Freitag, April 19, 2024
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Rainer Wendt zu Pässe-Skandal: BAMF-Führungskultur „geprägt von unerträglicher Arroganz und Ignoranz”

In Bayern sind bei Stichproben von Flüchtlingspässen im BAMF, Fälschungen und nicht zutreffende Identitäten in einem erheblichen Anteil entdeckt worden. Danach weigerte sich die Behörde bei der Aufklärung mitzuwirken und verweigerte die Herausgabe der Daten. Begründet wurde dies mit „fehlender Verhältnismäßigkeit“. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt rechnet nun in einem Gastbeitrag in der „Huffington Post“ mit der Arbeitsweise im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll bei der Identitätsprüfung von Asylbewerbern wiederholt gefälschte Pässe nicht erkannt haben. Mehrere Bundesländer erhoben deshalb schwere Vorwürfe gegen die Behörde.

In Bayern sind nach Angaben von Innenminister Joachim Herrmann bei Stichproben von Flüchtlingspässen Fälschungen und nicht zutreffende Identitäten in einem erheblichen Anteil entdeckt worden. Das könne man mit der Sicherheitslage nicht vereinbaren, sagte er. In Garmisch-Partenkirchen hätten bayerische Fahnder bei einer Stichprobe 19 gefälschte Pässe sichergestellt, die Dunkelziffer liegt jedoch viel höher, sagt das bayerische Innenministerium – da die meisten Ämter sich auf die Prüfung des BAMF verließen.

Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg will rund 18.000 Datensätze der Behörde beschlagnahmen lassen, berichtet die „Welt“. Es betrifft die Daten der Flüchtlinge, die zwischen dem 5. September und 22. Dezember 2015 mit der Bahn aus Ungarn oder Österreich nach Brandenburg kamen – und die die Polizei aus Kapazitätsgründen nicht alle habe identifizieren können.

Die Zeitung rbb zitierte Rautenberg: „Ich will wissen, wer genau im Land ist, und ich möchte mir, wenn etwas passiert in unserem Land, nicht vorwerfen lassen, dass ich nicht alles vorher hätte unternehmen können“. Bisher verweigert das BAMF die Herausgabe der Daten und begründet das mit fehlender Verhältnismäßigkeit.

Rainer Wendt über den Pässe-Skandal

Jetzt meldet sich der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt in einem Gastbeitrag in der „Huffington Post“ zu dem Vorfall.

„Seit Monaten berichten deutsche Medien darüber, dass gefälschte Pässe auf den Routen der Zuwanderer nach Europa leichter zu erwerben sind, als warme Kleidung. Und zeitgleich hören wir vom Präsidenten der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge, wie gut man alles im Griff habe, wie hoch die ‚Fallzahlen‘ seien, wie sehr man alles beschleunigt habe und wie viele Menschen mittlerweile registriert seien,“ beginnt Wendt seinen Gastbeitrag.

Es sei von „Zielen“ und „Prozessbeschleunigung“ die Rede gewesen, vor allem aber sei der Behörde wichtig gewesen, die Bearbeitungszeiten zu verkürzen. „Dabei kann die Qualität auf der Strecke bleiben“.

Schon im vergangenen Jahr habe der Gesamtpersonalrat des BAMF auf diese Mängel hingewiesen. Es sei verlangt worden, dass es „wieder ein geordnetes rechtsstaatliches Verfahren gibt“, schreibt der Gewerkschaftschef. Doch mittlerweile würde die Führung des BAMF mit der Personalvertretung vor Gericht aufliegen, da es Streit um die rechtswidrige Einstellung Hunderter Beschäftigter gibt.

„Hauptsache schnell und viel, Hauptsache, der politische Wille wird erfüllt,“ kritisiert Wendt die Arbeitsweise des BAMF. Dadurch sei „vieltausendfach“ auf Identitätsprüfung verzichtet worden, oder die Überprüfung der Flüchtlinge und Migranten sei fehlerhaft, „wie jetzt durch Stichproben ermittelt wurde“. Dadurch seien etlichen Personen der Flüchtlingsstatus ungerechtfertigt zuerkannt worden.

Kritk an BAMF-Präsidenten

Nach einer öffentlichen Kritik an der Personalvertretung des BAMF-Präsidenten, meinte dieser: „Normalerweise werfe ich offene Briefe immer weg“. Diese Aussage würde „einen bezeichnenden Blick auf die Führungskultur in seinem Umfeld“ werfen, so Wendt. Diese sei „geprägt von unerträglicher Arroganz und Ignoranz, wie man sie sonst nur aus den Vorstandsetagen einiger Großunternehmen kennt“, kritisiert der Chef der Polizeigewerkschaft den BAMF-Vorstand.

