist Oles Busina nahe seinem Haus erschossen wurde.

Arkadi Babtschenko
© Sputnik / Ruslan Krivobok „An Zynismus nicht zu überbieten“: Kreml zu Kiews Vorwürfen wegen Journalisten-Mord
Nach diesen aufsehenerregenden Morden an Journalisten machte Kiew unmittelbar die russischen Sicherheitsdienste für diese Taten verantwortlich. Beweise wurden keine vorgelegt.Dabei stellten ukrainische Journalisten fest, dass das Haus von Scheremet kurz vor seinem Tod vom SBU-Mitarbeiter Igor Ustimenko ausgespäht worden war. Als Mörder wurden auch Personen verdächtigt, die dem Neonazi-Regiment Asow nahestehen. Als Verdächtige im Fall des Mordes an Busina wurden die Nationalisten Andrej Medwedjko und Denis Polischtschuk festgenommen.

Darüber wird der werte Leser aber in den meisten deutschen Massenmedien wohl nichts erfahren. Über tote Journalisten, die nicht unbedingt direkt „Kreml-Kritiker“ sind, wird offenbar ein Schleier des Vergessens gelegt. Dabei sind seit 1991 in der Ukraine über 70 Journalisten eines unnatürlichen Todes gestorben. Und es werden immer mehr.

Quelle!

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