Den Angestellten, die in einem „Unterstellungs- und Abhängigkeitsverhältnis“ stünden, sei kein Vorwurf zu machen, denn diese müssten bereits „mit der im öffentlichen Dienst insgesamt nicht unbekannten Art, eine Behörde wie ein Unternehmen zu führen – was noch nie gelungen ist –  zurechtkommen“.

Die Führung des BAMF hätte der Bundesregierung rechtzeitig mitteilen müssen: „Wir schaffen das nicht!“, das wäre ehrlich gewesen, fährt Wendt fort. Stattdessen habe man politischen Druck einfach auf die Beschäftigten weitergegeben und nach außen Erfolgsmeldungen verbreitet und Realitätsverweigerung betrieben.

„Besorgte als Populisten zu beschimpfen, wird nicht helfen“

Man müsse dem Freistaat Bayern und dem Land Mecklenburg-Vorpommern danken, dass sie mit Stichproben ermittelt hätten. „Wir stehen möglicherweise vor einem Eisberg, von dem wir nur die Spitze sehen können“, so Wendt in seinen Bericht. Auch andere Länder seien nervös geworden, nachdem Terrorverdächtige mit falschen Pässen aufgeflogen seien.

Zudem kritisiert er die Haltung der Behörde nach bekannt werden des Pässe-Skandals. In der Geschichte Deutschlands sei es wahrscheinlich einmalig, „dass der Generalstaatsanwalt eines Landes Vorgänge bei einer Bundesbehörde beschlagnahmen lassen will, weil diese sich weigert, die Daten herauszugeben. Die Begründung, dies sei ‚unverhältnismäßig‘, ist schon abenteuerlich. Die Verursacherin von möglicherweise zigtausendfachen Fehlbeurteilungen entscheidet darüber, ob die Aufklärung dieser Zustände verhältnismäßig ist? Die mögliche Gefährdung unseres Landes aufzuklären ist unverhältnismäßig?,“ schreibt Wendt.

Und da werde es auch nicht helfen, Menschen, die sich ernsthaft Sorgen um die Sicherheit im Land machten, als „Populisten oder Rechtsaußen“ zu beschimpfen. Wer verhindern wolle, dass Flüchtlinge unter Generalverdacht gestellt würden, „der muss dafür sorgen, dass diejenigen erkannt werden, die unter falschen Angaben eingereist und hier aufhältig sind und von denen wir nicht wissen, mit welcher Absicht sie gekommen sind.“

Wendt fordert Überprüfungen und Maßnahmen

Nötig wäre nun eine klare Anweisung des Bundesinnenministers an das BAMF, sämtliche Daten an die Länder zur erneuten Überprüfung herauszugeben und einer Aufklärung nicht länger im Wege zu stehen. „Wir brauchen jetzt Klarheit über die Identität der ‚Neubürger’“.

Neue umfangreiche Überprüfungen müssten durchgeführt werden. Falsch Angaben der Flüchtlinge und Migranten müssten auch Einfluss auf die Entscheidungen im Asylverfahren und bei Integrationsmaßnahmen haben.

„Wer seinen Aufenthalt bei uns mit einer vorsätzlichen Straftat, also der Fälschung von Ausweispapieren und unwahren Angaben über seine Herkunft und Identität begonnen hat, kann jedenfalls weder mit Vertrauen noch mit der Bereitschaft rechnen, seinen Aufenthalt länger auszudehnen, darauf müsste schon das BAMF bei den mehr als 3.000 erkannten Passfälschungen hinwirken“, schreibt Wendt.

Wenn es im Deutschen Bundestag eine funktionierende Opposition gäbe, „müsste vermutlich ein Kongresszentrum angemietet werden, um all die Untersuchungsausschüsse unterzubringen,“ fährt der Beamte fort. Stattdessen würden die Nicht-Regierungsfraktionen auf die Bundestagswahl warten, um es sich mit ihren künftigen Partnern nicht zu verscherzen, kritisiert der Gewerkschaftschef die Untätigkeit der Politiker.

Es gäbe aber keine Zeit, um so lange zu warten. Man müsse jetzt Klarheit über die Identität derjenigen, die als „Neubürger“ akzeptiert werden sollen, schaffen. Wer den Menschen die vor Terror und Gewalt nach Deutschland fliehen wirklich helfen wolle, müsse solche Skandale verhindern oder wenigstens aufklären.

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